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# taz.de -- Drogenschmuggel aus Syrien: Assads Sucht-Potenzial
> Syrien flutet die Region mit Captagon und immer häufiger auch mit Waffen.
> Das Transitland Jordanien versucht, dem Schmuggel etwas
> entgegenzusetzen.
Bild: 84 Millionen Pillen hat die italienische Polizei 2020 beschlagnahmt. Die …
Am 18. Januar, früh am Morgen, erscheinen in der Dunkelheit
Militärflugzeuge am Himmel über dem Dorf Orman, im ländlichen, südlichen
Syrien. Sie feuern auf drei Häuser. Zurück bleiben Krater im Boden, Häuser
in Trümmern und tote Familien, unter ihnen [1][zwei kleine Mädchen].
Es ist der bisherige Höhepunkt eines „unausgesprochenen Krieges“, [2][der
sich seit Monaten, vielleicht Jahren, an der Grenze Jordaniens] zu Syrien
abspielt. Dabei geht es um [3][illegalen Handel]: mit Drogen, aber auch
Waffen. Kein Land hat sich zum Luftschlag bekannt. Doch
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, das den Vorfall
untersucht und rekonstruiert hat, zeigen auf die jordanische Armee.
Jordanien wiederum hat den Angriff weder bestätigt noch dementiert.
In den vergangenen Monaten hat sich die Lage an der jordanisch-syrischen
Grenze zugespitzt. Im Dezember hat die Armee einen der größten Drogen- und
Waffenschmuggelversuche aus Syrien vereitelt. Mit Raketen, Panzerfäusten
und Sturmgewehren bewaffnete Gruppen von Männern hatten versucht, am frühen
Morgen die Grenze in der östlichen Wüste zu überqueren. Als
Militärpatrouillen sie entdeckten, sollen sie das Feuer eröffnet haben. 14
Stunden lang haben sich die Gefechte hingezogen.
Als sich die Männer zurückziehen, fliegt die Armee offenbar Kampfflugzeuge
über die syrische Grenze, zerbombt Häuser von mutmaßlichen Schmugglern bei
Suweida und Dara'a. Das legen Medienberichte nahe.
## Jetzt gilt: Shoot to kill
Seit vergangenem Jahr scheint Jordanien mehrere Luftangriffe in Syrien
durchgeführt zu haben, hat sich jedoch selten offiziell dazu geäußert.
Dabei dürften auch Unbeteiligte gestorben sein. Human Rights Watch
konstatiert: „Die Luftschläge, die Frauen und Kinder getötet haben,
scheinen außergerichtlichen Hinrichtungen gleichzukommen.“
Die Auseinandersetzungen an der 375 Kilometer langen syrisch-jordanischen
Grenze haben an Intensität gewonnen. Bereits 2022 hatte das jordanische
Militär seine Einsatzregeln geändert, nachdem [4][einer ihrer Soldaten
getötet] worden war. Seitdem gilt Shoot-to-kill: Jetzt schießen die
Soldaten, um zu töten.
Mitte Februar wurden fünf mutmaßliche Schmuggler umgebracht. Meistens
kommen Drogen wie Captagon über die Grenze: [5][2023 hat das Militär 19
Millionen Pillen konfisziert], 2021 waren es 15,5 Millionen. Bei der
Schlacht im Dezember waren es 4,9 Millionen, schreibt die
Nachrichtenagentur Petra.
Captagon ist eine synthetische Droge, ein Amphetamin. Es macht wach,
munter, mutiger. Das Kokain des armen Mannes: So nennt man es hier, auf den
Straßen. Früher bei Dschihadisten beliebt, heute bei Lkw-Fahrern,
ausgelaugten Fabrikarbeitern und Partygängern. Über die ganze arabische
Halbinsel hinweg wird es konsumiert. Die Kämpfer der islamistischen Hamas
sollen es vor ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober geschluckt haben.
## Mitglieder des Regimes stecken mit drin
Das schreiben Medienberichte und berufen sich dabei auf US- und israelische
Militärquellen, wenngleich manche Expert*innen skeptisch sind: „Es gab
keine offizielle Stellungnahme, kein Bild oder toxikologischen Test, die
den ursprünglichen Bericht untermauert haben“, sagt etwa Caroline Rose vom
US-Thinktank New Lines Institute.
Als ziemlich erwiesen gilt hingegen der Ursprung der Pillenflut, die gerade
Nahost überschwemmt. Zusammen mit dem Libanon zählt vor allem Syrien zu den
größten Produzenten weltweit. „Eine Vielzahl von Akteuren, staatlich sowie
nichtstaatlich“ profitierten von diesem Schmuggel, erklärt Rose.
Großfamilien in Libanon und Syrien, doch auch [6][Mitglieder des syrischen
autoritären Regimes].
Ein Name taucht immer wieder in Captagon-Berichten auf: Maher al-Assad,
Bruder des Präsidenten Baschar al-Assad. Maher leitet die
Elitemilitäreinheit [7][Fourth Armoured Division], seit 2011 hat die EU
Sanktionen gegen ihn verhängt für die brutale Unterdrückung der Proteste.
Mehrere Untersuchungen, von Medien wie der britischen BBC, aber auch des
US-Finanzministeriums, weisen auf eine prominente Rolle der Fourth Division
beim Schmuggel hin.
Assads Familie und die syrische Regierung haben eine Verstrickung in den
Drogenhandel jedoch stets bestritten. Doch manche Gebiete in den Regionen
unter Kontrolle des Regimes seien regelrechte „Hubs“ für die industrielle
Captagon-Produktion, so Rose.
## Billige Tabletten mit zwei Halbmonden
2018 haben griechische Küstenwächter ein Schiff auf dem Weg vom syrischen
Hafen von Latakia nach Libyen angehalten, an Bord fanden sie drei Millionen
Captagon-Pillen und sechs Tonnen Cannabis. Wert: 100 Millionen Euro.
Eigentümer des Schiffes war Taher al-Kajali, syrischer Geschäftsmann unter
US-Sanktionen für seine Unterstützung des Regimes. Al-Kajali hat laut
Medienberichten jede Verwicklung verneint und wurde damals nicht
verurteilt.
Captagon ist ein lukratives Geschäft. 57 Milliarden US-Dollar soll der
weltweite Handel laut der britischen Regierung wert sein. Andere
Expert*innen sind zurückhaltender, schätzen ihn auf etwa zehn
Milliarden. Die Pillen werden in Kellern und Lagern mit relativ günstigen
Maschinen für etwa 50 US-Cent pro Stück produziert, für den Endkunden
kosten sie zwischen 1 und 25 US-Dollar pro Pille, je nach Qualität und
Herkunftsland.
Und Syrien, nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg, Sanktionen und einer
zerrütteten Infrastruktur, hat einen hohen Geldbedarf. Die Iran-nahe
Hisbollah und weitere Milizen unterstützen laut Expert*innen ebenfalls
den Handel als Einkommensquelle. Sowohl der Iran als auch die Hisbollah
haben eine Verwicklung stets verneint.
Zunehmend finden die kleinen runden Pillen mit zwei Halbmonden ihren Weg
nach Europa. Ende Oktober haben Beamte 300 Kilo in einer Garage nahe Aachen
beschlagnahmt, der bislang größte Fund auf deutschem Boden. Das sorgte für
Unruhe.
## Pillen in der Dattelpaste
Denn Captagon macht nicht nur wach, sondern auch abhängig. Langfristiger
Missbrauch kann Herz- und Blutdruckprobleme sowie Halluzinationen
verursachen. Bislang gilt Europa lediglich als Transitgebiet auf dem Weg
nach Saudi-Arabien und in die Golfregion. Die europäische Route ist
allerdings nur eine von mehreren.
Seit Jahren überqueren Schmuggler aus Syrien die jordanische Grenze zu den
arabischen Golfstaaten. Manchmal sind es Menschen, die Lastkraftwagen
steuern, die Karosserie mit Pillen gefüllt, auf der Ladefläche mit
Tabletten gestopfte Holztische, Baumaterialien und Bettgestelle oder mit
Pillen versetzte Dattelpaste.
Manchmal sind es kleine Drohnen, die Drogenhändler über die Grenze fliegen.
Und manchmal sind es Gruppen von Menschen, die mit einer Lieferung
Drogenpakete auf den Schultern und Gewehren in der Hand die einsame Leere
der Wüste ausnutzen, um unbeobachtet über die Grenzmauer zu klettern oder
über Erdwälle zu fahren. Ein Bild der Verhafteten, das das Militär kürzlich
verbreitet hat, zeigt acht Männer mit zerzausten Haaren, ernster Miene,
Schmutz im Gesicht und Sand auf den Hosen.
Doch es sind nicht nur Drogenpakete, die die Grenze überqueren. Sondern
auch Waffen. In welche Hände sie gelangen, ist unklar.
## Ein Netzwerk von Mitverdienern
In einem Haus, irgendwo in der nördlichen Provinz von Mafrak, etwa 20
Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, sitzen vier Männer in einem
Raum und unterhalten sich. Über die neuste Sorte Meth, über Lieferungen.
Über Geld. Einer von ihnen ist ein Zwischenhändler, ein Verteiler, alle
sind irgendwie im Geschäft – nur nicht offiziell. Darum reden die vier
Männer in Gegenwart der taz nie über sich selbst, sondern nur in dritter
Person. Zu groß ist die Gefahr, dass die Aufzeichnungen der Gespräche beim
Falschen landen.
Ein offiziell arbeitsloser, sportlich gebauter Mann mit hochgezogener
Kapuze und glitzerndem Ring am Finger sagt der taz: „Schau, es gibt große
Dealer, kleinere Verteiler, und Leute, die verkaufen an Menschen, die sie
kennen. Es ist wie ein Netz.“ Von Syrien aus landen die Tabletten, in Lkws
versteckt, an verschiedenen jordanischen Orten nahe der Grenze, bevor sie
größtenteils nach Saudi-Arabien weitertransportiert werden. Dort kann man
die Pillen mindestens um einen Euro teurer verkaufen.
Der Bezirk Mafrak ist dabei ein wichtiger Knotenpunkt. Von diesem Handel,
vom Drogenhandel, profitieren nicht nur die Produzenten in den jeweiligen
Staaten, sondern auch lokale Stämme, die den Handel betreiben und
überwachen, korrupte Beamte und die einzelnen Dealer. Das bestätigen
mehrere Quellen. „Es ist wie ein Kreis“, sagt einer der vier Männer. Er hat
ein jungenhaftes Gesicht.
Die Menschen, die in der syrischen Wüste das Drogengeschäft überwachen
seien teilweise bidun, wie sie auf Arabisch genannt werden, übersetzt etwa
Menschen ohne Identität. Staatenlose, die in Häusern mitten in der
syrischen Wüste geboren werden und deren Geburt nicht registriert wird. Sie
sind damit quasi für den Job geboren – oder dazu verdammt.
## Im Dunst der Wüste
Manchmal sind es syrische Lkw-Fahrer, die mit dem Schmuggelgeschäft ihre
schmalen Gehälter aufrunden. Manchmal Mitglieder beduinischer Familien.
Mehrere Tausend Euro pro Monat kann der Job einbringen. Manchmal ließen
sich Schmuggler mit kleineren Päckchen erwischen, damit andere, größere
durchkämen. Manchmal warte man auf den richtigen Moment: einen korrupten
Beamten, einen Sandsturm.
Der feine Sand der Wüste, dieser rosarote Dunst, der bei jeder Brise
aufwirbelt und zu Sonnenuntergang die spärlichen Häuser am Horizont wie
dünner Nebel einhüllt, bis Himmel und Erde kaum mehr zu unterscheiden sind,
dieser Nebel hilft dem Geschäft. Er bietet optimale Bedingungen, um die
Grenze ungesehen zu überschreiten.
Raketenwerfer, Schützenminen, Sprengstoff tragen die Drogenhändler manchmal
auch bei sich. „Hier in Jordanien besitzen viele Menschen Waffen. Auf dem
Schwarzmarkt kommen sie auch aus Syrien. Meistens bleiben sie aber in
Jordanien“, sagt der Mann im Hoodie. Es gab jedoch Fälle, in denen sich die
Waffen von Jordanien aus weiter einen Weg bis in die Westbank bahnten. Der
prominenteste Fall war ein jordanischer Parlamentarier, Imad al-Adwan, der
2023 mit über 200 Pistolen und Gewehren im Gepäck ins Westjordanland reisen
wollte.
Sicherheitsexperten sind besorgt. So wie Said Ejadat, Direktor des Zentrums
für Strategische Studien der Jordanischen Universität in Amman. Man habe
eine neue Welle des Drogen- und Waffenschmuggels aus Syrien gesehen, der
die geografische Position Jordaniens und die Lage in Gaza nutzt, erläutert
er. „Diese Gruppen dachten, dies könnte der richtige Zeitpunkt sein.“
## Waffen fürs Westjordanland?
Während der Weg der Drogen relativ klar ist, ist bei den Waffen vieles
unklar. „Wir kennen die exakte Menge nicht, wir wissen nicht, wer der
Endkäufer ist“, sagt Ejadat. Die Möglichkeit, dass die Waffen im
Westjordanland oder in Gaza landeten, habe zugenommen, schätzt er. Beides,
Waffen sowie Drogen, seien für die gesamte Region gefährlich. „Jordanien
kämpft einen Krieg, um die Stabilität der Region zu schützen.“ Wie lange
das funktionieren wird, ist aktuell die Frage.
[8][„Mit synthetischen Drogen wie Captagon] und Crystal Meth entstehen
neue, langfristige Herausforderungen für das Gesundheitswesen in der
Region“, sagt Expertin Caroline Rose. Und das betrifft nicht nur die
Golfländer. War Jordanien schon immer Transitland, entwickelt es sich
zunehmend selbst zum Markt für den Stoff. Es wird geschätzt, dass etwa ein
Fünftel aller Lieferungen in Jordanien selbst bleibt.
Es ist spät in der Nacht, eigentlich schon früh am Morgen, als der Wagen,
in dem Ahmad* sitzt, über die verwaisten Fahrspuren der Abdoun-Brücke düst.
Links und rechts ziehen die Lichter der Stadt vorbei wie kleine
Glühwürmchen.
Ahmads Ziel ist eine Techno-Party in Westamman, dem wohlhabenden Gebiet der
Stadt. In seiner Tasche liegt eine Zigarette, die er mit Marihuana versetzt
hat. So wie andere junge Erwachsene konsumiert Ahmad, der in Wahrheit
anders heißt, gelegentlich leichte Drogen. Mit Freunden. Zum Abhängen.
„Einmal in der Woche Marihuana, maximal drei, Captagon einmal alle zwei
Monate, auf Partys“, sagt der 30-Jährige. „Niemals allein.“
## Captagon zum Feiern
Aus dem Radio strömt ein chilliger Elektrobeat. „Ich bin nicht abhängig.
Aber ich finde, Treffen mit Freunden sind damit lustiger, alberner. Besser
halt.“ Ahmad will anonym bleiben. Aus Angst, dass er Ärger mit der Justiz
bekommt. In Jordanien drohen bei Drogenkonsum im schlimmsten Fall drei
Jahre Haft und mehrere Tausend Euro Strafe.
Es ist unklar, wie verbreitet die Nutzung von Freizeitdrogen in Jordanien
ist. Daten der Behörden zeigen jedenfalls einen steilen Zuwachs der
angezeigten [9][Drogenverbrechen] im Vergleich zu vor zehn Jahren. Zwischen
2013 und 2022 hat sich diese Zahl verdreifacht, von etwa 6.000 auf 18.000.
2023 lag sie bei etwa 23.000. Eine [10][Umfrage unter jordanischen
Studierenden] aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass etwa 7 Prozent der
Befragten in ihrem Leben Drogen konsumiert haben, inklusive Tabak und
Alkohol. Der Anteil scheint jedoch sehr niedrig, verglichen mit früheren
Studien.
Gut ein Fünftel der Patient*innen in Entzugskliniken nutzte 2020
Captagon. Jenseits der Kriminal- und Rehafälle ist es jedoch nicht leicht,
Daten über den Konsum zu finden. In konservativen, muslimischen
Gesellschaften ist dies ein Tabu, das mit Scham, Schuld und Ehrverlust
behaftet ist. Sicher ist, dass der Verbrauch von Captagon und Crystal Meth
in den letzten Jahren zugenommen hat, wenn auch Marihuana die am meisten
konsumierte Substanz bleibt.
Das bestätigt Ali al-kam, Facharzt für Psychiatrie beim privaten
Al-Raschid-Krankenhaus. „Die üblichsten Drogen unter unseren
Patient*innen sind Aufputschmittel, etwa Captagon, allein oder mit
anderen Stoffen, die eine beruhigende Wirkung haben.“ Er sitzt an seinem
Schreibtisch und blättert nachdenklich in einer Liste, fährt mit seinem
Stift über die Namen.
## Teure Entgiftung
Issa* zum Beispiel, 35 Jahre alt, verheiratet, Kinder, habe mit Cannabis
und Captagon angefangen und sei dann auf Crystal Meth umgestiegen. Eine
synthetisch hergestellte Droge, die kurzfristig Glück erzeugt und
langfristig Psychosen, Halluzinationen, Angststörungen. In Issas Fall war
es die Familie, die ihn eingewiesen hat, nachdem er in paranoiden
Eifersuchtsanfällen seiner Frau drohte.
In Al-Kams Klinik, eingenistet zwischen den Hügeln der Hauptstadt, kommen
vor allem wohlhabende Patient*innen, um sich den Drogen und, für eine
Weile, der Welt zu entziehen. Etwa 5.000 US-Dollar pro Monat kostet im
Schnitt ein Entzug. Dafür müssen sie keine „kalte“ Entgiftung erleben, sie
bekommen etwa bei Bedarf Methadon, damit die Schmerzen und das Verlangen
nicht so heftig sind.
In den weiß gestrichenen Fluren hängen bunte, abstrakte Bilder, in der Luft
liegt ein Geruch von Desinfektionsmitteln und Kaffee. Am Empfang begrüßen
eine lächelnde Frau in weißem Kopftuch und ein junger Mann mit sauber
gestutztem Bart und Hemd ankommende Patient*innen und deren Angehörige.
Draußen ist das Wetter kalt und grau, drinnen die Atmosphäre warm und
pastellfarben.
Etwa 400 bis 500 Einweisungen pro Jahr hat die Klinik. Die Zahl hat sich in
den letzten neun Jahren mehr als verdoppelt. „Das liegt daran, dass die
Stoffe leichter zu kriegen sind, und an der wirtschaftlichen Lage:
Absolvent*innen finden keine Jobs“, erklärt der Arzt. Im Internet gibt
es Videos, die für Captagon werben. Etwa mit jungen, gut angezogenen
Männern auf sanften Wiesen, die Erfolg dank der Pillen versprechen.
„Niedriges Selbstwertgefühl“, sagt al-Kam, sei die Hauptursache für
Abhängigkeit.
## Die Familie distanzierte sich
Gleichzeitig ist es nicht leicht, Hilfe zu suchen. Das Stigma rund um
mentale Gesundheit ist in der jordanischen Gesellschaft fest verankert.
„Fehlende Motivation ist das Schwierigste“, sagt al-Kam. Er spricht ruhig
und langsam. „Mehr als zwei Drittel der Patienten erleben einen Rückfall.“
Nachsorgeprogramme sind hilfreich, können jedoch bis zu zwei Jahren dauern.
Und nicht jeder kann sich einen Entzug leisten. Die meisten
Krankenversicherungen, falls die Patient*innen überhaupt eine haben,
tragen nicht die Kosten für psychische Behandlungen oder zumindest nicht
vollständig. Die private Klinik ist nicht die einzige Option. Drei
Rehabilitationszentren für Drogensüchtige gibt es in Jordanien.
Etwa sechs Kilometer weiter südlich steht ein Gebäude aus weißem Sandstein.
Drinnen sitzt Furkan in einem Raum und erzählt, er habe Drogen genommen,
seit sein Vater vor sieben Jahren starb. Gegen die Traurigkeit. Immer mehr,
in immer höheren Dosen. Captagon, dann Meth. Der Lohn als Verkäufer habe
dafür irgendwann nicht mehr gereicht, dann habe er angefangen zu dealen. An
Freunde, Nachbarn, „vertraute Menschen“. Einen Teil des Stoffs behielt er
für sich.
Irgendwann kamen die Halluzinationen, die Selbstmordgedanken. Er bat seine
Familie um Hilfe, doch die waren mit der Lage überfordert. Als er sich auf
Rat von Bekannten einliefern lässt, wollen ihn Mutter und Geschwister nicht
besuchen. „Die ersten sechs Tage waren am schlimmsten“, erzählt der
25-Jährige in pinkem Hemd und lächelt, der Blick etwas unstet.
## Nicht nur der Körper ist in Behandlung
Noch vor elf Tagen saß Furkan auf einem Bett in einem kahlen, blauen Zimmer
und versuchte, gegen die Schmerzen und das Verlangen anzukämpfen. Jetzt sei
er clean, nehme aber noch Medikamente. Die Familie sei inzwischen
überzeugt, dass es doch eine gute Idee war, dass Furkan hierher kam. Jetzt
besuchten sie ihn zweimal die Woche, sagt er. Seine dunklen Augen glänzen.
Das Behandlungszentrum „Drug Enforcement Administration Addiction Treatment
Center“ wurde bereits 1993 gegründet, es unterliegt der
Drogenbekämpfungsabteilung der Polizei. Die Behandlung hier ist kostenlos
und wer sich einweisen lässt, bleibt von der Strafverfolgung verschont.
Am Eingang des Gebäudes, umgeben von Mauern, stehen junge Soldaten, die
Sturmgewehre über der Uniform. Hinter der Eingangstür wartet Oberstleutnant
Jasan al-Barmawi, der Leiter des Zentrums. In seinem Büro hängen Bilder des
jordanischen Königs in Militäruniform, hinter seinem Tisch hängen die
Flagge Jordaniens und das Symbol der jordanischen Armee.
„Bei einer Behandlung geht es nicht nur um den Körper, sondern auch um die
Psyche, die Umgebung und das soziale Umfeld. Kümmert man sich nur um einen
Aspekt, wird der Patient früher oder später zurückkehren“, betont er.
## Bodybuilding und Töpferkurse
Der Oberstleutnant trägt keine Uniform, sondern eine grüne Sportjacke.
Hinter den Ledersesseln stehen bunte, handgemalte Tontöpfe in einer Reihe.
„Die haben die Patienten getöpfert.“ Al-Barmawi listet mit einem gewissen
Stolz die Programme der Einrichtung auf: Sport, Billard, Fußball, Keramik,
Religion, Schneiderei. „Wir möchten, dass sich die Patienten zu Hause
fühlen.“
In den schlichten Fluren öffnen sich ein Sportraum mit Kraftgeräten und
Plakaten von Bodybuildern, hellblau gestrichene Schlafzimmer, eine
Keramikausstellung, ein leeres Auditorium. Eine komplette Rehabilitation,
inklusive Nachsorge, nehme sechs Monate bis ein Jahr in Anspruch, sagt er.
Und gibt ebenfalls zu: Die Zahl der Patient*innen hätte in den letzten
Jahren zugenommen. Wegen der größeren Verfügbarkeit des Stoffes. Eine Pille
Captagon kostet auf dem jordanischen Markt 2 bis 3 Dinar, umgerechnet etwa
2,60 bis 3,90 Euro. Ein Gramm Crystal Meth kostet 25 bis 56 Euro. Das
Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 580 Euro. Ein Patient erzählt, er
habe 2.000 Dinar, etwa 2.500 Euro pro Monat, für Drogen ausgegeben.
Was tun gegen das Drogenproblem, gegen den Schmuggel? Mehr
Polizeioperationen gegen Dealer und mehr Awareness-Kampagnen, sagt
al-Barmawi. Strafen für Dealer, nicht für Abhängige, empfehlen
Expert*innen. Multilaterale Koordination „unter vertrauten Ländern in der
Region“ sei wichtig, findet US-Forscherin Caroline Rose. Jordanien, Syrien,
der Irak und der Libanon wollen jetzt laut Medienberichten eine
„Kommunikationszelle“ errichten, um Informationen auszutauschen. Denn, wie
Rose betont: Wer vom Handel profitiert, sei bekannt.
*Name von der Redaktion geändert
25 Apr 2024
## LINKS
[1] https://www.hrw.org/news/2024/03/17/jordan-ensure-accountability-compensati…
[2] /Experte-zu-Eskalation-in-Nahost/!6004250
[3] https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/13629395.2023.2297121
[4] https://www.newarab.com/news/jordanian-officer-vows-kill-anyone-who-approac…
[5] https://jordantimes.com/news/local/drug-related-cases-increased-25-2023-%E2…
[6] https://newlinesinstitute.org/wp-content/uploads/20230525-Dossier-Syrian-Re…
[7] https://carnegieendowment.org/sada/88109
[8] /Drogen-Krise-in-Syrien/!5989275
[9] https://psd.gov.jo/media/0dtf1ga2/%D9%85%D9%82%D8%A7%D8%B1%D9%86%D8%A9-%D8%…
[10] https://jjournals.ju.edu.jo/index.php/jjps/article/view/1323
## AUTOREN
Serena Bilanceri
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