# taz.de -- Iran und die Welt: Das Regime setzt auf Eskalation | |
> Die iranische Führung steht innenpolitisch stark unter Druck – und | |
> gleicht das durch außenpolitische Machtdemonstration aus. Darunter leidet | |
> das Volk. | |
Bild: Tehran, 27. August: Der frühere Hamas-Führer Haniyeh and der Kommandant… | |
Der Tag, an dem die Nachricht von Ebrahim Raisis Tod verkündet wurde, sei | |
ein Freudentag gewesen, erzählt Nasim Sepehri, Besitzerin eines | |
Kleiderladens in Shiraz. Auch ihre Angestellte sei am Morgen zur Arbeit | |
gekommen und habe gestrahlt. „Endlich hat es einen von ihnen getroffen“, | |
habe die Mitarbeiterin laut gesagt. Raisi war Staatspräsident der | |
Islamischen Republik Iran. Er war einer der Hauptverantwortlichen für die | |
Massaker der 1980er Jahre, bei denen Tausende politische Gefangene ermordet | |
wurden. [1][Im Mai starb er bei einem Hubschrauberabsturz.] Ein paar | |
Stunden später, erzählt die 52-jährige Sepehri, habe ihre Mitarbeiterin | |
einen Anruf von einer unbekannten Nummer erhalten. Der Geheimdienst der | |
Revolutionsgarden: Sie solle in Zukunft vorsichtig sein, was sie sagt, es | |
könne gefährlich für sie werden. | |
„In diesen Tagen hat das iranische Regime so viel Angst vor der | |
unzufriedenen Bevölkerung, dass es Agenten überall hinschickt; Agenten in | |
Zivil in Einkaufszentren, Taxis, Cafés, Geschäften“, schreibt eine anonyme | |
Beobachterin aus Teheran im deutschen Exilmedium IranJournal über die | |
Situation im Land. Wohl noch nie in der mehr als 45-jährigen Geschichte der | |
Islamischen Republik war der Graben zwischen Regierenden und Regierten so | |
tief und unüberbrückbar wie heute. Die [2][„Frau, Leben, | |
Freiheit“-Proteste], die im September 2022 nach dem staatlichen Mord an | |
Jina Mahsa Amini wegen ihres vermeintlich nicht richtig sitzenden Kopftuchs | |
ausbrachen, haben die Machthaber nachhaltig verstört. Trotz ihres | |
hochgradig organisierten Sicherheitsapparats gelang es ihnen monatelang | |
nicht, die täglichen Proteste niederzuschlagen. Nur mit brutalster Gewalt | |
wurde es zumindest oberflächlich ruhiger. | |
Unter der Oberfläche aber ist die Wut der Menschen mit Händen zu greifen. | |
Als Hamas-Chef Ismael Hanije in Teheran – mutmaßlich von Israel – getötet | |
wurde, feierten viele Menschen den Anschlag in den sozialen Medien. Sie | |
priesen Israel für den Schlag gegen die Islamische Republik. Die Mächtigen | |
um Revolutionsführer Ali Khamenei wissen nur zu gut, dass die größte | |
Bedrohung von innen kommt. Sollte das Regime eines Tages fallen, dann wohl | |
nur durch Widerstand der Bevölkerung. Wird der Druck durch die Menschen im | |
Land eines Tages zu bedrohlich, besteht die Gefahr, dass die eigenen Leute | |
aus Angst die Seiten wechseln. Oder das Land verlassen. Das Regime braucht | |
die Loyalität seiner Gefolgschaft, um seine Macht zu sichern. | |
## So viele Hinrichtungen wie schon lange nicht mehr | |
Deswegen ist das wichtigste Ziel für die Machthaber und ihre bewaffneten | |
Truppen, jeglichen Protest im Land zu ersticken. Dazu gehört auch, den | |
Verschleierungszwang wieder rigoros durchzusetzen. Die Unbeugsamkeit der | |
vielen Frauen, die seit Beginn der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste das | |
Kopftuch nicht mehr in der Öffentlichkeit tragen, ist ein Stachel im | |
Fleisch des Systems. Abschrecken sollen auch die vielen Hinrichtungen: | |
[3][Im vergangenen Jahr hat das Regime mehr als 820 Menschen exekutiert] | |
und damit so viele wie seit vielen Jahren nicht. Die gesamte Führung der | |
Islamischen Republik ist hochgradig nervös. | |
Genau aus diesem Grund setzt der Staat außenpolitisch auf Eskalation. Um | |
das zu verstehen, muss man wissen: Die wichtigste Prämisse für das | |
iranische Regime ist die Sicherung seiner Existenz. Jegliches Handeln, nach | |
innen und nach außen, orientiert sich an dieser Prämisse. Die Instabilität | |
im Inneren ist einer der wichtigsten Gründe, warum die Führung sich | |
außenpolitisch durch Machtdemonstrationen zu stabilisieren sucht. Eine | |
wichtige Rolle spielt dabei die sogenannte Achse des Widerstands: Die von | |
Teheran finanzierten und in Teilen kontrollierten militärischen Gruppen von | |
Hamas, Hisbollah, Huthis im Irak und in Syrien sichern die Macht nach außen | |
ab. | |
Das Regime verbreitet mithilfe seiner Verbündeten das Narrativ, dass es der | |
Verteidiger der palästinensischen Sache und aller Muslime weltweit sei. Der | |
Terroranschlag vom 7. Oktober war für die Machthaber ein Geschenk: Ihre | |
Stellung in der Region hat sich seitdem verfestigt. Gab es zuvor | |
Annäherungen zwischen Israel und den USA auf der einen und Saudi-Arabien – | |
dem größten Gegenspieler Teherans in der Region – auf der anderen Seite, so | |
präsentieren sich die iranischen Machthaber als erste Front gegen den in | |
der Region bei vielen Menschen verhassten Staat Israel. | |
## Teheran möchte Angst verbreiten | |
[4][Am Iran kommt niemand mehr vorbei. Das zeigt sich auch an den | |
Verhandlungen zwischen Israel] und der Hamas: Die Amerikaner üben mit | |
Verweis auf das iranische Regime Druck auf Netanjahu aus, einem Deal | |
zuzustimmen. Seit der Tötung Hanijes auf iranischem Boden lässt das Regime | |
die Weltgemeinschaft in Unsicherheit darüber, wie es Rache nehmen möchte. | |
Teheran möchte Angst verbreiten. Sollte es einen Waffenstillstand geben, so | |
das Regime, könnte es auf einen Gegenschlag verzichten. Es ist in erster | |
Linie ein Machtspiel. | |
Dass das [5][Regime tatsächlich einen großflächigen Angriff gegen Israel | |
anordnet, ist schwer vorstellbar.] Es wäre für das Regime nicht | |
kalkulierbar, wie die USA reagieren – über eine solche Situation hätten die | |
Machthaber keine Kontrolle mehr. Wahrscheinlicher ist es, dass weiterhin | |
die Hisbollah aus dem Libanon im Auftrag des Iran die Angriffe auf Israel | |
durchführt. Diese mächtige Stellung ist wie eine Lebensversicherung für das | |
Regime. Die internationale Gemeinschaft interessiert sich noch weniger als | |
ohnehin schon für die tagtäglichen Menschenrechtsverbrechen des Staates | |
gegen die eigene Bevölkerung. Die Machthaber können die Repression bis ins | |
Unermessliche ausweiten, ohne dass sie Konsequenzen befürchten müssen. | |
Für die Menschen im Iran sind das keine guten Aussichten; für Israel und | |
die gesamte Region ebenso wenig. Und so werden im Iran die Räume des | |
Widerstands für Menschen wie Nasim Sepehri und ihre Mitarbeiterin wohl noch | |
kleiner werden. Und der Hass auf das Regime noch größer. | |
27 Aug 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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