# taz.de -- Soziologe über die Letzte Generation: „Neue konfrontative Aktion… | |
> Die Letzte Generation klebt wieder. Wie die Aktivist*innen um | |
> Aufmerksamkeit für die Klimakrise kämpfen müssen, erklärt Soziologe | |
> Vincent August. | |
Bild: Löchrig: Die Strategie der Letzten Generation, radikalen Protest und Mas… | |
taz: Herr August, die Klimaaktivist*innen der Letzten Generation | |
haben Protestaktionen an einigen größeren deutschen Airports gestartet und | |
dort den Flugverkehr unterbrochen. Wieso hat das für Empörung gesorgt? | |
Vincent August: Der Ärger entstand zunächst einmal dadurch, dass die | |
Klebeaktionen an Flughäfen stattfanden, wo sie den alltäglichen Betrieb – | |
der in der Ferienzeit natürlich sehr intensiv ist – stören. Auch | |
polarisiert die Frage, warum die Aktivistinnen und Aktivisten trotz hoher | |
Sicherheitsvorkehrungen überhaupt auf das Rollfeld kommen. | |
taz: Beobachten Sie eine neue Welle der Aufmerksamkeit für die Gruppe? | |
August: Ich glaube nicht, dass die Aufregung derzeit so groß ist. In der | |
Hochphase von 2022 bis Mitte 2023 wurde viel mehr über die Letzte | |
Generation und ihre Aktionen berichtet. Jetzt bekommen sie immer mal wieder | |
punktuell mediale Präsenz – aber nicht in der Intensität und Dauer, die sie | |
mal erreicht hatten. | |
taz: Warum schaffen es die Aktivist*innen nicht mehr wie früher, mit | |
ihren Aktionen in die Öffentlichkeit zu treten? | |
August: Die Letzte Generation hat dem Klimakonflikt anfangs eine neue | |
Dynamik gegeben. Nachdem die Massenproteste von Fridays for Future | |
erwartungsgemäß abgeflaut waren, ist es ihnen gelungen, die Aufmerksamkeit | |
hochzuhalten. Dafür haben sie sich mit konfrontativeren Taktiken als eine | |
sogenannte radikale Flanke positioniert. Auch diese Taktiken erschöpfen | |
sich aber absehbar – das war ab Frühjahr 2023 der Fall. Auf der einen Seite | |
sind die Aktivistinnen und Aktivisten zermürbt. Dazu tragen [1][Gegendruck, | |
Geld- und Gefängnisstrafen] bei. Auf der anderen Seite hat sich die | |
Gesellschaft zu sehr an die Form gewöhnt. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit | |
dann auf andere Dinge, erst recht, wenn neue Krisen auftreten. | |
taz: Eigentlich hatte die Gruppe zu Jahresbeginn erklärt, sich nicht mehr | |
ankleben zu wollen, sondern mit „ungehorsamen Versammlungen“ mehr Menschen | |
mobilisieren zu wollen. Jetzt klebt sie doch wieder. Warum hat sie ihre | |
Strategie geändert? | |
August: Die Aktivistinnen und Aktivisten haben vergangenes Jahr selbst | |
gemerkt, dass sie nicht mehr so durchkommen wie zuvor und gleichzeitig der | |
enorme Aufwand seinen Tribut fordert. Die Gruppe musste also reagieren. | |
Schon ab Herbst 2023 versuchte man, die Strategie zu wechseln und größere | |
Massen zu mobilisieren – und sagte: Das war sowieso immer unser Plan, weil | |
man in eine neue Phase eintrete und den Erfahrungen anderer | |
Protestbewegungen folge. | |
taz: Doch der Zulauf hielt sich in Grenzen. | |
August: Ja, das hat erwartungsgemäß nicht funktioniert. Die Mitte der | |
Gesellschaft reagiert allergisch auf radikale Protestformen – und die | |
Letzte Generation hat sich ja selbst zu dieser radikalen Flanke stilisiert. | |
Das kann Vorteile bringen. Aber plötzlich breite Gefolgschaft zu erwarten, | |
wenn ich unbeliebt bin – das wird natürlich nichts. Gleichzeitig wollte man | |
trotz Massenmobilisierung den radikalen Markenkern nie so ganz aufgeben. | |
Deswegen hatte die Gruppe zugleich angekündigt, die konfrontativeren | |
Aktionen neu auszurichten. Das ist möglich, wenn auch nicht in der gleichen | |
dichten Taktung wie früher. Weil die Massenmobilisierung aber vorerst | |
ausfällt, sieht das aus wie ein neuer Strategiewechsel, eine Art Rückkehr. | |
taz: Gelingt es der Letzten Generation jetzt noch, bei den Aktionen die | |
Verbindung zur Klimakrise herzustellen? | |
August: Mein Eindruck ist: aktuell eher nicht. Die neuen konfrontativen | |
Aktionen fokussieren tatsächlich direkter auf Vertreter und [2][Orte des | |
CO2-Ausstoßes wie etwa Flughäfen]. Aber erstens sind die Bilder schon zu | |
abgenutzt, die Positionen ausgetauscht. Dadurch bekommt die Gruppe auch | |
weniger Sendezeit, um Gründe und Forderungen auszuspielen. Und zweitens gab | |
und gibt es zur Eskalation durch die Letzte Generation auch eine politische | |
Gegeneskalation, die eigene Framings anbietet. | |
taz: Sie meinen politische Reaktionen wie die von CSU-Generalsekretär | |
Martin Huber, der nach einer Blockade des Münchner Flughafens im Mai | |
forderte: „Volle Härte des Rechtsstaats gegenüber diesen Klima-Chaoten.“ | |
August: Die Strategie der Gegenseite läuft darauf hinaus, den Diskurs zu | |
verschieben, weg vom Thema Klima, hin zum Thema Sicherheit. | |
Klimaaktivismus, aber auch andere Vertreter weitergehender Maßnahmen werden | |
als eine Bedrohung dargestellt: der guten Ordnung und des Lebensstils der | |
sogenannten „Mehrheit“. Und dann können sich die Gegner hervorragend als | |
Verteidiger ebendieses Lebensstils darstellen. In der | |
Heizungsgesetz-Debatte wurde etwa von „Planwirtschaft“ und „Energie-Stasi… | |
gesprochen. Das eindrücklichste Beispiel ist die Rahmung der Proteste als | |
Terrorismus, als „Klima-RAF“. Das ist abwegig und Teil einer | |
Konfliktstrategie, mit der man dann auch härtere Strafmaßnahmen einfordern | |
kann. | |
taz: Welche Folgen hat das für [3][radikale Klima-Aktionen]? | |
August: Wenn die Gegeneskalation längere Zeit erfolgreich aufrechterhalten | |
werden kann, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die andere Seite | |
erschöpft. Der Konflikt deeskaliert vorerst – in dieser Situation ist die | |
Letzte Generation aktuell. Das ist auch eine typische Situation, in der | |
interne Unsicherheit und Konflikte entstehen. | |
taz: Die Letzte Generation in Österreich hat angekündigt, sich aufzulösen. | |
Ist dieser Schritt auch in Deutschland absehbar – und für wie | |
wahrscheinlich halten Sie das? | |
August: Die Ankündigung zeigt, dass solche Phasen neue, überraschende | |
Dynamiken freisetzen können. Hier wurde die Überraschung noch einmal | |
benutzt, um mediale Aufmerksamkeit zu schaffen – mit Erfolg. Wir wissen | |
noch nicht, wie das ausgeht: Einerseits wäre eine Wiederbelebung einfach | |
und könnte inszeniert werden. Andererseits entbindet man sich vielleicht | |
mit dem Namen Letzte Generation vom Markenkern und macht den Weg frei für | |
andere Protestformen. Die deutsche Gruppierung hat bisher mitgeteilt, | |
weiterzumachen. | |
taz: Was bedeutet die andauernde Auseinandersetzung über die Letzte | |
Generation für unsere krisenmüde Gesellschaft? | |
August: Wir müssen uns darauf einstellen, dass es anstrengend wird. Die | |
ökologische Krise stellt uns vor eine fundamentale Herausforderung: die | |
Strukturen und Lebenserzählungen unserer modernen Gesellschaft | |
umzuarbeiten. Dabei reicht es nicht, nur auf die Protestseite oder gar nur | |
eine Gruppe zu schauen. Es gibt eine Gegenseite, dritte Akteure und nicht | |
zuletzt auch den großen Teil der Bevölkerung, der weitgehend zuschaut und | |
um deren Unterstützung die Konfliktparteien ringen. Das Problem mit diesen | |
Konflikten ist womöglich weniger die viel diskutierte Polarisierung. | |
Sondern die Tatsache, dass der Konflikt um die Klimakrise von der Politik | |
nicht produktiv bearbeitet wird. Das kostet massiv Vertrauen in die | |
politischen Institutionen – was natürlich gefährlich ist. | |
taz: Wie könnte ein Ausweg aussehen? | |
August: Man müsste weg von der Konfliktlinie „Mehr oder weniger | |
Klimaschutz“. Die demokratischen Parteien könnten sich fragen: Welche | |
Transformation wollen wir auf Basis unserer liberalen, konservativen oder | |
sozialdemokratischen Tradition – und dafür Erzählungen und Lösungen | |
anbieten. Auch das wird nicht harmonisch, aber man führt dann einen anderen | |
Konflikt. Aktuell lässt sich aus der Entweder-oder-Frage „Transformation | |
oder keine Transformation“ noch zu viel Kapital schlagen. | |
11 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Maximilian Arnhold | |
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