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# taz.de -- Cannabis-Anbau: Söders Kampf gegen das Gesetz
> Wo die CSU regiert, da wächst kein Gras mehr. So hätte es Markus Söder
> gern. Dumm nur, dass es immer noch das Cannabis-Gesetz gibt – sogar in
> Bayern.
Bild: Saufen sich high: Markus Söder bei Weissbier und Weißwurst, Neuburg an …
Raubling taz | Ein bisschen erinnert Florian Degenhart ja an einen Veganer,
der eine Metzgerei aufmachen will. Der 41-Jährige, schwarzer Vollbart,
blaues Käppi, sitzt in einem Raublinger Café, zündet sich eine Zigarette an
und erzählt von seinen Plänen. Degenhart raucht viel – Tabak wohlgemerkt.
In seinem Fall muss man das dazusagen, denn der Mann ist Gründer und
Vorsitzender des [1][CSC Inntal], eines der ersten drei
Cannabis-Social-Clubs (CSC), die gerade in Bayern eine Anbaugenehmigung
erhalten haben. Und er kifft tatsächlich nicht.
Okay, früher als Jugendlicher, da habe er schon gekifft, erzählt er. Aber
mit 18 habe er damit aufgehört. Er wollte seinen Führerschein nicht
gefährden. Die erste Frage also liegt auf der Hand: Warum? Warum bitte will
jemand, der selbst kein Cannabis braucht, einen Cannabis-Club aufmachen,
einen Verein, der de facto nur ein Vereinsziel hat: Cannabis für seine
Mitglieder anzubauen.
„Der Grund, warum ich das mache, ist ganz einfach“, sagt Florian Degenhart:
„Konsumentenschutz.“ Es gebe eine Studie, wonach 80 Prozent des auf dem
Schwarzmarkt gekauften Cannabis stark verunreinigt sei. Er möchte den
Menschen die Möglichkeit geben, qualitativ hochwertiges Cannabis zu kaufen.
Und das auf legalem Wege. Warum sei denn Cannabis als Einstiegsdroge
verpönt, fragt Degenhart und liefert die Antwort gleich hinterher: „Doch
nur aus einem einzigen Grund: Du musst dafür zum Dealer. Und der sagt dann
halt: Schau mal, ich hätte da noch was anderes. Oder er schenkt dir was zum
Probieren.“
Wer also Cannabis-Konsumenten den Weg zum Dealer erspart, ihnen legale
Bezugsmöglichkeiten ermöglicht, so Degenharts Theorie, minimiert die
Gefahr, dass sie zu illegalen Rauschmitteln wechseln. Die bayerische
Staatsregierung sieht das anders.
## 500 Euro für Kiffen in der Fußgängerzone
Tatsächlich war der Widerstand gegen die Legalisierung von Cannabis in
Bayern besonders stark. Als die Ampel das [2][Konsumcannabisgesetz (KCanG)]
durch den Bundestag brachte, kündigte Bayerns Ministerpräsident Markus
Söder umgehend an: „Wir vonseiten des Freistaats Bayern, wir werden uns an
allem beteiligen, was dieses Gesetz außer Kraft oder verzögert oder später
oder anders in Szene setzen lässt.“
So trat am 1. August 2024, nur vier Monate nach dem KCanG das Bayerische
[3][Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz] in Kraft. Dies untersagte den
Cannabiskonsum auf Volksfesten, in Biergärten und – besonders wichtig – auf
dem Gelände des Landtags. Hier hatte zwar schon Landtagspräsidentin Ilse
Aigner per Hausordnung das Kiffen verboten, aber doppelt hält besser. Zu
tief saß schließlich der Schock, nachdem der Grünen-Abgeordnete Toni
Schuberl kurz nach der Legalisierung dort öffentlichkeitswirksam einen
Joint geraucht hatte.
Auch in einigen staatlichen Parkanlagen wie dem Englischen Garten in
München verbot der Freistaat umgehend das Kiffen. Und es verwundert wenig,
dass just Bayern das erste Bundesland war, das bei der Fortschreibung des
Bußgeldkatalogs voranschritt und Maßstäbe setzte: Wer bis zu fünf Gramm
mehr als die erlaubten 25 Gramm bei sich trägt, muss mit 500 bis 1000 Euro
Strafe rechnen. 500 Euro Strafe gibt es fürs Kiffen in Fußgängerzonen, 300
Euro für die Mitgliedschaft in zwei Anbauvereinigungen und bis zu 30.000
Euro für Werbung für Anbauvereine. „Bayern wird kein Kiffer-Paradies!“,
jubelte Söder auf der Social-Media-Plattform X. „Wir greifen mit harten
Bußgeldern konsequent durch. Bayern wird das Cannabis-Gesetz restriktiv
anwenden.“
## Ein Fort Knox für Raubling
Auch in Raubling wurden die Bemühungen von Degenhart und seinen
Mitstreitern zumindest mit größtmöglicher Skepsis beobachtet. Raubling,
eine oberbayerische, industriegeprägte Gemeinde mit gut 11.000 Einwohnern,
liegt direkt am Inn, nur ein paar Kilometer südlich von Rosenheim. Die
Gegend gilt selbst für bayerische Maßstäbe als sehr konservativ. Wo sonst
das Vereinsleben hochgehalten wird, reagierte Bürgermeister Olaf
Karlsperger (CSU) mit Kopfschütteln auf das Anbau-Ansinnen der
Cannabisfreunde. „Ich weiß nicht, warum man sowas macht“, sagte er der
örtlichen Presse lediglich.
Degenhart hätte sich eine öffentliche Debatte, Gesprächsformate gewünscht,
um den Raublingern das Anliegen des CSC nahezubringen. Natürlich ohne gegen
das Werbeverbot für Anbauvereine zu verstoßen. Werbung hat der CSC Inntal
ohnehin nicht nötig. Kurz nach der Anbaugenehmigung lag die Mitgliederzahl
bereits bei 440. Mehr als 500 Mitglieder darf ein Anbauverein laut Gesetz
gar nicht aufnehmen.
Zum Treffen ist Degenhart in Handwerkerklamotten gekommen. Eigentlich
arbeitet er in einer Behörde, gerade hat er sich aber freigenommen, um der
bisherigen Mieterin, einer Wäscherei, beim Auszug aus der künftigen
Vereinsimmobilie zu helfen. Und dann muss ja erst mal umgebaut werden.
Allein die Sicherheitsvorkehrungen sind beträchtlich: Vergitterte Fenster,
eine Zugangstür der Widerstandsklasse RC 3 und für das finale Produkt ein
Safe der Sicherheitsstufe 3. „Das ist das, was Banken hernehmen.“ Degenhart
spricht von „Fort Knox“.
Schafft man es doch nach drinnen, erwarten einen zwei Räume mit insgesamt
180 Quadratmetern. Um auf eine monatliche Produktion von zehn Kilogramm zu
kommen, benötige man insgesamt 60 Quadratmeter Blühfläche, erklärt
Degenhart. In sechs Zelten werde man das Cannabis anbauen. Um ein wirklich
sehr gutes Produkt zu erhalten, müsse in jedem dieser Zelte ein fein
abgestimmtes Mikroklima herrschen. Um das zu erreichen, werde der Verein
eine 100.000-Euro-Anlage leasen.
## Durchgezogen
Aber auch die Organisation eines Cannabis-Anbauvereins ist sehr strengen
Auflagen unterworfen. So muss etwa sichergestellt werden, dass Mitglieder
unter 21 Jahren statt 50 nur 30 Gramm Cannabis monatlich erhalten und
dessen THC-Gehalt zehn Prozent nicht überschreitet. Der CSC Inntal umgeht
das Problem, indem er überhaupt nur Mitglieder ab 21 Jahren aufnimmt.
Einen Suchtpräventionsbeauftragten braucht es ebenfalls. Und noch
komplizierter wird es bei der „Mitwirkungspflicht“. Denn jedes
Vereinsmitglied muss sechs Stunden im Jahr persönlich aktiv beim Anbau
mitwirken. Bei 500 Mitgliedern durchaus eine logistische Herausforderung.
Auch für Degenhart war der Weg durch das Genehmigungsverfahren nicht
leicht. Und ohne anwaltliche Hilfe, sagt er, wäre die Sache aussichtslos
gewesen. In Bayern ist das Landesamt für Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit (LGL) für die Genehmigungen zuständig. Mit den
dortigen Mitarbeitern hatte Degenhart seit letztem Sommer, als er für
seinen Club den Antrag zum Cannabis-Anbau stellte, regelmäßig zu tun. Immer
mal wieder kamen Unterlagen zurück, passte etwas nicht. Die Antworten
ließen oft auf sich warten. Erst im April schließlich kam die Genehmigung.
Dennoch will Degenhart nichts Negatives über das LGL sagen. „Dass man das
vielleicht schneller bearbeiten hätte können, ist klar. Aber dafür kann ja
die zuständige Behörde nichts. Das ist ja ganz klar von Herrn Söder so
bestimmt worden. Das hat er angekündigt – und durchgezogen.“
## Zwölf Mitarbeiter für 39 Anträge
Fragt sich tatsächlich, wie eine Landesbehörde ein geltendes Bundesgesetz
umsetzt, wenn der Ministerpräsident quasi die Parole zur Sabotage dieses
Gesetzes ausgibt. Ob Antwortfristen angesichts der Söder’schen Ankündigung
maximal ausgeschöpft würden, wollte die taz daher vom LGL wissen. Die
Antwort war – auch auf erneute Nachfrage – ausweichend: Der Umfang der
Erlaubnisvoraussetzungen mache eine zeitaufwändige Prüfung erforderlich,
hieß es. Oder: Jedes Verfahren sei individuell.
An mangelndem Personal jedenfalls kann die besonders lange
Genehmigungsdauer nicht liegen. Bayern hat insgesamt 20 Vollzeitstellen bei
den beiden LGL-Standorten in Erlangen und Oberschleißheim eingerichtet.
Zwölf davon sind bereits mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt, die
sich ausschließlich um die Genehmigungsverfahren sowie perspektivisch um
die Kontrolle des Anbaus kümmern sollen. Mit gerade mal 39 Anträgen hatten
diese sich zu befassen, seit die ersten Anträge im vergangenen Juli
gestellt werden konnten. Von den 39 Anträgen wurden acht bereits wieder
zurückgenommen, einer wurde abgelehnt, fünf wurden genehmigt. Und 25
weitere sind noch in Arbeit.
Zum Vergleich: In Baden-Württemberg gingen im selben Zeitraum 97 Anträge
ein, es wurden 22 Genehmigungen erteilt. Um den Aufgabenbereich sollen sich
dort zwei Vollzeitkräfte kümmern, teilweise unterstützt von vier weiteren
Mitarbeitern. Eine der Vollzeitstellen ist allerdings noch gar nicht
besetzt.
## „Online-Apotheken sind die großen Gewinner“
In Schleswig-Holstein befasst sich eine Mitarbeiterin mit den Anträgen.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes hatte die Frau 24 Anträge auf dem Tisch.
Effektiv wurden bislang acht Genehmigungen erteilt. Und in Niedersachsen
hat ein Team von „mehreren Fachleuten“, das sich schwerpunktmäßig um diese
Aufgaben kümmere, 103 Anträge bearbeitet, von denen bereits 40 genehmigt
wurden.
Was freilich unklar bleibt, ist, warum die bayerische Regierung bei ihrer
restriktiven Auslegung des KCanG ihren Fokus auf die Cannabis-Clubs legt.
Den Cannabis-Konsum in Bayern wird dies kaum reduzieren. Denn auch hier
gibt es längst Alternativen zum Gang zum Dealer: Kopfweh zum Beispiel. Oder
chronische Schmerzen. Auch „Stress“ und „Appetitlosigkeit“ lassen sich …
zwielichtigen Internetplattformen anklicken. Ein Arzt stellt dann – meist
ohne Nachfrage – ein Rezept aus, und das gewünschte Cannabis-Produkt kann
im selben Bestellvorgang gleich mit geordert werden. Zu rein medizinischen
Zwecken, versteht sich. „Diese Online-Apotheken sind die großen Gewinner“,
beschwert sich Degenhart.
Der Vorkämpfer in Sachen Cannabis ist dennoch zuversichtlich. „Ich denke,
dass ein Zurückdrehen der Legalisierung extrem schwierig würde. Das gäbe
extremen Widerstand. Nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von der
Pharmaindustrie. Und auf Lobbyisten hört die CSU doch.“ So rechnet
Degenhart dauerhaft mit blühenden Landschaften auf seinen 60 Quadratmetern.
Und in ein paar Monaten, so das LGL will, wird zum ersten Mal geerntet.
18 Jun 2025
## LINKS
[1] https://csc-inntal.de/
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/kcang/BJNR06D0B0024.html
[3] https://www.weed.de/wissen/nachrichten/cannabisfolgenbegrenzungsgesetz
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
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