# taz.de -- Filmemacherin über russischen Abzug: „Dieser Ort ist eine Mahnun… | |
> Im August 1994 verließen die russischen Truppen die BRD, im | |
> brandenburgischen Wünsdorf war ihr Hauptquartier. Sylvia Rademacher kennt | |
> die einst verbotene Stadt gut. | |
Bild: Zurück in die Heimat: ein russischer Offizier packt 1994 in Wünsdorf se… | |
taz: Frau Rademacher, [1][Wünsdorf ist geprägt von Militär und Besatzung]. | |
Es war auch ein Stück weit Sowjetunion in der DDR. Vor 30 Jahren sind die | |
letzten russischen Soldaten abgezogen. Für Sie ist dieser Ort zur | |
Lebensaufgabe geworden. Warum? | |
Sylvia Rademacher: Als Studentin der Filmhochschule Potsdam war ich zum | |
ersten Mal hier im Studentensommer. Das waren zu DDR-Zeiten obligatorische | |
Arbeitseinsätze für alle Studenten. Wir haben Kabelgräben geschippt, | |
jenseits der Bahnlinie, im deutschen Bereich. Und auf der anderen Seite der | |
Bahn war der sowjetische Bereich. Und da war eine Schranke und du bist da | |
nicht hingekommen. Das wusste man. Da hast du dir auch nicht so große | |
Gedanken gemacht. Ich hätte mir als Studentin damals nicht träumen lassen, | |
dass ich irgendwann in Wünsdorf wohne. | |
taz: Wann sind Sie hierhergezogen? | |
Rademacher: Ich bin vor einem Vierteljahrhundert hergekommen und ich habe | |
immer versucht, da, wo ich hingegangen bin, die Dinge für mich zu | |
absorbieren. Wenn man nur ein paar Hundert Meter von der Bunkeranlage | |
entfernt wohnt, ist das natürlich ein Thema. | |
taz: Und dann sind Sie in dieses Thema reingewachsen? | |
Rademacher: Ich habe hier erst einmal Führungen gemacht, freiberuflich. | |
taz: Was erzählen Sie über die sowjetische Besatzung? | |
Rademacher: Im Sommer 1952 wurde der militärische Sitz des Oberkommandos | |
der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland von Potsdam-Griebnitzsee | |
nach Wünsdorf verlagert. Nach und nach erfolgte dann der Umzug in die | |
Kasernen der ehemaligen Wehrmachts-Panzertruppen. In die Mitte der | |
Bunkeranlage Maybach I, die 1937 bis 1939 im Auftrag der Wehrmacht | |
errichtet wurde, baute man neue Gebäude hinein. Hier war die 16. Luftarmee | |
stationiert, die Luftüberwachung und die Luftverteidigung, auch für den | |
Bereich DDR. Seit Mitte der achtziger Jahre gab es einen noch größeren | |
Schutzraum, wo dann die Luftüberwachung stattfand. Dort liefen sämtliche | |
Informationen zusammen. Das alles kann man besichtigen. | |
taz: Es war also vor allem eine Informationszentrale? | |
Rademacher: Ja, und das Ganze ging dann, abgespeckt, bis 1994. Schon zwei | |
Jahre zuvor hat man mit dem Rückbau begonnen. Die Russen sind nicht | |
schlagartig im August 1994 raus und haben alles stehen und liegen lassen. | |
Das war ein mehr oder weniger geordneter Rückzug. | |
taz: Was interessiert die Leute besonders, die Bunkeranlagen? | |
Rademacher: Natürlich auch die Bunker. Es gibt auch welche, die sind auf | |
Lost Places aus. Aber so etwas Verlorenes sind wir gar nicht. Die Leute | |
können, außer montags, Bunkerführungen machen in allen Variationen. Die | |
Leute sind an der Geschichte interessiert. | |
taz: Es geht nicht nur um die sowjetische Besatzung? | |
Rademacher: Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, an dem sich | |
Militärgeschichte abgespielt hat. Wer sich für Geschichte interessiert, | |
weiß, dass hier das Oberkommando des Heeres gesessen hat, hier wurde der | |
Plan „Barbarossa“ für den Angriff auf die Sowjetunion ausgearbeitet, und | |
später war es der Hauptsitz der Weststreitkräfte der Sowjetarmee. | |
taz: Präsent ist aber vor allem die sowjetische Zeit. | |
Rademacher: Die sowjetischen Hinterlassenschaften sind so präsent, weil die | |
Sowjets so lange hier waren. Doch allzu viel verändert haben sie nicht. | |
Viele der Bauten, auch das Haus der Offiziere, sind schon 1916 in Betrieb | |
genommen worden. Die Geschichte spiegelt nicht nur die sowjetische Zeit | |
wider. Der Bogen spannt sich von der Kaiserzeit bis heute. | |
taz: Und trotzdem ist Wünsdorf stark überformt durch die Sowjetunion? | |
Rademacher: Das schon. Wünsdorf war schließlich der Sitz der Westgruppe der | |
sowjetischen Streitkräfte. Aber die Erinnerung im Ortsbild verblasst immer | |
mehr. Deswegen haben wir hier in diesem Frühjahr zum 30. Jahrestag des | |
Abzugs eine Ausstellung gemacht. Die Resonanz war enorm. Wir konnten | |
übrigens auch Tausende Fotos verwenden, die uns ehemalige Soldaten | |
zugeschickt haben. Wir haben gestaunt, dass es so viele gibt. Der Kurator | |
ist derzeit dabei, daraus ein Buch zu machen, das im Herbst erscheinen | |
soll. | |
taz: Stimmt der Eindruck, dass sich vor allem Ostdeutsche für diesen Teil | |
der Geschichte interessieren? | |
Rademacher: Wir haben einen großen Mix an Besuchern. Das merkt man, wenn | |
die Urlaubszeit beginnt. Es kommen Holländer, Schweizer, Polen, sehr viele | |
Leute aus Süddeutschland. Es waren übrigens auch schon viele Russen hier, | |
die hier stationiert waren. Die kamen mit ihren Kindern oder Enkeln und | |
waren immer ganz begeistert. Dass hier nur Ostdeutsche kommen, stimmt | |
nicht. | |
taz: Wie erinnern sich denn die Einheimischen an das sowjetische Wünsdorf? | |
Rademacher: Man hat ja große Umwege gehen oder fahren müssen. Du konntest | |
nicht auf der B 96 mitten durch Wünsdorf fahren. Da stand dann plötzlich | |
ein Schlagbaum. Ein älterer Herr erzählte mir, dass einmal Soldaten mit | |
ihrem Geländewagen in seinen Gartenzaun gerauscht sind. Am nächsten Tag | |
sind sie wiedergekommen, haben den Zaun repariert und noch eine Flasche | |
Wodka auf den Tisch gestellt. Damit war es erledigt. | |
taz: Die Sowjets haben die Dinge eher nach Gutsherrenart gelöst? | |
Rademacher: Ich glaube, das ist ein falsches Bild, das vor allem im Westen | |
existiert und vielleicht auch bewusst falsch erzählt wird, in der Art: Der | |
Russe an sich ist böse. Als ich noch als Journalistin arbeitete, habe ich | |
mit einem Offizier der Bundeswehr gesprochen, der damals von | |
bundesdeutscher Seite den Abzug mit verantwortet hat. Und er hat mir | |
gesagt: Wir alle haben gedacht, die Russen „tragen Hörner unterm Hut“. So | |
ist es ihnen ja über Jahrzehnte erzählt worden. | |
taz: Glauben Sie, dass es einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen Ost | |
und West gibt? | |
Rademacher: Auf jeden Fall! Im Osten hat man mit ihnen gelebt, und daher | |
glaube ich, dass es den Menschen im Osten eher bewusst ist, welche Rolle | |
die Sowjetunion beim Sieg über die Nazis gespielt hat und was wir den | |
Soldaten zu verdanken haben. | |
taz: 30 Jahre nach dem Abzug der Russen präsentiert sich Wünsdorf | |
vollkommen friedlich. Das könnte sich möglicherweise wieder ändern. Hat | |
sich das Heimatschutzministerium schon für die Bunker interessiert? | |
Rademacher: Die Frage ist, ob ich sie dann reinlassen würde. Außerdem hat | |
der Bunker ja ein Loch, das müsste repariert werden. Das Ganze steht unter | |
Denkmalschutz, außerdem müssten sie uns dann auch noch enteignen. | |
taz: Wir hätten erwartet, dass Sie das kategorisch ablehnen. | |
Rademacher: Ich bin auch dagegen. Dieser Ort ist eine Mahnung, dass man | |
nicht so unbedarft in irgendwelche Kriege schlittern sollte! | |
10 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
Edith Kresta | |
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