# taz.de -- Sommerpressekonferenz: Scholz hat die Symbolik umgekehrt | |
> Wo Merkel einst ihren berühmten Satz sagte, kündigt der Kanzler nun | |
> Abschiebungen nach Syrien an – und hat damit den Anschluss zur Mitte | |
> verloren. | |
Bild: Fließende Übergänge zwischen Arroganz und Munterkeit: Bundeskanzler Ol… | |
Olaf Scholz baut seinen Ruf als Abschiebekanzler aus, dafür ist ihm nicht | |
einmal die Symbolik der Berliner Sommerpressekonferenz zu schade: Neun | |
Jahre ist es her, dass hier mit Angela Merkel eine Bundeskanzlerin von der | |
CDU zur Aufnahme von Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan die Losung | |
ausgab: [1][„Wir schaffen das.“] Scholz, ihr Nachfolger von der SPD, nutzte | |
dieselbe Bühne am Mittwoch für die Ankündigung, [2][dass Deutschland bald | |
wieder nach Syrien und Afghanistan abschieben werde.] | |
Beim Thema Migration, aber auch beim Krieg in Gaza zeigt sich, dass der | |
Kanzler wirklich so unfähig zur Empathie ist, wie es ihm nachgesagt wird. | |
Damit wird er bei der kommenden Wahl nicht bestehen – auch wenn er es | |
selbst nicht wahrhaben will und schon mal ankündigte, wieder kandidieren zu | |
wollen. | |
[3][Der Bundeskanzler verbuchte es als seinen Erfolg, dass in diesem Jahr | |
die Abschiebezahlen um 30 Prozent gestiegen sind.] Scholz wirkte bei der | |
Pressekonferenz sichtlich froh über diese Leistung. Rhetorisch ist er damit | |
nah bei Horst Seehofer, der sich 2018 als Innenminister von der CSU über 69 | |
Abschiebungen nach Kabul an seinem 69. Geburtstag gefreut hatte, während | |
zeitgleich die Taliban das Land zurückeroberten. Es ist kaum vorstellbar, | |
dass innerhalb der SPD diese Analogien nicht auch gesehen werden. Nur was | |
folgt daraus? | |
Vermutlich nichts. Fast wirkt es, als seien die progressiven Kräfte in | |
Deutschland entweder zu ausgebrannt für jegliche Debatte oder einfach faul | |
geworden. Dass Scholz diese intellektuelle Langeweile gut verkörpert, ist | |
nichts Neues. Tragisch ist aber seine gleichzeitige Selbstverliebtheit, die | |
ihn tatsächlich blind zu machen scheint. Wer keine humanistischen | |
Positionen vertreten will, sollte wissen, dass sich in Deutschland auch mit | |
humanistischer Rhetorik Wahlen gewinnen lassen – Merkel wusste das und | |
setzte es geschickt ein. | |
## Ein außenpolitischer Hammer | |
Mit ihrem Auftritt bei der Sommerpressekonferenz 2015 wurde sie zu einem | |
Symbol einer neuen deutschen Integrität und Menschlichkeit und konnte damit | |
auch in der progressiven Mitte Wahlen gewinnen. Scholz hat diese Gruppe | |
verloren. | |
Mit seinen Argumenten ließ der Kanzler mal wieder tief blicken. Beim Thema | |
Migration gab er neben der Abschiebeoffensive die Interpretation zum | |
Besten, Immigration müsse sich für Deutschland lohnen, denn es könne nicht | |
sein, dass sich „hier jemand einen bequemen Lenz macht“. | |
Deutschland brauche Leute, „die hier gut reinpassen, die fleißig sind“. Wer | |
genau hinhört, kann hier die dog whistle des Kanzlers vernehmen, mit der er | |
für Kenner darlegt, dass „Abschiebungen“ und „faule Ausländer“ kein | |
unzusammenhängendes Begriffspaar mehr sein muss. | |
Außenpolitisch hatte Scholz etwas zu präsentieren, das sich noch als echter | |
außenpolitischer Hammer entpuppen könnte. Gemeint ist hier nicht sein | |
Festhalten an Waffenlieferungen nach Israel, das an sich schon einer | |
moralischen Bankrotterklärung gleich kommt. | |
## Moralische Bankrotterklärung | |
Gemeint ist die „Vorbereitung“ von Abschiebungen von Syrer*innen, die eine | |
Zusammenarbeit mit der syrischen Administration und dem Schlächter Baschar | |
al-Assad voraussetzen würde. Glauben der Kanzler und seine Partei | |
ernsthaft, mit solchen moralischen Verrenkungen aus dem Umfrageloch zu | |
kriechen – und wenn ja, wäre es das wert? | |
Der moralische Kompass des Kanzlers braucht eine Neujustierung. Das zeigte | |
sich auch bei Scholz Antworten zum Krieg in Gaza [4][und dem Gutachten des | |
Internationalen Gerichtshofs, das Israels Siedlungspolitik als | |
völkerrechtswidrig bewertet hatte.] Scholz spulte den deutschen | |
Standard-Sprech ab, Deutschland stehe weiter hinter einer | |
Zwei-Staaten-Lösung und führe Gespräche mit beiden Seiten. | |
Dass es für die verbliebenen progressive Kräfte auf jenen „beiden Seiten“ | |
in Israel und Palästina ein Schlag in die Magengrube ist, dass Deutschland | |
weiterhin Waffen an die israelischen Streitkräfte liefern würde, ist dem | |
Kanzler sichtlich egal. | |
25 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Cem-Odos Güler | |
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