# taz.de -- Syrische Geflüchtete in Jordanien: In Armut gefangen | |
> In Jordanien müssen Geflüchtete neuerdings hohe Gebühren zahlen, um | |
> arbeiten zu können. Das hängt auch mit fehlenden Hilfsgeldern zusammen. | |
Bild: Nach zwei Jahren hoffnungslos: Bushraa Aqloufi arbeitet als Ehrenamtliche… | |
Amman/Zaatari taz | In einer weiten, dürren Landschaft im Norden | |
Jordaniens, der nordarabischen Wüste Badia, lebt Bushraa Aqloufi in einem | |
drei mal sieben Meter langen Container. Das Wohnzimmer ist fast opulent | |
eingerichtet, die Tische überfüllt mit kleinem Nippes, Kannen und | |
Schatzkästchen, glänzende Fliesen liegen auf dem unterliegenden Schotter. | |
In der Ecke steht ein künstlicher Wasserfall, mit braunen Steinen und | |
grünen Pflanzen aus Plastik. Doch der Wasserfall ist trocken, der Raum | |
still. | |
„Es hat sich einiges geändert, seitdem wir uns vor zwei Jahren gesehen | |
haben“, sagt die junge Frau in pink Hemd und Hose mit passendem Schleier | |
und schaut nachdenklich in den Raum. „Seit dem Konflikt in Gaza ist es | |
schwieriger geworden, eine Arbeit zu finden“, sagt die 23-Jährige, die | |
gemeinsam mit ihrer Mutter in dem Container im Camp Zaatari wohnt. | |
In Jordanien leben etwa 630.0000 registrierte syrische Geflüchtete. Das | |
Land hat 11,5 Millionen Einwohner*innen, davon 2,3 Millionen | |
palästinensische Geflüchtete, von denen die meisten jordanische | |
Staatsbürger*innen sind. Weitere 70.000 sind Flüchtlinge anderer | |
Nationalitäten. Jahrelang haben die Syrer*innen eine besondere Stellung | |
genossen: nahezu kostenlose Arbeitserlaubnis, Ausbildungsprogramme, | |
einfacher Zugang zu Schulbildung. Vor allem dank [1][dem Jordan Compact,] | |
einem Abkommen zwischen Jordanien und der Europäischen Union aus dem Jahr | |
2016. | |
Dies sah finanzielle Hilfen und einen erleichterten Zugang zum | |
EU-Binnenmarkt für jordanische Produkte im Gegenzug für die Integration | |
syrischer Geflüchteter in den lokalen Arbeitsmarkt vor. Viele Programme | |
sind entstanden. Doch jetzt, nach dem Krieg in der Ukraine, in Gaza und | |
jetzt im Libanon hat sich der Fokus der internationalen Aufmerksamkeit | |
verlagert. Und mit ihm der Fluss der Hilfsgelder, die sich nun in andere | |
Richtungen bewegen oder sparsamer sickern. | |
Vor zwei Jahren erzählte Bushraa für eine Reportage über junge | |
Syrer*innen in den jordanischen Camps zum ersten Mal ihre Geschichte. | |
Sie war eine lebendige Frau, die vor Ideen sprudelte wie ein Vulkan. Sie | |
wollte studieren, aber die Kosten machten ihr zu schaffen. Sie wollte ihre | |
Instagram- und Tiktok-Kanäle ausbauen, sprach mit Menschen in anderen | |
Ländern über Menschenrechte. Sie hatte viele Ideen, jedoch keinen konkreten | |
Plan. Was ihr aber nicht fehlte: Hoffnung. | |
Heute wirkt Bushraa desillusioniert. Ihre Social-Media-Projekte hat sie | |
aufgegeben, zu teuer sind Handys mit guten Kameras. Auch die Uni ist in | |
weite Ferne gerückt. Was sie sich jetzt wünsche? „Arbeit oder Reisen“, | |
antwortet sie. Reisen bedeutet unter Geflüchteten nicht Urlaub, sondern | |
Flucht. In ein anderes, meist westliches Land. Auf legalem Weg mit | |
Resettlement-Programmen oder illegal. Über Libyen etwa, in einem der vielen | |
Schlepperboote voller Migrant*innen, die das Mittelmeer durchqueren. | |
Plötzlich spritzt Wasser aus dem Wasserfall in der Ecke, der Ventilator | |
beginnt zu surren, die Lichter springen koordiniert an. Es ist Mittag, die | |
Solaranlage, die Deutschland vor sieben Jahren mitfinanziert hat, ist | |
angegangen. Strom fließt im Lager zwischen 12 und 17 Uhr, und dann wieder | |
von 19 bis 23 Uhr. „Das macht es schwierig, am Laptop zu arbeiten“, erwähnt | |
Bushraa. Doch nicht nur der Strom ist begrenzt. | |
Seit dem Sommer 2023 bekommen bedürftige Geflüchtete in Jordanien vom | |
Welternährungsprogramm (WFP) nur 19 Euro im Monat statt 29 Euro, um sich | |
etwas zum Essen zu kaufen. Das WFP beklagte 2023 ein Spendendefizit von 41 | |
Millionen US-Dollar, etwa 37 Millionen Euro. Die Folgen spüren Länder wie | |
Jordanien, Libanon und die Türkei, die die meisten syrischen Geflüchteten | |
beherbergen. Die internationale Finanzierung seines Aufnahmeprogramms sei | |
zu knapp 7 Prozent gesichert, sagte der jordanische Außenminister Ayman | |
Safadi auf einer Konferenz in Brüssel im Juni vergangenen Jahr. 2016 waren | |
es noch 70 Prozent. „Sie merken die Richtung“, sagte er. | |
Im größten syrischen Flüchtlingslager weltweit ist die Welt vieler | |
Geflüchteter kleiner geworden. Keine von beiden, weder Mutter noch Tochter, | |
hat mehr einen richtigen Job. Bushraa arbeitet als Ehrenamtliche für ein | |
Gesundheitsprojekt, zweimal die Woche für drei Stunden am Tag, dafür | |
bekommt sie wöchentlich 7,66 Euro. Mutter Fatimah arbeitete vor der | |
Pandemie außerhalb des Camps in der Stadt in einem Modegeschäft. Sie hatte | |
ein gutes Einkommen. | |
Doch dann kam die Pandemie und sie verlor ihren Arbeitsplatz. So wie viele | |
andere verlassen die beiden kaum die Camps. Wozu auch? Sie haben kein Geld, | |
das sie ausgeben können, keine Arbeit, um Geld zu verdienen. „Ich fühle | |
mich so, als ob wir im Gefängnis wären“, sagt die Mutter seufzend. | |
Daten des UNHCR zeigen, dass die ehrenamtlichen Stellen für Geflüchtete | |
abgenommen haben. Eine Arbeitserlaubnis zu bekommen ist zudem für die | |
meisten unerschwinglich. Denn seit dem 1. Juli müssen die meisten syrischen | |
Geflüchteten in Jordanien für eine Arbeitserlaubnis hohe Gebühren zahlen – | |
je nach Art und Sektor kommt man schnell auf mehrere Hundert Euro pro Jahr. | |
Für eine sogenannte flexible Erlaubnis, mit der sie nicht an einen | |
bestimmten Arbeitgeber gebunden sind, können nun über 600 Euro fällig sein | |
– zusätzlich zu einmaligen Arztkosten von rund 100 Euro und verpflichtenden | |
Rentenbeiträgen, die monatlich mit etwa 70 Euro zu Buche schlagen. Für | |
Menschen, die 2 Euro pro Stunde verdienen, eine unhaltbare Last. | |
Die Ursachen für die neuen Gebühren sind umstritten: NGOs und | |
Expert*innen verweisen auf das Ende eines von der Weltbank finanzierten | |
Programms im Rahmen des Abkommens Jordan Compact, doch die Weltbank | |
dementiert. Aus informierten Kreisen ist zu hören, die Änderungen hätten | |
auch mit dem Krieg in Gaza zu tun und mit der Angst vor einer erneuten | |
Migrationswelle. Eine Welle, die eventuell das letzte Bollwerk | |
Gastfreundlichkeit in der angeschlagenen Region wegspülen könnte. | |
Die neue Regelung führe dazu, dass Menschen in die Prekarität gedrängt | |
werden, sagt die deutsche Politikwissenschaftlerin Katharina Lenner, die zu | |
den neuen Gebühren geforscht hat. Das setzt sie dem Risiko von | |
willkürlichen Verhaftungen und Abschiebungen aus. „Alle Menschen, mit denen | |
wir gesprochen haben, sagten: Wenn es so weitergeht, können wir sie (die | |
Arbeitserlaubnis; d. Red.) uns nicht mehr leisten.“ In allen | |
Lebensbereichen stiegen die Kosten massiv an, damit ist für viele | |
Syrer*innen ein würdevolles Leben kaum noch möglich. | |
Auf die Frage, ob Bushraa sich die neuen Gebühren leisten kann, lacht sie | |
nur. Ihre Familie weiß nicht einmal, wie sie ihren alltäglichen Bedarf | |
finanzieren kann. „Wir kaufen auf Kredit. Der Minimarkt um die Ecke hat | |
eine lange Liste von uns“, schmunzeln die Frauen. Wenn die Liste zu lang | |
wird, gehen sie in den nächsten. | |
## 67 Prozent gelten als arm | |
Die Familie lebt in Sektor 5, Block 10. In einem Camp, das jetzt schon eine | |
Kleinstadt ist. In dem die Adressen aus Ziffern bestehen und die Straßen | |
oft aus Sand und Staub. In dem Kinder umherrennen, Fußball spielen und Esel | |
Metallkutschen und Karren voller Orangen ziehen. Zwischen den grauen | |
verbeulten Wellblechzäunen und den beigen Plastikplanen liegen kleine | |
Gärten, in denen Familien Zitronen- und Olivenbäume angepflanzt haben. | |
Gut 67 Prozent der Syrer*innen im Camp Zaatari und dem nahegelegen Camp | |
Azraq gelten offiziell als arm. 2021 waren es „lediglich“ 45 Prozent. So | |
greifen viele zu sogenannten negativen Bewältigungsstrategien: Sie essen | |
weniger und billiger. 57 Prozent ernähren sich weniger oft und 87 Prozent | |
von Lebensmitteln, die sie nicht mögen. Doppelt so viele Minderjährige wie | |
2021, 6 Prozent, arbeiten, um die Familie zu unterstützen. | |
„Manchmal liege ich nachts wach und hoffe, dass der Morgen niemals kommt“, | |
sagt Mohammed in einem der 26.000 Container, alias Caravans, die das größte | |
syrische Flüchtlingslager der Welt bilden und wie kleine, weiße Legosteine | |
die rosarote Wüste überziehen. Mohammed, der nur seinen Vornamen preisgeben | |
möchte, um keine Schwierigkeiten zu bekommen, sitzt gerade in seinem | |
Wohnzimmer, einem Raum mit Metallwänden, die mit weißer und pinker Farbe | |
bemalt sind. | |
Drei lange arabische Bodenkissen lehnen an den Wänden, auf dem Teppich | |
liegt ein Silbertablett mit kleinen verzierten Tassen voll bitterem | |
Kardamomkaffee. „Ich bin enttäuscht“, fährt der 39-Jährige fort und scha… | |
etwas traurig. Neben ihm sitzt ein neun Monate altes Baby in gelb-blauem | |
Schlafanzug und lallt vor sich hin. Mohammed, ein drahtiger Mann in Jeans | |
und schwarzem T-Shirt und mit seitlich gescheitelten Haaren, ist das | |
Kämpfen gewohnt. Bis vor vier Monaten war er Lehrer für Taekwondo, eine | |
koreanische Kampfkunst. | |
Es war ein ehrenamtlicher, bezahlter Job. In einem der vielen Programme, | |
die meistens von ausländischen Organisationen gesponsert sind und die Not | |
der Menschen in den Camps lindern sollen. Dafür erhielt er 1 bis 2,5 Dinar | |
pro Stunde, umgerechnet 1,27 bis 3,15 Euro. Die Stellen sind befristet, | |
damit so viele Menschen wie möglich eine Chance bekommen. | |
Jetzt arbeitet Mohammed informell als Tagelöhner in einem Handyshop, vier | |
Stunden am Tag – für 3 Dinar pro Tag, umgerechnet 3,80 Euro. Hinzu kommen | |
die Essenscoupons im Wert von 19 Euro. „Natürlich ist das nicht genug“, | |
antwortet er fast lächelnd auf die Frage, ob das für die siebenköpfige | |
Familie ausreiche. Die Familie leide unter der finanziellen Lage, sagt der | |
fünffache Vater, während das Baby eine grauschimmernde Haarspange in die | |
Luft reckt. | |
Eine menschenwürdige Arbeit zu finden sei nicht leicht. Die Zahl der | |
ehrenamtlichen Programme habe abgenommen, sagt er. Warum sucht er sich | |
keine Arbeit außerhalb des Camps? Zu viele bürokratische Hürden, zu hohe | |
Kosten. Mohammed bleibt also nicht viel mehr übrig als zu hoffen, dass die | |
Lage besser wird. „Möge Gott uns helfen,inschallah“, sagt er mit ruhiger | |
Stimme. | |
Das Königreich gilt eigentlich als Vorzeigemodell bei der Aufnahme | |
syrischer Geflüchteter. Die Coronapandemie und der Konflikt im Nachbarland | |
haben der Wirtschaft jedoch zugesetzt, die Arbeitslosenquote liegt bei 21 | |
Prozent. Zwischen einem Viertel und einem Drittel der Bevölkerung lebt laut | |
jüngsten Schätzungen in Armut. Laut einer Umfrage des Hohen | |
Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) aus dem Jahr 2023 | |
haben zwar 96 Prozent der Jordanier*innen Mitleid mit Geflüchteten, die | |
vor dem Krieg in ihrem Heimatland fliehen. Gleichzeitig denken 93 Prozent, | |
es seien zu viele, 61 Prozent finden, man gebe zu viel Geld für sie aus. | |
So sind auch in der Politik des Königreichs die Töne rauer geworden. | |
Jordanien sei nicht in der Lage, noch mehr syrische Geflüchtete | |
aufzunehmen, erklärte Safadi im September. 2023 hatte Amman für einen | |
internationalen Fonds zur freiwilligen Rückkehr nach Syrien plädiert. „Die | |
Zukunft syrischer Geflüchteter ist in ihrem Heimatland“, sagte der Minister | |
vor den Mikrofonen der Journalist*innen. Bei einem Treffen mit der | |
deutschen Außenministerin Annalena Baerbock im vergangenen Monat machte der | |
jordanische Politiker klar: „Wenn die Stromversorgung in den Camps | |
zusammenbricht, können wir nicht einspringen.“ Seit 2012 hat Deutschland | |
laut Auswärtigem Amt 1,22 Milliarden Euro für die Hilfe im Rahmen [2][der | |
Syrienkrise] in Jordanien ausgegeben. 2024 waren es bislang 63 Millionen – | |
so wenig wie seit 2015 nicht mehr. | |
Außerhalb der Camps, in den Städten, ist die Lage noch schlimmer. Laut | |
Daten des UNHCR zahlen Geflüchtete im Schnitt 178 Euro Miete pro Monat, | |
verdienen jedoch nur 280 Euro pro Familie. Ein Drittel hat eine Arbeit, | |
doch lediglich 7 Prozent haben eine Arbeitserlaubnis. 66 Prozent klagen | |
über die Verletzung ihrer Rechte am Arbeitsplatz. | |
Jetzt, mit dem Ende der kostenlosen Arbeitserlaubnis, könnte die Lage noch | |
schwieriger werden. Doch nur die wenigsten wollen mit der Presse darüber | |
reden. So erwähnt ein junger Mann, der in der Gastronomie arbeitet, die | |
neuen Gebühren sofort als größtes Problem überhaupt. Doch am nächsten Tag | |
sagt er den Interviewtermin mit einer Ausrede ab. Dafür gibt es Gründe. | |
Eine große Unsicherheit herrscht in der Gemeinschaft, Geflüchtete sowie | |
Nicht-Geflüchtete berichten von Schwierigkeiten mit den Erlaubnissen. So | |
haben viele jetzt Angst, Strafen zu bekommen, wenn sie ihre Rentenbeiträge | |
nicht mehr bezahlen. Oder an der Ausreise gehindert zu werden. An | |
Informationen zu kommen ist nicht leicht. Die Ministerien ließen Anfragen | |
unbeantwortet, das UNHCR wollte sich zum Thema nicht äußern, andere NGOs | |
tun dies nur unter Wahrung der Anonymität. | |
„Ich fühle mich so, als ob ich gerade bestraft werde, weil ich versuche, | |
meinen Lebensunterhalt zu verdienen“, sagt Osama Al-Masri, ein 20-jähriger | |
syrischer Geflüchteter, der in einer Mietwohnung in einem Industriegebiet | |
von Amman lebt. Er ist einer der wenigen, der bereit ist, unter Klarnamen | |
zu sprechen. Al-Masri, ein Mann mit Dreitagesbart, elegant angezogen in | |
schwarzer Hose und Pullover, ist heute nicht zur Arbeit in die Fabrik | |
gegangen. Jetzt ist er arbeitslos. Sein Vertrag ist abgelaufen, genau wie | |
seine Arbeitserlaubnis. Eine Erneuerung wäre ihm zu teuer. „Ich sollte 480 | |
Dinar (619 Euro) plus 80 Dinar (100 Euro) für die Arztuntersuchung zahlen. | |
Ich bekomme den Mindestlohn, das sind 260 Dinar (340 Euro) im Monat“. Mehr | |
als zwei Monatsgehälter wären für das neue Dokument fällig. | |
Al-Masri möchte sich jetzt ohne Erlaubnis eine Arbeit suchen. Doch das ist | |
riskant. Sollte er erwischt werden, drohen ihm Strafen. Aus einer | |
Plastikhülle holt er mehrere Dokumente, die UNHCR-Bescheinigung, das | |
Zeugnis eines Englischkurses, Schulzeugnisse. Er wolle nur „Raus hier“, | |
sagt er lachend. Dafür bereitet er sich vor, nimmt an Kommunikations- und | |
Zeitmanagementkursen teil. Er will seine Softskills ausbauen, hofft auf | |
einen Platz in einem Resettlement- oder einem anderen Programm. Hauptsache | |
weg. „Ich fühle mich verloren“, sagt er. „Viele reisen illegal aus, übe… | |
Meer, sterben dabei. Ich möchte nicht einer von ihnen sein. Aber wenn ich | |
genug Geld hätte, wäre ich das.“ | |
Viele Menschen, mit denen die taz gesprochen hat, träumen von einem | |
sogenannten Resettlement im Westen. Damit kommen ausgewählte Geflüchtete | |
auf sicheren Wegen in andere Länder. Doch das Kontingent ist begrenzt, | |
weist das zuständige UNHCR auf seiner Webseite hin. Weniger als ein Prozent | |
der Geflüchteten kommen dafür infrage. Die UN-Agentur schlägt die | |
vulnerabelsten vor – je nach Aufnahmekriterien der einzelnen Länder. 365 | |
Syrer*innen sind 2023 mit dem Programm aus Jordanien nach Deutschland | |
gekommen, bestätigt das deutsche Innenministerium. | |
Dass die Lage in Jordanien für Syrer*innen nicht so schlimm ist wie in | |
anderen Ländern der Region, das wissen Al-Masri und die anderen. Im Libanon | |
lebten die Menschen schon vor dem Krieg in ständiger Gefahr einer | |
Verhaftung oder Abschiebung. Tausende sollen laut der NGO Human Rights | |
Watch (HRW) 2023 zurückgeführt worden sein. Auch in der Türkei begegnet | |
ihnen [3][Ressentiment, Diskriminierung und Abschiebungen.] Über 57.000 | |
wurden laut HRW 2023 zwangszurückgeführt. | |
Derweil debattieren Politiker*innen in Europa ebenfalls über | |
verschärfte Regelungen für Asylsuchende an den Außen- und Binnengrenzen. | |
Auch in Deutschland wurde das Asylrecht verschärft. Was ist aber dann die | |
Lösung? Freiwillige Rückkehr? Syrien als sicheres Land einstufen? Bloß das | |
ist es nicht. | |
In den vergangenen anderthalb Jahren haben Israel, die USA, mutmaßlich | |
Jordanien, die Türkei, Russland und Syrien selbst Bomben auf Syrien | |
abgeworfen. Unterschiedliche Regionen, unterschiedliche Feinde. Der IS | |
erlebt gerade wieder eine Auferstehung, [4][während Assads Regime] | |
beschuldigt wird, 200 Rückkehrer*innen aus Rebellenprovinzen jüngst | |
verschwinden haben zu lassen. Hinzu kommen mehr als sieben Millionen | |
Binnenvertriebene und verheerende wirtschaftliche Zustände. „Die | |
gewalttätige Eskalation im größten Teil Syriens und die Fortsetzung der | |
Diktatur Assads legen ganz klar nahe, dass es nirgendwo im Land sicher | |
ist“, schreibt Nahost-Experte André Bank in einem Essay. | |
Auch in den Ländern der arabischen Region nimmt die Sicherheit für | |
Syrer*innen ab, vor allem im Libanon und der Türkei. In Jordanien wird | |
ihnen jetzt vermittelt, „ihr seid nicht mehr unterstützungswürdig“, sagt | |
Lenner. Langsam fühlen sie sich nirgendwo mehr willkommen. Sie könnten | |
„nach Hause“ gehen. Bloß, das wollen sie nicht. Al-Masri fürchtet, von | |
Assads Regime eingezogen zu werden. Mohammed fühlt sich dort nicht mehr | |
sicher. Und Bushraa träumt weiter, ihre wahre Freiheit zu finden, dem | |
„Gefängnis“ zu entkommen. Egal wohin, bloß nicht nach Syrien, da wartet | |
nichts auf sie. Mutter Fatimah in pinkem Schleier und traditionellem Gewand | |
beschwichtigt, im Camp sei nicht alles schlecht. „Es gibt auch andere | |
Wege“, sagt sie sanft lächelnd. Sie möchte, dass ihre Tochter bei ihr | |
bleibt, das spürt man. Doch die 23-Jährige bleibt eisern. „Wenn ich könnte, | |
würde ich nach Libyen fahren und dann nach Europa. Aber auch das ist zu | |
teuer.“ | |
31 Oct 2024 | |
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