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# taz.de -- Umstrittene Internetplattformen: Cannabis so leicht wie Pizza ordern
> Seit der Legalisierung können Ärzte die Droge leichter verschreiben. Im
> Internet geht das sogar ohne Gespräch. Schwerkranke Patienten kritisieren
> das.
Bild: Online können Kund:innen große Mengen Cannabis auf Rezept bestellen
Berlin taz | Eigentlich wollte die Ampelkoalition [1][Cannabis] nur ganz
vorsichtig legalisieren. Die neuen Anbauvereinigungen dürfen maximal 500
Mitglieder haben, nur begrenzte Mengen aus der eigenen Ernte weitergeben
und an junge Erwachsene weniger als an über 21-Jährige. Die Verschreibung
von Cannabis als Medikament wurde zwar erleichtert, aber
„[2][Gesundheitsschutz hat Priorität]“, versprach Bundesgesundheitsminister
Karl Lauterbach.
Doch dransay.com und andere Internetplattformen machen dem SPD-Politiker
einen dicken Strich durch die Rechnung, sodass die Legalisierung viel
weiter geht als weithin bekannt ist. Besitz und Konsum seien am 1. April
erlaubt worden, „dadurch hat eine Entstigmatisierung stattgefunden“, sagt
Unternehmensgründer Can Ansay der taz.
„Die Leute wissen aber nicht, wo sie ihr Cannabis legal herbekommen. Und da
greifen viele Patienten dann auf die Möglichkeit von Cannabis auf Rezept
zurück, weil es bei uns so einfach und schnell ist wie Pizzaservice.“
## Ein „Onlineshoppingerlebnis“
Teile der Hanfpflanze (lateinisch cannabis) zu konsumieren ist aber nicht
so harmlos, wie Pizza zu essen. „Bei länger andauerndem Konsum können
psychische Störungen wie [3][Depressionen und Psychosen] auftreten“, warnt
das Gesundheitsministerium. „Zudem besteht das Risiko der [4][Entwicklung
einer Abhängigkeit].“ Vor allem der für den High-Effekt verantwortliche
Inhaltsstoff THC könne die Gehirnentwicklung bei Menschen bis zu einem
Alter von 25 Jahren stören.
Dann seien sie besonders anfällig für negative Auswirkungen, auch bei
kurzfristigem Konsum. „Cannabis-Konsumierende haben eine höhere
Schulabbruchrate, eine geringere Beteiligung an universitärer Ausbildung
und weniger akademische Abschlüsse.“ Deshalb die hohen Auflagen für die
Anbauvereinigungen.
Doch Can Ansay umgeht diese Hürden mit seinen Privatrezepten für als
Medizin deklariertes Cannabis. Er sagt, sein Unternehmen biete dem Nutzer
„ein Onlineshoppingerlebnis“: „Er wählt im Shop nach einer schriftlichen
Aufklärung bei Erstpatienten aus, welche Blüte er haben will.“
Dann fülle der Nutzer noch einen Fragebogen aus insbesondere zur
Anamnese, wo er zum Beispiel angeben kann, dass er Schlafstörungen hat,
und erhalte dann binnen ein, zwei Tagen das Cannabis nach Hause geliefert –
„das war’s schon“, sagt Ansay. Ein Arztgespräch sei meist nicht nötig.
Wenn, dann findet es sowieso nicht in Präsenz, sondern nur per Video statt.
„Das Videogespräch ist nur für den Fall, dass der Arzt noch Rückfragen hat.
Das ist aber in der Regel nicht der Fall“, erzählt Ansay.
## „Make weed great again!“
Man kann über seine Plattform auch mehr Cannabis bekommen als bei einem
Anbauklub. Dort beträgt das Monatslimit laut [5][Konsumcannabis-Gesetz] für
Erwachsene 50 Gramm pro Kalendermonat. Mitglieder bis 21 Jahre dürfen sogar
nur 30 Gramm mit höchstens 10 Prozent THC bekommen. Auf Ansays Website lag
die Grenze am vergangenen Freitag bei 100 Gramm. Für alle, ohne jegliche
THC-Grenze. Mit 100 Gramm lassen sich [6][mehr als 300 Joints] bauen.
Ansay nennt seine Plattform eine „Revolution“ und formuliert seine Mission
frei nach Trump so: „Make weed great again!“ Sein [7][Business soll
natürlich auch groß werden], kann man sich hinzudenken.
Und das tut es. „Wir hatten vor dem 1. April, also vor der
Teillegalisierung von Cannabis, circa 30, 40 Ordern pro Tag“, also
Bestellungen für Cannabisrezepte. „Danach ist es um ein Zigfaches
gestiegen, und wir haben jetzt eine Anzahl von Ordern im vierstelligen
Bereich“, berichtet er stolz. „Wir sind also Revolutions- und Marktführer.…
Auch einer seiner Konkurrenten, Bloomwell, schreibt der taz, die Zahl der
Neupatient:innen habe sich im April verglichen mit dem Durchschnitt
der Monate vor der Neueinstufung von Cannabis verzehnfacht.
## Anbauklubs sind bisher keine Konkurrenz
Der Grund ist, dass seit dem 1. April Cannabis nicht mehr auf einem
speziellen Papierrezept für Betäubungsmittel verordnet werden muss, für das
aufwendige Sicherheitsmaßnahmen galten. Jetzt reicht ein normales
elektronisches Rezept. Der Patient musste vor der ersten Verschreibung
einen Arzt gesehen haben und nachweisen, dass andere Therapien nicht
geholfen haben. „Das ist nun alles weggefallen“, freut sich Ansay.
Die Anbauklubs sind bisher keine wirkliche Konkurrenz für das
Internetgeschäft: Bisher haben nur [8][wenige eine Genehmigung] erhalten.
Es wird noch dauern, bis sie das erste Mal Cannabis ernten.
Selbst dann werden sie wohl nicht so attraktiv sein für Cannabisnutzer wie
Internetlieferdienste. Vor allem, weil die Droge bei Ansay und seinen
Kollegen billiger sein wird. Er schätzt, dass die Klubs mindestens 6 Euro
berechnen müssen, bei den Apotheken auf Ansays Plattform gibt es das Gramm
schon für 3,99 Euro.
Deren Lieferanten in Kanada, Südamerika, Australien [9][und anderswo]
hätten lange Erfahrung. „Die können das sehr, sehr günstig und effizient
produzieren. Und da müssen sie sich [10][einen Hobbygärtner vorstellen],
der einen Anbauklub betreibt, bis der erst mal diese Kompetenz hat.“
Die Klubs könnten auch nicht auf so großen Flächen Cannabis anbauen. All
das spricht Ansay zufolge dafür, dass große Mengen auch weiterhin auf
Rezept im Internet und nicht über die Anbauklubs verkauft werden.
## Wachsende Kritik
Doch die Kritik an diesem Geschäftsmodell wächst. Die Bundesärztekammer
teilte der taz mit: „Grundsätzlich sind starke Zweifel angebracht, ob zum
Beispiel eine alleinige Behandlung per Fragebogen der ärztlichen
Sorgfaltspflicht entspricht.“
Das sieht auch Daniela Joachim so. Sie ist Vorsitzende des Bunds Deutscher
Cannabis-Patienten. Dieser Verein vertritt chronisch Kranke mit starken
Schmerzen, die sich durch Cannabis lindern lassen. Sie können sich die
Behandlungkosten auch von den gesetzlichen Krankenkassen erstatten lassen.
„Wir sehen das sehr kritisch, weil damit Medizinalcannabis bagatellisiert
wird“, sagt Joachim über ihrer Meinung nach unseriöse Internetanbieter.
„Das sind Sachen, die unterm Strich dem Ansehen von Medizinalcannabis nicht
guttun.“
Joachim kritisiert auch, dass Jugendschutzregeln bei manchen
Internetplattformen fehlten. Sie würden gezielt um junge Kunden werben, zum
Beispiel mit Rappern. „Bei Dr. Ansay werden Patienten ab Erreichen der
Volljährigkeit behandelt“, sagt im Kanal des Unternehmens auf der
Social-Media-Plattform [11][Tiktok] eine junge Frau. Auch hier kein Wort
von Einschränkungen für Heranwachsende.
Ansay behauptete im Gespräch mit der taz zunächst, dass Heranwachsende über
seine Plattform nur genauso viel Cannabis bestellen könnten wie in den
Anbauklubs. Doch zum Beispiel in der FAQ-Sektion seiner Internetseite stand
ausschließlich die höhere 100-Gramm-Grenze für alle. Auf Nachfrage war sich
Ansay dann doch nicht mehr sicher, ob die Programmierer das Limit für die
Heranwachsenden „schon implementiert“ hätten. Von einer THC-Grenze war
sowieso nicht die Rede.
## Hemmschwelle für Lügen ohne Gespräch niedriger
Missachten seine Mediziner ärztliche Sorgfaltspflichten? „Das ist totaler
Quatsch“, antwortet Ansay. Man kläre doch auch auf, über Suchtgefahren zum
Beispiel.
Und wie stellt seine Firma sicher, dass die Nutzer keine falschen Angaben
über ihre Symptome machen? „Das stellen wir besser sicher als jeder
Praxisarzt, der ja letztlich auch Symptome wie Schmerzen oder
Schlafstörungen, also die häufigsten Beschwerden für eine Cannabistherapie,
auch in der Praxis nicht überprüfen kann. Da vertraut man einfach auf die
Angaben der Patienten.“ Während ein Gespräch vor Ort nur mündlich ist,
werde im Internet alles schriftlich dokumentiert und sei deshalb auch
beweisbar.
Aber wahrscheinlich ist die Hemmschwelle für Lügen in einem Gespräch höher
als beim Ausfüllen eines Internetformulars allein und zu Hause.
Patientenvertreterin Joachim fordert deshalb, dass Arztgespräche wieder
vorgeschrieben werden. Zwar sind Lügen für die Verschreibung strafbar,
„aber wo kein Kläger, da kein Richter“, sagt sie. Bei einem Arzttermin
könnte es auch eher auffliegen, wenn ein Minderjähriger sich mit dem
Personalausweis eines Erwachsenen bei einer Cannabisplattform angemeldet
hat.
Das Bundesgesundheitsministerium beantwortet nur unklar die Frage der taz,
ob eine Verschreibung von Cannabis ohne Arztgespräch legal sei. Im
Einzelfall müssten das die Ärztekammern der Länder überprüfen.
Ausdrücklich verweist es aber auf das Heilmittelwerbegesetz, wonach für
verschreibungspflichtige Arzneimittel „nicht außerhalb der Fachkreise“
geworben werden darf. Dafür seien [12][die Länderbehörden zuständig]. Das
dürfte im Fall von Ansay schwierig werden: Seine Firma ist in keinem
deutschen Bundesland registriert, sondern in Malta.
Sind Sie eigentlich Arzt, Dr. Ansay? „Nein, meine Mutter und Schwester sind
Ärzte. Ich bin promovierter Rechtsanwalt“, antwortet er. Irreführend im
Zusammenhang mit einer Medizinwebsite sei das „Dr.“ im Namen aber nicht.
Seine Mutter und Schwester hätten ja auch mitgewirkt in der Firma. „Als
Firmenname ‚Dr. jur. Ansay‘ ist halt nicht so griffig“, sagt der
Geschäftsmann.
2 Aug 2024
## LINKS
[1] /Cannabis/!t5007686
[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/bt-be…
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisges…
[4] /Wirkung-von-Cannabis/!6007847
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/kcang/BJNR06D0B0024.html
[6] https://www.zamnesia.com/de/blog-das-ist-wie-viel-weed-in-einem-joint-durch…
[7] /Cannabis-Messe-Mary-Jane-in-Berlin/!6014422
[8] /Umsetzung-der-Teillegalisierung/!6024201
[9] /Cannabis-Branche-in-den-USA/!6000081
[10] /Cannabis-Anbau-im-Freien/!6026358
[11] https://www.tiktok.com/@dransay/video/7392868359253003552
[12] /Umsetzung-des-Cannabisgesetzes/!6009360
## AUTOREN
Jost Maurin
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