# taz.de -- Debatte ums Fliegen: Wir unperfekten Menschen | |
> Viele Leute quälen sich mit der Frage: Dürfen wir noch fliegen, trotz | |
> Klimakrise? Die Politik sollte es ihnen leichter machen. | |
Bild: Sieht das nicht schön aus? Viel Flugverkehr über dem Ammergebirge | |
Ach ja, das Fliegen. Seufz. An keiner anderen Frage trennt sich heutzutage | |
so die Spreu der Klimaschweine vom Weizen der Aufrechten. Ob jemand in ein | |
Flugzeug steigt oder nicht, hat heute oft die Qualität einer Nagelprobe. | |
Früher lauteten die entscheidenden Fragen: [1][Beatles] oder [2][Stones]? | |
Katholisch oder evangelisch? [3][Dortmund] oder [4][Bayern]? Heute heißt | |
es: [5][Mit dem Flugzeug in den Urlaub oder nicht?] Die Antwort sagt oft | |
viel über den jeweiligen Menschen. Und leider meist nichts Gutes. | |
Denn entweder die Flugbegeisterte blendet alle ökologischen und sozialen | |
Probleme aus, die der massenhafte Luftverkehr mit sich bringt. Oder der | |
Fluggegner reklamiert für sich, [6][den einzig wahren Weg zum Ökofrieden] | |
zu kennen. Weil er am Boden bleibt und vielleicht sogar dort klebt. Es gibt | |
da keine Grauzone, keinen Raum für Kompromisse. Für die Lösung von | |
Problemen ist das nie gut. | |
Aber geht es hier darum, ein Problem zu lösen? Oder eher darum, recht zu | |
haben? | |
Vielleicht helfen ein paar Fakten: In Deutschland verursachen Flüge laut | |
Statistischem Bundesamt und Öko-Institut pro Jahr etwa 28 Millionen Tonnen | |
CO2 – ungefähr 3 Prozent der Treibhausgase. Rechnet man alle Faktoren ein, | |
dass Treibhausgase so weit oben in der Luft zum Beispiel noch stärker | |
wirken als am Boden, machen diese Flüge etwa 10 Prozent des deutschen | |
Beitrags zur Erderhitzung aus. Ganz schön happig für eine Aktivität, die zu | |
großem Teil reiner Luxus ist: Zwei Drittel der Flugreisen in Europa und | |
nach Übersee sind Urlaubsreisen. | |
## Luxus der Reichen | |
Fliegen ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung, [7][sie ist | |
weltweit ein Luxus der Reichen] und der wohl größte Hebel, mit dem man als | |
Privatperson diesen Planeten ruinieren kann. Wir befinden uns mitten in | |
einem Notstand und müssen schnell an allen möglichen Hebeln ziehen. | |
Aber Fliegen ist auch hochsymbolisch. Es ist zur Gretchenfrage geworden, ob | |
es jemand ernst meint mit der Klimazukunft – oder ob er oder sie das | |
Engagement nur heuchelt. Dabei hätten andere Themen mindestens genauso viel | |
Aufmerksamkeit verdient. | |
Wer jetzt noch aus Trotz oder Unwissen die Entscheidung trifft, sich eine | |
[8][Gasheizung] anzuschaffen, macht sein Leben sehr klimaschädlich, und das | |
wahrscheinlich auf Jahrzehnte. [9][Das Heizen von Räumen] verursacht in | |
Deutschland etwa 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich. Das taugt den | |
meisten Menschen aber anders als das Fliegen nicht für große Emotionen. | |
## Hass aufs Fliegen | |
Auch für mein Leben habe ich beim Reisen keine ideale Lösung. Ich hasse | |
Fliegen. Ich finde es furchtbar, genervt mit anderen Genervten in langen | |
Schlangen zu stehen, mich in einen unbequemen Sitz zu quetschen, schlecht | |
zu essen und zu wissen, wenn etwas schiefgeht, hast du keine Chance. Wie | |
vergleichsweise entspannend sind da die Nachtzüge und verspäteten ICEs mit | |
verstopften Klos und verpassten Anschlusszügen. | |
Trotzdem sitze ich immer mal wieder im Flugzeug. Vor allem, wenn es zu | |
Klimakonferenzen geht – und die hämischen Kommentare können Sie sich jetzt | |
sparen: Jedes Champions-League-Spiel treibt mehr Menschen in ein Flugzeug | |
als die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen. | |
Und ja, selten steige ich auch privat ins Flugzeug. Um die | |
US-Verwandtschaft mal wieder zu sehen. Um die Gastfamilien der Kinder in | |
Lateinamerika zu besuchen. Aber viel öfter mache ich mich bei Freunden und | |
Verwandten unbeliebt, wenn ich nicht für zwei Wochen nach Portugal oder zum | |
Wochenende nach Mallorca mitkommen will. Und nach Stockholm, Oslo, Korsika | |
und Toulon kommen wir auch gut mit dem Zug. | |
## Perfektion? Unerwünscht | |
Aber es geht ja ums große Ganze: oben oder unten? Und das ist schon Teil | |
des Problems. | |
Denn die Idee, eine richtige Botschaft brauche ideale BotschafterInnen, ist | |
so alt wie falsch. Das Ideal einer lebendigen Demokratie wird auch durch | |
korrupte Politiker nicht erledigt, freie Medien bleiben ein hohes Gut, auch | |
wenn sie Unsinn verbreiten. Yannick Seuthe, [10][der „Bali-Flieger“], der | |
als Mitglied der Letzten Generation einen Flug nach Thailand buchte und | |
trotzdem Flughäfen blockiert, sagt zu Recht: „Ich muss kein perfekter | |
Mensch sein, um für meine Grundrechte einzustehen.“ | |
Wenn man die Flugdebatte moralisch auflädt, lauern große Gefahren: Man geht | |
den Anti-Öko-Narrativen auf den Leim, die Krawall wollen und die | |
Unterscheidung in Gut und Böse. Diese Identitätsdebatte lässt keinen Raum | |
mehr für die Suche nach echten Lösungen. | |
Statt auf sinnvolle Regulierung zu setzen, wollen die rechten Bremser in | |
Union und FDP alles über angeblichen technischen Fortschritt | |
(„[11][Technologieoffenheit]“) lösen – und es dem Einzelnen überlassen,… | |
er oder sie tut. Ähnlich individualisiert ist da von der Gegenseite die | |
Forderung nach moralisch einwandfreiem Verhalten. | |
Das nämlich löst kein kollektives Problem, wie wir es beim Fliegen haben. | |
Es löst nicht den Skandal des [12][steuerfreien Kerosins], es bringt uns | |
nicht internationalen Abkommen zur Besteuerung von Flügen oder dem Verbot | |
von Privatjets näher. Es liefert keinen technischen Durchbruch bei der | |
Entwicklung und massenhaften Produktion von klimaneutralen E-Fuels. | |
Das geht nur über gute, alte, langweilige Politik, also über kollektives | |
Handeln. Und für ein gutes Verhandlungsergebnis sind andere Dinge wichtiger | |
als eine blitzblanke Moral der VerhandlerInnen. | |
## Das Ziel ist klar | |
Am Ende muss aber natürlich wenig bis gar kein Fliegen herauskommen, | |
solange das nicht annähernd klimaneutral geht, das ist auch klar. Nur | |
sollte das eben keine moralischen Höchstleistungen der einzelnen Menschen | |
erfordern, sondern durch die richtigen Strukturen ermöglicht werden. | |
Wer sich von Öko-Seite auf einen Kulturkampf einlässt, diskreditiert den | |
politischen Kompromiss. Dann ist der Aktivismus nicht an einer Lösung | |
interessiert, sondern will den anderen vor allem seine Art zu denken und zu | |
leben aufdrängen. Das ist nicht nur übergriffig, sondern geht auch schief. | |
Die Gefahr dabei, wie oft in linken und ökologischen Bewegungen: Wir | |
verkämpfen uns bis aufs Blut bei Details und lassen die großen Gegner dabei | |
ungeschoren. Fürs Rechthaben sind manche bereit, den ganzen Laden | |
niederzubrennen, statt zu sehen, wo eigentlich der Feind steht. | |
Nicht in ein Flugzeug zu steigen, ist eine ehrenhafte Weigerung, an der | |
Klimakrise mitzuwirken. Das allein löst aber das Problem nicht. Dafür | |
braucht es Allianzen. Und die werden durch moralischen Rigorismus eher | |
schwieriger als einfacher. So kompliziert ist das. Ach ja, das Fliegen. | |
Seufz. | |
3 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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