# taz.de -- Von wegen „Gendersprache“: Wider die „Grammatikarianer“ | |
> Deutsch war nie ungegenderte Sprache: Überall finden sich gegenderte | |
> Artikel, Pronomen und Wortendungen – genau das ist ja das Problem. | |
Bild: Wir segeln über die Meere der Sprachen – Welche Schätze ließen sich … | |
In den Angriffen auf gendergerechte Sprache hat sich ein Neologismus | |
eingeschliffen, der durchaus eine Denkpause wert ist: [1][„Gendersprache]“. | |
Diese Konstruktion suggeriert, dass Gender erst dann ein linguistisches | |
Thema sei, wenn es um die sprachliche Repräsentation von inter*, trans* | |
oder genderqueeren Menschen geht. Oder dass es eben darum ginge, noch einen | |
Schritt weiter zu gehen und diese Lücke zu markieren, die der deutschen | |
Grammatik eingeschrieben ist. So schlug es [2][Steffen Kitty Herrmann] 2003 | |
mit dem Unterstrich im Essay „Performing the Gap – Queere Gestalten und | |
geschlechtliche Aneignung“ vor. | |
Anders als das Anheften von „Gender“ an „Sprache“ suggeriert, kann | |
allerdings nicht davon die Rede sein, dass Deutsch vor der Einführung des | |
Gender-Gaps je eine ungegenderte Sprache gewesen sei: überall gegenderte | |
Artikel, Pronomen und Wortendungen – und genau das ist ja das Problem. | |
Auf Nachrichtenportalen stolpere ich immer wieder über Ausdrücke wie | |
„Gendersprache“ und „Genderverbot“ – auch weil dort oft dpa-Meldungen… | |
Beispiel zu Sprachregelungen für Verwaltungen oder Schulen, einlaufen und | |
dann per Dachzeile, Überschrift und Teaser gemeldet werden. | |
Wenn diese Meldungen allerdings die Sprache derer übernehmen, die | |
politische Regelungen treffen sowie gendergerechte Sprache aus dem | |
Sprachbild verbannen – und das ohne zu zitieren –, wird das Vokabular | |
dieser Kampagnen immer ein Stück weiter normalisiert. Dessen sollten wir | |
uns in den Redaktionen der Zeitungen und Nachrichtenportale und auch in den | |
Nachrichtenagenturen bewusst sein, auch wenn es mit einer Meldung mal | |
wieder schnell gehen muss. | |
Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug | |
lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an | |
orthografische Regeln zu stellen. Sei es in der Berichterstattung oder beim | |
Schreiben im Allgemeinen. | |
Ich finde an dieser Stelle die Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin | |
unheimlich inspirierend. Sie erfand nicht nur Welten, in denen Gender sich | |
nicht über Sprache herstellt, sondern sie beschäftigte sich in ihren | |
Workshops, Essays und Büchern über das Schreiben mit Stil. Grammatik war | |
für sie dabei immer untrennbar in die Art und Weise eingeflochten, wie wir | |
denken und „Welten machen“. | |
In ihrem 1998 erschienenen Buch [3][„Steering the Craft: A Twenty-first | |
Century Guide to Sailing the Sea of Story“], sprach sie von „Grammar | |
Bullies“, also „Grammatik-Bullies“. Mit dieser Figur beschrieb sie die | |
Haltung, mit der das genderneutrale „they“ im Englischen immer wieder mit | |
Verweis auf Singular und Plural abgelehnt wurde, ganz egal wie oft selbst | |
Shakespeare es in seinen Theaterstücken verwendet hatte. | |
Le Guin nannte diese Gatekeeper hier auch „Grammarians“. Allein vom Klang | |
her erinnert das an die Bevölkerung eines dystopischen Planeten, auf dem es | |
jedes Mal Stromschläge setzt, wenn gegen das große Buch der Sprache | |
verstoßen wird und Grammatik-Bullies zu Gender-Bullies werden. | |
Ich finde sie scary, diese „Grammatikarianer“ – ums es mal ganz tief im | |
generischen Maskulinum versunken auszudrücken. | |
Welche Schätze könnten wir beim Segeln über die Meere der Sprachen und | |
Erzählungen noch alle heben, wenn es mal nicht um die „Integrität“ einer | |
Sprache ginge, die als gegeben angesehen wird, sondern um eine Sprache, mit | |
der wir es lieben zu arbeiten. | |
16 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Anti-Gender-Volksinitiative-wehrt-sich/!6014821 | |
[2] /Archiv-Suche/!5218668&s/ | |
[3] https://www.ursulakleguin.com/steering-the-craft | |
## AUTOREN | |
Noemi Molitor | |
## TAGS | |
Kolumne Subtext | |
Gendern | |
Sprache | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Gendern | |
Kolumne Subtext | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
Kolumne Subtext | |
Schwerpunkt AfD | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Akzente und Rassismus: Sexy, kompetent oder ungebildet | |
Welches Vorurteil Menschen über einen haben, hängt oft davon ab, ob man | |
akzentfrei spricht. Und davon, woher der Akzent stammt. | |
Gerechte Sprache im Landkreis Rotenburg: Marco Prietz ist jetzt Landrätin | |
In einer Dienstanweisung des Landkreises Rotenburg (Wümme) wird jetzt | |
durchgehend die weibliche Form benutzt. Beschlossen hat das ein CDU-Mann. | |
Vom Anfangen und Beenden: „Guck dahin“ | |
Zum Abschied schaut unsere Kolumnistin nicht zurück, sondern auf das, was | |
alles zusammenhält: Solidarität und Selbstbehauptung in der Community. | |
Geschlechterunterschiede bei Olympia: Leider immer noch kein Bruch | |
Bei Olympia müssen sich Sportlerinnen Tests zur Geschlechtsüberprüfung | |
unterziehen. Bei den Männern fragt niemand nach körperlichen Vorteilen. | |
„Older Wiser Lesbians“: Nachtbaden mit Eulen | |
O.W.L.s sind zum geflügelten Wort in der queeren Community geworden. Das | |
ist nur logisch, denn Eulen sind schöne, kluge und sogar schwimmfähige | |
Wesen. | |
Politischer Widerstand an der Schule: Wie Kinder protestieren lernen | |
Rechte Politiker versuchen den kindlichen Gerechtigkeitssinn zu ersticken. | |
Dabei sollte der gefördert werden – besonders jetzt. |