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# taz.de -- Italienische Küche: Die cucina italiana existiert!
> Der Historiker Alberto Grandi behauptet, die italienische Küche gebe es
> gar nicht. Stimmt nicht, denn die so eigenen lokalen Küchen vereint
> vieles.
Bild: Mehr als Pasta und Rotwein: Die kreative und minimalistische italienische…
Flash. Mit diesem einen Wort lässt sich trefflich beschreiben, was mir auf
meiner ersten Italienreise widerfuhr, damals im fernen 1976, als ich als
frischgebackener Abiturient gleich mehrere Wochen in Florenz verbrachte.
Da war der [1][Flash der Renaissancestadt] mit ihren Piazze und Palazzi,
ihren Kirchen und Türmen, ihren Fresken eines Masaccio, mit den
Michelangelostatuen und den Gemälden Botticellis. Da war der Flash eines
seinerzeit kräftig linksbewegten Italien, der Feste der Unità, auf denen
sich unter roten Fahnen Zehntausende Menschen trafen, auf denen am Abend
Lucio Dalla oder Antonello Venditti gratis aufspielten.
Da war aber noch ein dritter Flash – einer, der nach Knoblauch duftete und
nach Rosmarin, nach Salbei und Basilikum: der Flash der cucina italiana,
der italienischen Küche. Einigermaßen einfach kam sie daher in der von
einem älteren Herrn aus Livorno betriebenen Trattoria, mit Livorneser
Fischsuppe oder einer Bistecca fiorentina, aber auch mit ganz simplen
Spaghetti in einer göttlichen Tomatensauce oder mit der Ribollita, einem
Eintopf, in dem Schwarzkohl, Mangold und dicke Bohnen eine Scheibe alten
Brots bedecken.
Schnell fragte ich mich, warum eigentlich immer die Rede davon war, es gehe
einem „wie Gott in Frankreich“. Spätestens nach dem dritten Abend in der
Trattoria war klar, dass Gott in Italien zu Hause war. Dieser – bis heute
anhaltende – Glaube erhielt letzthin allerdings einen Dämpfer, als der
italienische Ökonom und Professor für Essensgeschichte [2][Alberto Grandi
mit seinem Buch „La cucina italiana non esiste“] („Die italienische Küche
existiert nicht“) Furore machte.
## Küche nur ein Mythos?
Ein erst in den Siebzigerjahren entstandener „Mythos“ sei jene italienische
Küche, behauptet Grandi; über Jahrhunderte habe die übergroße bitterarme
Mehrheit im Land so schlecht und eintönig gegessen wie sonst nirgendwo in
Europa. Und überhaupt – so recht sei gar nicht klar, was diese italienische
Küche eigentlich zusammenhalte, da doch die meisten Menschen auf dem
Stiefel einen Riesenkult vor allem um ihre Lokalküchen betrieben.
Mit dem Hinweis auf die enorme Vielfalt des kulinarischen Angebots liegt
Grandi durchaus nicht falsch. Ebendies machte jede Fahrt in die
verschiedenen Ecken des Landes zu immer neuen Entdeckungsreisen auch bei
Tisch. Ob die Pasta al pesto in Ligurien, zubereitet mit dem nur dort
wachsenden kleinblättrigen und besonders aromatischen Basilikum, ob der
Safranrisotto in Mailand ob die mit Zwiebeln, Essig, Pinienkernen und
Rosinen gezauberten Sardinen in Venedig, ob die Pasta cacio e pepe
(Schafskäse und Pfeffer) in Rom, ob die Schwertfischrouladen oder auch die
Spaghetti al nero di seppia – Spaghetti mit der Tinte des Tintenfischs – in
Sizilien: überall schmeckte es anders, neu und ausnehmend gut.
## Parmigiano schon im 14. Jahrhundert erwähnt
Doch auch diese Regional- und Lokalküchen hätten gar nicht die von ihnen
reklamierte Tradition, behauptet Grandi. Auch da macht er einen Stich.
Lustig ist zum Beispiel, wenn in der Toskana behauptet wird, die Pici –
handgemachte lange und dünne Nudeln – seien schon zu Etruskerzeiten vor
rund 2.500 Jahren verspeist worden; schließlich sei auf einem Bildnis in
einem Etruskergrab jene Pasta zu erkennen.
Zweifel sind da erlaubt. Das heißt aber wiederum nicht, dass die Rezepturen
gleichsam erst vorgestern entstanden wären. Grandi selbst muss zugeben,
dass zum Beispiel die Tortellini oder Ravioli in der Emilia und anderen
norditalienischen Landstrichen schon seit Jahrhunderten nachgewiesen sind,
dass der Parmigiano schon im 14. Jahrhundert Erwähnung fand, dass die
Neapolitaner*innen sich schon vor 200 Jahren mit auf der Straße
verkauften Spaghetti stärkten.
## Lokalküchen verbindet viel
Bei aller Vielfalt hält all die Lokalküchen viel mehr zusammen, als Grandi
wahrhaben will. Das geht schon mit der Speiseordnung los. Wirklich überall
vom alpinen Norden bis zum tiefen Süden Kalabriens oder Siziliens wird auf
den Speisekarten unterschieden zwischen den [3][Antipasti] (den
Vorspeisen), den Primi (Pasta, Risotto oder auch eine Gemüsesuppe) und den
Secondi (dem zweiten Gang, vorneweg Fisch oder Fleisch).
Schon damit entpuppt sich die cucina italiana als Trennküche ganz eigener
Art. Kohlehydrate, Proteine, Gemüse kommen hier nicht alle zusammen daher
wie beim Hauptgericht einer deutschen Gaststätte. Und mit dem Trennen geht
es dann auch beim Secondo weiter. Etwas bedröppelt schaute ich drein, als
ich damals vor Jahrzehnten zum ersten Mal mit Weißwein angemachte dünne
Kalbfleischscheiben bestellte. Die Scaloppine kamen – aber auch nur sie,
ohne jedes Beiwerk. Die Beilagen müsse ich schon selber bestellen, erklärte
mir dann der Kellner. Das hieß auch: kein Zwang zu Leipziger oder anderem
Allerlei als Pflichtbeilage, sondern die Wahlfreiheit zwischen mit Öl und
Zitrone angemachtem Spinat oder gegrillten Zucchini, zwischen Mangold und
Paprika – eine Wahlfreiheit, die ganz normale italienische [4][Restaurants
auch für Veggies attraktiv] werden lässt.
## Nichts ist zerkocht
Auch dies hält die italienische Küche zusammen: Es herrscht kein
Durcheinander auf dem Teller, und mehr noch, nichts ist zerkocht. „Al
dente“ heißt das bei der Pasta, al dente gilt recht besehen aber auch beim
Gemüse. Überhaupt herrscht das Prinzip „weniger ist mehr“, weniger
Kochzeit, weniger Zeug auf dem Teller – vor allem aber wenige klar
identifizierbare Zutaten bei fast jedem Rezept. Die Pasta al pesto:
Basilikum, Parmigiano und Pecorino, Olivenöl, Knoblauch und Pinienkerne.
Die Carbonara: Speck aus der Schweinebacke, Eigelb, Pecorino, schwarzer
Pfeffer.
Da ist kein Platz für Schummeleien, für undefinierbare braune Bratensaucen,
für zusammengepanschte Gemüse, für kühne Dressings, die den wässrigen
Geschmack der Tomaten übertünchen. Ebendies hält die italienische Küche
zusammen, vom hohen Norden in den tiefen Süden, vom gehobenen Restaurant
zur einfachen Landkaschemme, ebendies macht ihre Tradition aus, auch wenn
Alberto Grandi das nicht so recht wahrhaben will. „Buon appetito!“, möchte
man ihm zurufen, „la cucina italiana esiste!“
12 Aug 2024
## LINKS
[1] /Massentourismus-in-Florenz/!vn5964319/
[2] /Buch-ueber-italienische-Essensmythen/!6008785
[3] /!1733199/
[4] /Gastronomie-in-der-Krise/!vn6026428/
## AUTOREN
Michael Braun
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