# taz.de -- Dialog mit Syriens Assad: Mit schmutzigen Händen | |
> Baschar al-Assad ist ein Kriegsverbrecher und Diktator. Aber unter den | |
> Sanktionen leidet vor allem sein Volk. Sollte man lieber mit Assad reden? | |
Bild: Mit dem Diktator reden? Der Kriegsverbrecher Baschar al-Assad | |
Ja, findet Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, muss leider | |
sein. Schallenberg ist der Sprecher von insgesamt acht EU-Ländern, die | |
innerhalb der Union eine Neubewertung im Umgang mit Syrien fordern. „Wir | |
brauchen eine Grundsatzdebatte über Syrien ohne Scheuklappen“, sagte er der | |
Welt. Schallenberg ist gemeinsam mit seinem italienischen Kollegen Antonio | |
Tajani Wortführer von acht konservativen bis rechten Regierungen, die vor | |
allem eins im Sinn haben: die Rückführung syrischer Flüchtlinge. | |
Der Vorstoß rechter Regierungen auf EU-Ebene (Österreich, Italien, | |
Griechenland, Zypern, Tschechien, Slowakei, Slowenien und Kroatien) ist | |
aber nicht das einzige Indiz dafür, dass sich im Verhältnis zum syrischen | |
Diktator Baschar al-Assad allmählich der Wind dreht. | |
Auch die Bundesregierung will „kriminelle Syrer“ wieder abschieben, und | |
erstmals hat jetzt das Oberverwaltungsgericht Münster im Falle eines aus | |
einem kurdisch kontrollierten Gebiet in Syrien stammenden Klägers | |
geurteilt, er könne keinen Anspruch auf Schutz mehr erheben. Vor zwölf | |
Jahren haben die EU-Regierungen ihre diplomatischen Beziehungen zum | |
syrischen Regime auf Eis gelegt. Jetzt hat Italien angekündigt, wieder | |
einen Botschafter nach Damaskus zu schicken. | |
## Ein Albtraum … | |
Assad hatte zunächst friedliche Proteste brutal niederschlagen lassen und | |
dadurch einen Bürgerkrieg provoziert, bei dem Hunderttausende getötet und | |
Millionen Menschen vertrieben wurden. Assad schreckte nicht davor zurück, | |
Giftgas gegen seine Gegner einzusetzen, er ließ gefangene Regimekritiker | |
massenhaft foltern, und in von Rebellen kontrollierten Gebieten wurden | |
Krankenhäuser und Schulen systematisch bombardiert. Baschar al-Assad ist | |
ein Kriegsverbrecher. Die im Laufe des Bürgerkriegs immer stärker werdende | |
religiöse Komponente hat aber auch dazu geführt, dass Assads Gegner vor | |
Grausamkeiten ebenfalls nicht zurückschreckten. | |
Nach rund 13 Jahren Krieg ist Syrien ein zerstörtes Land, in dem der größte | |
Teil der Menschen noch nicht einmal ausreichend zu essen hat, geschweige | |
denn eine auskömmliche Arbeit oder die Möglichkeit einer Ausbildung. Auch | |
wenn das Assad-Regime den wichtigsten Teil des Landes wieder unter seine | |
Kontrolle gebracht hat, hält die Türkei zusammen mit verbündeten | |
islamistischen Milizen Teile Nordsyriens besetzt und der Osten und | |
Nordosten Syriens werden – mit Unterstützung der USA – weitgehend von | |
kurdischen Milizen beherrscht. Mit anderen Worten: das Ergebnis des Krieges | |
ist ein Albtraum. | |
Angesichts der jüngeren Kriege und Krisen hat die Welt die Gräuel von | |
Syrien weitgehend vergessen. Die arabische Liga hat Baschar al-Assad im Mai | |
letzten Jahres wieder in ihre Reihen aufgenommen, ihm wurde applaudiert, | |
auch von Golfstaaten, die jahrelang seine Todfeinde finanziert hatten. | |
Russland, Iran und China gehören sowieso zu seinen Freunden. | |
## … der in Vergessenheit gerät | |
Im Moment ist es der Frontstaat Türkei, lange der wichtigste Unterstützer | |
der islamistischen Gegner Assads, der sich ganz unverblümt [1][um einen | |
Neuanfang bemüht]. Sie alle sind der Meinung, man müsse nach 13 Jahren | |
Krieg der Realität ins Auge sehen und in der sei Assad nun einmal der | |
Sieger. | |
Die USA drängen noch auf Distanz zu Assad, doch seit es Russland gelungen | |
ist, über den sogenannten Astana-Prozess die UN-Friedensverhandlungen ins | |
Leere laufen zu lassen, haben die USA in Syrien nicht mehr viel zu melden. | |
Ihr Interesse besteht hauptsächlich darin, gemeinsam mit Israel dafür zu | |
sorgen, dass in Syrien der iranische Nachschub für die schiitische | |
Hisbollah im Libanon unterbunden wird. Eine Idee für eine Nachkriegsordnung | |
haben sie jedenfalls nicht. | |
Bleibt Europa – das neben den direkten Nachbarn Syriens die meisten | |
Flüchtlinge aufgenommen hat und nach den arabischen Staaten auch das größte | |
Interesse an der Zukunft in Syrien haben müsste. Man muss dem Vorstoß der | |
Schallenbergs und Melonis keine Sympathie entgegenbringen. Aber nur auf dem | |
Standpunkt zu beharren, der Kriegsverbrecher Assad und sein Regime müssten | |
weiterhin geächtet und sanktioniert werden, reicht auf Dauer auch nicht. | |
Damit schreibt man einen Status quo fest, der die Verelendung des größten | |
Teils der syrischen Bevölkerung zur Folge hat. | |
## Bestraft werden die Falschen | |
Der Assad-Clan und seine Günstlinge [2][leben vom illegalen Handel mit | |
synthetischen Drogen] und anderen Schmuggelgeschichten, die Sanktionen | |
betreffen sie nicht und ihre Häuser sind nicht zerstört oder längst wieder | |
instand gesetzt. Für die übergroße Mehrheit aber sind Sanktionen, | |
Handelsbeschränkungen und die Weigerung, in den Wiederaufbau Syriens zu | |
investieren, die Garantie dafür, dass sie im Elend bleiben. In einer | |
solchen Situation kehrt kein Flüchtling „freiwillig und in Würde zurück“, | |
wie Schallenberg und Meloni uns glauben machen wollen. | |
Wer es diesen rechten Regierungen überlässt, mit Assad zu reden, riskiert, | |
dass [3][Deals zur Rückführung von Flüchtlingen] gemacht werden, die deren | |
Sicherheit nicht berücksichtigen. Diese wären das Papier nicht wert, auf | |
dem sie stehen. Eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen ist nur denkbar, | |
wenn sich die Lebensverhältnisse in Syrien verbessern. Dafür, so | |
schmerzlich es ist, muss man wohl tatsächlich auch mit Assad reden. | |
Assad wird keinen Prozess zulassen, der seine Macht infrage stellen könnte. | |
Aber wenn man bereit ist, sich die Hände schmutzig zu machen, sind | |
vielleicht unterhalb dieser Ebene schrittweise Verbesserungen für die | |
Bevölkerung möglich. Ein Neuanfang ist mit Assad nicht möglich. Aber | |
[4][diejenigen Staaten in der EU], denen es nicht nur darum geht, syrische | |
Flüchtlinge loszuwerden, sollten sich auf Dauer nicht der Notwendigkeit | |
verschließen, mitzuhelfen, in Syrien wenigstens die schlimmsten Wunden zu | |
heilen. Das ist auch mittelfristig der einzige Weg, etwas gegen die Flucht | |
aus Verzweiflung zu unternehmen. | |
30 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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