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# taz.de -- Schlafstörungen: Wütend auf den eigenen Schädel
> Was macht man, wenn man nachts im Bett liegt und einfach nicht
> einschlafen kann? Unsere Kolumnistin hat schon alles probiert –
> vergeblich.
Bild: „Ich stehe auf, akzeptiere mein Schicksal, und versuche, mich mit etwas…
Wut steigt in mir auf. Dann weiß ich, dass es zu spät ist und ich nicht
genug Schlaf bekomme. Denn ich bin eine von 6 Millionen Deutschen, die
[1][unter Schlafstörungen] leiden.
Auf die Wut auf meinen eigenen Schädel, warum nicht endlich das Licht
ausgeht, folgt Resignation. Ich stehe auf, akzeptiere mein Schicksal, wenn
auch selbstmitleidig, und versuche, mich mit etwas zu beschäftigen, das im
Idealfall keinen Bildschirm involviert. Ich räume auf, lese, ende dann
letztlich [2][doch auf Netflix] und schaue mir zum x-ten Mal dieselbe
Sendung an. Bis ich dann, zwei oder drei Stunden bevor der Wecker klingelt,
in einen Zustand komme, den man wohl Schlaf nennen könnte.
So sieht eine schlechte Nacht aus. In guten Nächten brauche ich etwa eine
Stunde, die ich tagsüber schon vorausplane. Wenn tagsüber etwas
Denkwürdiges passiert, merke ich mir die Szene fürs abendliche
Prä-Schlaf-Kino vor, spiele die Szene mental nach, verändere das Set, passe
den Dialog an und schneide sie neu. Und weil ich weiß, dass ich diese
Stunde brauche, freue ich mich darauf, den Tag nicht etwa im Traum, sondern
vorsorglich schon davor Revue passieren zu lassen, wo ich selbst Regie
führen darf.
So war das nicht immer. Besonders das Gefühl von Eifersucht suchte mich im
Bett heim, wenn jemand neben mir einschlief. Etwa mit einem Buch in der
Hand einnickend, ohne sich überhaupt darüber Gedanken machen zu müssen, wie
man heute Abend dieses Einschlafen erledigen solle. Es provozierte mich,
wenn es jemand wagte, in meiner Anwesenheit innerhalb weniger Minuten
einzuschlafen. Wie kann diese Person mir das antun? Unsinn – aber derartig
perfide Tricks spielt einem ein von Insomnie geplagtes Hirn.
## Meine Schlafstörung gehört mir
Sämtliche Einschlafmethoden, Meditationen und Routinen habe ich probiert.
Ich weigere mich, mich weiter damit auseinanderzusetzen, weil die
angebliche Lösung meist involviert, seine Daten oder sein Geld abzugeben:
diese eine Einschlaf-App, ein ganz besonderes Kissen, jenes
Nahrungsergänzungsmittel. Meine Schlafstörung gehört mir, und ich werde sie
nicht auch noch kommerzialisieren lassen.
Meine einzige Waffe ist ein Schlaftee, der natürlich nicht wirkt. Oder ein
Podcast, moderiert von monotonen Männerstimmen: Geschichten aus der
Geschichte. Eine Folge, von der ich mir wegen der Überschrift „Der erste
Mensch im All“ besonders erfolgreiche Einschlafhilfe erhoffte, sollte mir
kürzlich durch eine wache Nacht helfen. Ich rechnete mit atmosphärischen
Bildern, Ruhe, Planeten, Sternen und bekam stattdessen Beschreibungen von
gequälten Tieren, die im Namen der Wissenschaft ins All geschossen wurden.
Beschreibungen, die so furchtbar waren, dass ich fast lachen musste, hatte
ich die Folge doch eigentlich ausgewählt, weil sie mich betäuben sollte.
Vor allem die Geschichte von Ham, dem ersten Schimpansen, den die
Amerikaner in den Weltraum sendeten, ließ mich mit weit aufgerissenen Augen
an die Decke starren. Weil beim Flug etwas schiefgelaufen war, musste seine
Kapsel von der Rakete abgesprengt werden und katapultierte den Affen höher,
als geplant war. „Auf diesen kleinen Schimpansen wirken massive Kräfte“,
sagt der Moderator und spricht von einem 16-minütigen Höllenflug. Ham
schießt jetzt auch durch meinen Schädel und prallt wie in einem
Flipperautomaten immer wieder an den Wänden ab. Ich bin so wach wie nie
zuvor.
25 Aug 2024
## LINKS
[1] /Schlafen-von-Theresia-Enzensberger/!6017637
[2] /Neue-Staffel-Emily-in-Paris/!6029399
## AUTOREN
Valérie Catil
## TAGS
Schlafentzug
Schlaf
Podcast
Tee
Kommerzialisierung
psychische Gesundheit
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