# taz.de -- Wirtschaft auf Kuba: Die süßen Jahre sind vorbei | |
> Zucker war lange Einnahmequelle Nummer eins, heute stellt Kuba nicht | |
> einmal genug für den Eigenbedarf her. Kann Vietnam ein Vorbild für | |
> Reformen sein? | |
Bild: Die Erntearbeiterin Marta Alfonso umarmt den Leiter ihrer Brigade. Sie pr… | |
Cienfuegos taz | Die Erntebrigade hat ihr kleines Camp am Rande eines | |
wogenden Zuckerrohrfeldes aufgeschlagen. Zwei große Erntemaschinen, zwei | |
alte russische Traktoren, ein paar Anhänger und der Küchenwagen stehen | |
ähnlich wie eine Wagenburg auf einer Freifläche vor den gut drei Meter | |
hohen Halmen. Wie eine grüne Wand stehen sie an der Landstraße zwischen | |
Aguada de Pasajeros und Colón, im Zentrum Kubas. | |
Hier, im äußersten Westen der Provinz Cienfuegos, hat die Erntebrigade am | |
Morgen die Arbeit aufgenommen. Gerade hat sie sich zum zweiten Frühstück | |
rund um den Küchenwagen von Marta Alfonso eingefunden, einem vergitterten, | |
abgewetzten Anhänger, in dem sich der Duft von Kaffee breitmacht. Eine | |
himmelblaue Thermoskanne und ein knappes Dutzend Kaffeebecher aus Blech | |
stehen bereit; daneben liegen ein paar aufgeplusterte kubanische Brötchen | |
aus hellem Mehl, mit denen sich die Kollegen heute begnügen müssen. | |
„Es ist nicht leicht“, meint die Frau in dem ausgewaschenen Jeanshemd und | |
mit dem adretten Bürstenhaarschnitt, als sie den Blick des Besuchers über | |
das Angebot gleiten sieht. Alfonso wird bald 60 Jahre alt und ist Veteranin | |
bei der Zafra, der Zuckerernte auf Kuba. Die Dekoration ihres Küchenwagens | |
spricht Bände. | |
Ein Transparent der Kleinbauernvereinigung ANAP zum 60. Jahrestag der | |
Agrarreform ist neben einem Foto von [1][Fidel Castro] an den Gitterstäben | |
auf der einen Seite befestigt. Von der gegenüberliegenden Seite blickt | |
[2][Ernesto „Che“ Guevara] nachdenklich herüber. Typisch in Kuba, wo sich | |
vor allem die Älteren mit den Ikonen der Revolution von 1959 | |
identifizieren. Marta Alfonso gehört dazu, auch wenn sie viele ihrer | |
einstigen Hoffnungen längst beerdigt hat. | |
Der Niedergang der Lokomotive der kubanischen Ökonomie, der | |
Zuckerindustrie, trifft sie schwer. „Alles drehte sich früher um die Zafra, | |
der Zuckersektor war der Leitsektor unserer Wirtschaft. Heute produzieren | |
wir noch nicht mal genug für den Eigenbedarf“, erklärt die Brigadistin mit | |
leiser Stimme. | |
„Dabei haben wir in Aguada de Pasajeros noch Glück gehabt“, ergänzt Kolle… | |
Nelson Pérez, der einen der rostigen Traktoren aus sowjetischer Produktion | |
lenkt. Die Kleinstadt ganz im Westen der Provinz Cienfuegos ist eine von | |
drei Standorten in der Provinz, wo noch Zuckerrohr gemahlen wird – früher | |
waren es zwölf. Centrales werden die weitläufigen Hallen genannt, in denen | |
aus dem Zuckerrohr der süße Guarapo, der Zuckersaft, gepresst wird. Früher | |
unter riesigen Mühlsteinen, heute meist mit gigantischen Walzen. Danach | |
wird der Zuckersaft unter Hitze eingedickt, bis die Zuckerkristalle des | |
Rohrohrzuckers entstehen, die in riesigen Zentrifugen von der Melasse | |
getrennt werden. | |
## Auch in diesem Jahr beginnt die Ernte spät | |
Das passiert in der Central Antonio Sánchez von Aguada de Pasajeros auch | |
weiterhin. „Unsere Central gehört zu den moderneren, wir produzieren | |
effizienter als so manche andere und haben auch in der letzten Ernte unsere | |
Planvorgaben erfüllt“, erklärt Traktorist Pérez und nippt an seinem heißen | |
Kaffee. Etwas Stolz schwingt in seiner Stimme mit. Doch auch in diesem Jahr | |
konnten sie erst verspätet mit der Ernte beginnen. Ersatzteile, aber auch | |
Treibstoff fehlten. Trotzdem ist er guten Mutes, dass seine Brigade auch in | |
diesem Jahr die Planvorgaben erfüllen wird. | |
Das ist selten in Kuba. Davon zeugen die Ernteergebnisse der letzten Jahre. | |
Gerade 350.000 Tonnen Zucker wurden in der Ernte 2022/23 produziert, | |
deutlich unter der Planvorgabe von 455.000 – und auch deutlich unter dem | |
Durchschnittskonsum der eigenen Bevölkerung von mindestens 400.000 Tonnen. | |
Der ehemaligen Zuckerinsel fällt es immer schwerer, das einstige Schwungrad | |
der kubanischen Ökonomie am Leben zu erhalten. Dafür macht der kubanische | |
Ökonom Omar Everleny Pérez eine Fehlentscheidung aus dem Jahr 2002 | |
verantwortlich. „Damals wurde auf höchster Ebene, also mit Billigung Fidel | |
Castros, entschieden, den Zuckersektor des Landes herunterzufahren“, | |
erklärt der ehemalige Direktor des Studienzentrum der kubanischen | |
Wirtschaft (CEEC). | |
„Mehr als die Hälfte der 156 Centrales wurden damals stillgelegt, einige | |
demontiert und ins Ausland verkauft und in ein oder zwei Fällen zu Museen | |
umfunktioniert. Der Rest ist bis heute mehr oder weniger dem Verfall | |
anheimgegeben“, kritisiert Pérez. Er arbeitet heute als freier Analyst. | |
2016 wurde er aus den Diensten der Regierung entlassen, weil er wohl zu | |
deutlich den fehlenden Willen zu Reformen nach vietnamesischem Modell | |
kritisierte. | |
Dieses auf der Ankurbelung des Agrarsektors basierende Modell des | |
südostasiatischen Boomlandes wäre auch heute noch für Kuba praktikabel, | |
meint der 64-Jährige. Für ihn ist die Landwirtschaft das potenzielle | |
Schwungrad der Inselökonomie, angesichts des lahmenden Tourismus und der | |
fehlenden ökonomischen Dynamik, die die Insel derzeit prägen – genauso wie | |
die Auswanderung auf Grund der wirtschaftlichen Situation. | |
„Wir leisten uns seit rund 30 Jahren den Import von Nahrungsmitteln im Wert | |
von mehr als zwei Milliarden US-Dollar, haben nicht den Mut zu | |
strukturellen Reformen“, analysiert Pérez mit einer wegwerfenden | |
Handbewegung. Ihm ist anzumerken, mit wie viel Unverständnis er die | |
politische Führung der Insel betrachtet, die sich 2002 gründlich | |
verkalkulierte. | |
Damals deckte der Weltmarktpreis für das Pfund Zucker von neun US-Cent | |
nicht die kubanischen Produktionskosten. Das war der Auslöser für die | |
kurzsichtige Entscheidung der politischen Führung, gleich 82 der 156 | |
Centrales dichtzumachen. Rund 200.000 Arbeiter:innen im Zuckersektor | |
verloren ihre Jobs und, schlimmer noch, der historische Schnitt hat einem | |
Dominoeffekt mit sich gebracht: Weitere Centrales wurden aus der Produktion | |
genommen. Bei der aktuellen Ernte waren maximal 25 von inzwischen nur noch | |
54 Centrales in Betrieb. | |
„Anders als damals angekündigt, hat man sich weder angemessen um die | |
Neuanstellung der Entlassenen gekümmert, noch wurden die verbleibenden | |
Centrales modernisiert, um das Ziel, den Zuckersektor produktiver zu | |
machen, zu erreichen“, kritisiert Pérez' Kollege Juan Triana, Professor an | |
der Universität Havanna, gegenüber der taz. Für ihn wurde damals ein | |
Schockprogramm von enormer ökonomischer Tragweite initiiert, welches bis | |
heute nicht wieder korrigiert werden konnte. Zwar hatte man in den | |
Folgejahren versucht, den Zuckersektor wieder zu reanimieren. Aber es | |
gelang nicht, Schlüsselprodukte wie Düngemittel, Pestizide, Ersatzteile und | |
selbst Treibstoff in ausreichender Menge zu beschaffen. | |
## Viele Menschen rutschten in die Armut | |
Bereits zwei Jahre nach der Schließung der 82 Centrales im Jahr 2004 | |
kletterte der Zuckerweltmarktpreis wieder auf attraktive 27 Cent pro Pfund. | |
Nicht nur Ökonomen wie Triana und Pérez, sondern auch die Betroffenen in | |
landwirtschaftlichen Genossenschaften wie der CPA Revolución de Octubre | |
kritisieren die Regierungspolitik. Auch Nelson Pérez und Marta Alfonso von | |
der Erntebrigade an der Straße nach Colón sind in einer Genossenschaft | |
organisiert. Sie fragen sich, warum jahrelange Erfahrung, wissenschaftliche | |
Expertise in Forschungszentren wie jenem für Zuckerrohrderivate sowie die | |
Infrastruktur von Pilotanlagen zur Papier- und Spanplattenherstellung nicht | |
weiter genutzt wurden. „Die Abkehr vom Zuckerrohr ist für uns nicht | |
nachvollziehbar. Sie hat viele Gemeinden in die Krise geführt“, meint Marta | |
Alfonso, nachdem sie das Frühstück ausgegeben hat. | |
Das Gros der Brigadist:innen hat sich rund um den Küchenwagen im | |
Schatten in einem Knick verteilt und Marta hat ein paar Minuten Zeit. „Dort | |
wo die Centrales schlossen, ging mehr verloren als nur eine Zuckerfabrik. | |
Zu jeder Central gehören Werkstätten, gastronomische Infrastruktur und | |
Anlagen zur Energiegewinnung, aber auch zum Speichern von Melasse, | |
Zuckerrohrstroh und zur Produktion von Industriealkohol“, erklärt die Frau. | |
2002 flossen diese Indikatoren nicht in die Rechnung der revolutionären | |
Führung ein. Sie verkalkulierte sich mit gravierenden Folgen. | |
Das würde Alfonso nie so offen formulieren, aber sie ist froh, dass es ihr | |
nicht so erging wie Verwandten in anderen Zuckerrohrgenossenschaften: „Die | |
rutschten in die Armut, wie eine meiner Schwestern.“ Im rund 50 Kilometer | |
entfernten Jovellanos seien beide Centrales dichtgemacht worden. Eine 2002 | |
und eine weitere weniger Jahre später – als Folge ausbleibender Mittel für | |
Modernisierung, für Anbau und Ernte des Zuckerrohrs. | |
Zuckerrohr war seit der spanischen Kolonialzeit Kubas wichtigste | |
Agrarpflanze. Diego Velásquez, erster Gouverneur Kubas, brachte das aus | |
Asien stammende Süßgras 1493 mit, so AzCuba. Das staatliche kubanische | |
Zuckerunternehmen ersetzt seit 2011 das Zuckerministerium und ist heute für | |
alles rund um die Anpflanzung und die Verarbeitung des Zuckerrohrs, von der | |
Melasse bis zum berühmten Rum, mehr oder minder verantwortlich. | |
Die überaus durstige Pflanze beziehungsweise die aus ihr gewonnenen süßen | |
Kristalle dominierten schon im 18. Jahrhundert die Inselökonomie. Um 1850 | |
wurden etwa 14.000 Zuckerrohrplantagen auf der Insel gezählt, die | |
Industrialisierung des Zuckersektors nahm damals seinen Lauf. Der Sektor | |
wurde zum Schwungrad der Inselökonomie und davon zeugen die prächtigen | |
Stadtvillen in Trinidad, heute Weltkulturerbe. Die Stadt ist ein Symbol des | |
ersten Zuckerbooms um 1850, der zweite sorgte rund um die beiden Weltkriege | |
für den „Tanz der Millionen“ in der damaligen Boomstadt Matanzas. | |
Moderne Zuckerverladeeinrichtungen, der Nachfrageboom aus Europa und dem | |
Rest der Welt sorgten dafür, dass die Zuckeraristokratie sich fast alles | |
leisten konnte. Davon zeugt das Teatro Sauto in Matanzas, wo Stars wie | |
Enrico Caruso oder die russische Balletttänzerin Anna Pavlova in den 1930er | |
und 1940er Jahren auftraten. Kuba war zur Zuckerinsel mutiert und zum | |
wichtigen Player auf dem Zuckerweltmarkt. 70 Prozent, später bis zu 90 | |
Prozent der Exporte der Insel entfielen auf den beigen Rohrohrzucker und | |
die raffinierte Variante. | |
Weniger sichtbar war das Leid, das mit der Zuckerrohrernte, die damals vom | |
US-Markt bestimmt war, einherging. Zwar war die Sklaverei ab 1886 auf Kuba | |
verboten, aber schlecht bezahlte Macheteros, Erntearbeiter teilweise aus | |
Haiti oder Jamaika, lebten in Kuba unter prekären Bedingungen auf dem Land. | |
## „Ohne Zucker gibt es kein Land“ | |
Daran wollte [3][die kubanische Revolution von 1959] etwas ändern. Die | |
Barbudos, die Bärtigen um Fidel Castro und Ernesto „Che“ Guevara, wollten | |
mehr Lebensmittel, aber auch mehr Kakao und Kaffee anbauen, um die negative | |
Kehrseite der „zuckerzentrierten Entwicklung“, der prekären | |
Arbeitsbedingungen auf den Plantagen, zu korrigieren. Vergeblich, denn ab | |
1964 erfolgte die Rolle rückwärts auf Druck der Sowjetunion. | |
Die war als Abnehmer der Hälfte der Zuckerproduktion von damals 5,6 | |
Millionen Tonnen für die USA eingesprungen. Der „Koloss im Norden“, wie die | |
USA in Kuba gerne genannt wurde, hatte die Insel nach der Revolution mit | |
Sanktionen, darunter einem Handelsembargo, belegt. Folgerichtig blieb der | |
Regierung in Havanna kaum etwas anderes übrig, als sich dem sozialistischen | |
Lager anzuschließen – und es mit Millionen Tonnen von Zucker zu beliefern. | |
Der Spruch der längst ins Exil geflohenen Zuckeraristokraten machte erneut | |
die Runde. „Sin azúcar no hay país“, soviel wie: „Ohne Zucker gibt es k… | |
Land.“ | |
Erneut drehte sich auf der Insel alles um den Zucker. Die Ernteerträge | |
wurden dank der Mechanisierung der Ernte hochgefahren: Zwischen sechs und | |
achteinhalb Millionen Tonnen der süßen Kristalle produzierte Kuba zwischen | |
1970 und 1990. Mit der süßen Ware wurden sowohl die sozialistischen | |
Handelspartner als auch der Weltmarkt beliefert: Die größte der | |
Antilleninseln war bis zu Beginn der 1990er Jahre die Nummer zwei auf dem | |
Zuckerweltmarkt. Das änderte sich abrupt mit dem Zusammenbruch des | |
sozialistischen Lagers zu Beginn der 1990er Jahre. Der Leitsektor der | |
kubanischen Wirtschaft rutschte in die Krise, die sich 2002 mit dem | |
hausgemachten „Strukturanpassungsprogramm“ weiter vertiefte. | |
Analyst Pérez verweist auch auf die weniger bekannten Folgen des | |
Niedergangs des Zuckersektors. „Ich habe die Gemeinde Jobabo in der Provinz | |
Las Tunas vor ein paar Jahren besucht. Der ganze Ort ist mit der Schließung | |
der Central Perú in eine gravierende soziale Krise gerutscht – Alkoholismus | |
und Prostitution sind sichtbar“, berichtet der Ökonom. Kein Einzelfall. | |
Zumal die Zahl der funktionierenden Centrales, die regelmäßig bei den | |
Zuckerrohrernten zum Einsatz kommen, seit 2002 weiter gesunken ist. Von | |
derzeit 54 Zuckerfabriken inselweit sind bei der letzten Ernte, die Anfang | |
Juli abgeschlossen wurde, nur 25 laut dem staatlichen Zuckerunternehmen | |
AzCuba zum Einsatz gekommen. | |
## Selbst für Freunde ist Investieren ein Risiko | |
Was mit den restlichen 29 passieren wird, steht in den Sternen, denn | |
Kapital ist knapp – und das Staatsunternehmen sucht derzeit händeringend | |
nach Investoren, um den Zuckersektor nach und nach wieder flottzumachen. | |
Das ist zwar nicht unmöglich, aber alles andere als einfach, denn in Kubas | |
Wirtschaft zu investieren, ist selbst für befreundete Nationen wie China, | |
Russland oder Angola ein unkalkulierbares Risiko – trotz eines | |
Weltmarktpreises für Zucker von derzeit rund 23 US-Cent pro Pfund. Kuba | |
gilt auch unter Freunden als Fass ohne Boden, weil das zentralisierte | |
Wirtschaftsmodell schlicht nicht funktioniere, meint Pérez. Für zusätzliche | |
Ernüchterung bei den potenziellen Investoren dürfte zudem das noch nicht | |
veröffentlichte Ergebnis der letzten Zafra sorgen, dessen Ergebnis noch | |
unter Verschluss gehalten wird. | |
Genau das ist für Pérez ein negatives Vorzeichen. „Ich kalkuliere mit einem | |
Ergebnis von 250.000 Tonnen, auf Basis einiger Ergebnisse aus den | |
Provinzen, die bereits publik sind.“ Sollte sich die Kalkulation | |
bestätigen, wäre wieder eine historische Missernte perfekt. Die ehemalige | |
Zuckerinsel, die noch in den 1980er Jahren ein Ernte von acht Millionen | |
Tonnen und mehr Zucker produzierte, wäre auf das Produktionsniveau von 1880 | |
zurückgefallen – als noch per Hand und nicht mechanisiert geerntet wurde. | |
Ein Desaster, zu dem auch das US-Embargo seinen Teil beiträgt, das die | |
Insel seit Jahrzehnten versucht, ökonomisch zu strangulieren. Doch die | |
Zuckerkrise ist zu großen Teilen hausgemacht. Das bestätigt auch Juan | |
Triana, der erst vor wenigen Tagen anlässlich der halbjährigen | |
Parlamentssitzung überaus offen und nachdrücklich eine verfehlte | |
Investitionspolitik kritisierte. „Über acht Jahre wurden rund 35 Prozent | |
der Investitionen in den Tourismus gelenkt. Die Fischerei, der | |
Zuckersektor, die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie wurden | |
massiv vernachlässigt“, kritisierte der Ökonom in einem Blogbeitrag, der | |
vor wenigen Tagen auf der Insel erschien. | |
Die Folgen dieser Politik sind bei einer Fahrt vom Osten in den Westen der | |
Insel kaum zu übersehen. Mindestens eine Million Hektar der rund sechs | |
Millionen Hektar Anbaufläche liegt brach. Oft überwuchert von stacheligen | |
Büschen, die Marabú oder Aroma genannt werden, und nur mit schwerem Gerät | |
wieder entfernt werden können. Flächen, die früher meist mit Zuckerrohr | |
bepflanzt waren. Die für die Insel einst charakteristischen Halme wurden | |
bis 2002 auf rund 1,6 Millionen Hektar angebaut – heute sind es nur noch | |
100.000 bis 150.000 Hektar, so die offiziellen Zahlen von AzCuba. | |
Bittere Realitäten, die im Erntecamp an der Landstraße nach Colón mit einer | |
Mischung aus Hilflosigkeit und Resignation quittiert werden. „Wir rutschen | |
immer tiefer in die Krise und steuern nicht dagegen“, stöhnt Alfonso | |
kopfschüttelnd. Sie bereitet gerade das Mittagessen vor und rührt nebenbei | |
eine Limonade mit reichlich Zucker an. | |
Zucker, der immer knapper auf der Insel wird, was auch das offizielle | |
Regierungsportal „Cubadebate“ in einer Analyse zur landwirtschaftlichen | |
Situation aus dem Jahre 2019 en détail aufzeigte. Die Regierungsexperten | |
mahnten damals zu mehr Investitionen im Agrarsektor mit immer noch rund | |
einer Million Beschäftigten. Passiert ist seitdem wenig bis gar nichts. Der | |
Verfall des einst so dominanten Zuckerrohrsektors ist dafür das beste | |
Beispiel. | |
7 Aug 2024 | |
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Daniel Diverso | |
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