| # taz.de -- Bebauung an spanischen Küsten: Die Playas verschwinden einfach | |
| > Natürliche Strände passen sich dem Klimawandel an. Sind sie zugebaut, | |
| > werden sie bei Extremwetter weggeschwemmt. In Spanien wird das zum | |
| > Problem. | |
| Bild: Könnte so schön sein! Aber auch dieser Strand, der Platja Gran in Tossa… | |
| Barcelona dpa | Für die Menschen, die hier leben, ist es erschreckend. „Als | |
| Kind habe ich hier gespielt und gebadet, der Strand war damals doppelt so | |
| breit“, sagt Josep, ein 48-jähriger Lehrer, und zeigt von der Promenade auf | |
| den Strand in Platja d'Aro. Die Zeitung La Vanguardia schrieb kürzlich, | |
| dass die heute im Schnitt gut 50 Meter breite Platja Gran, der „große | |
| Strand“, in den 1980er Jahren dreimal so breit gewesen sei. | |
| Die Einschätzungen differieren, amtliche Zahlen gibt es nicht – aber in | |
| einem sind sich in dem auch bei Ausländern beliebten Badeort an der Costa | |
| Brava in Katalonien alle einig: Der Strand wird seit Jahrzehnten „kleiner, | |
| kleiner und noch mal kleiner“, wie sich der langjährige | |
| Gaststättenbetreiber Aldo ausdrückt. | |
| Das passiert nicht nur in Platja d'Aro. Das Phänomen des „Strandsterbens“ | |
| ist auch andernorts zu beobachten. Experten sehen eine Ursache darin, dass | |
| Küsten direkt bis zum Strand bebaut wurden. Schützende Dünen gibt es oft | |
| nicht mehr. An einer natürlich gebliebenen Uferlinie würde der Strand | |
| einfach langsam landeinwärts wandern – was nicht möglich ist, wenn er bis | |
| nah ans Meer bebaut wurde. | |
| „Natürlich gebliebene Strände können sich leicht an den Klimawandel | |
| anpassen, da sie fähig sind, sich bei steigendem Meeresspiegel | |
| zurückzuziehen und zu erhöhen“, sagt Francesca Ribas von der Universitat | |
| Politècnica de Catalunya in Barcelona. Wenn sich der Strand aber wegen des | |
| vielen Betons nicht verschieben könne, verschwinde er. | |
| ## Düstere Prognose | |
| Dass Dünen zu Promenaden umgewandelt wurden, sei ein großes Problem, | |
| erklärt die Expertin für Küstendynamik. Die Anpassungsfähigkeit der Strände | |
| werde eingeschränkt, das Risiko von Überschwemmungen bei Stürmen erheblich | |
| erhöht. Auch Staudämme an Flüssen in Küstennähe sowie der Bau von | |
| Sport-Häfen und anderer Infrastruktur in Küstennähe förderten die Erosion. | |
| Auch in anderen Küstengegenden, etwa in Kalifornien und in Florida, in der | |
| Türkei, in Brasilien und an der Goldküste in Australien schwindet der | |
| Strand. Ein Faktor ist dabei der Klimawandel. Unter den [1][vom Klimawandel | |
| und Anstieg des Meeresspiegels] geprägten Bedingungen könnte „[2][die | |
| Hälfte der weltweiten Sandstrände bis zum Ende des Jahrhunderts | |
| verschwunden sein“, hieß es schon 2020 in einer in der Fachzeitschrift | |
| Nature Climate Change ] vorgestellten Studie. | |
| Die Stadt Barcelona schätzt, dass dort jedes Jahr 30.000 Kubikmeter Sand | |
| weggespült werden. Das seien über zehn Prozent des Gesamtbestandes. Ribas | |
| ist aufgrund ihrer Tätigkeit bestens informiert, aber auch sie erlebt als | |
| Strandgängerin unangenehme Überraschungen: „Ich war erst vor wenigen Jahren | |
| total überrascht, als ich an einigen Stränden im Llobregat-Delta südlich | |
| von Barcelona, die bis dahin keine Probleme mit Erosion gehabt hatten, eine | |
| gewaltige Rückbildung bemerkte.“ | |
| ## 90 Prozent weniger Sand | |
| Es gibt wissenschaftliche Erhebungen, die die Schwere des Problems mit | |
| Zahlen verdeutlichen. Ribas zitiert internationale Studien, wonach im | |
| Zeitraum 1984 bis 2015 circa 25 Prozent der Strände weltweit von | |
| chronischer Erosion betroffen waren. Das basiere auf Schätzungen anhand von | |
| Satellitenbildern. Das Kartografische und Geologische Institut Kataloniens | |
| (ICGC) ermittelte, dass in dieser Region sogar 65 Prozent aller erfassten | |
| Strände (319 von insgesamt 489) zwischen 1956 und 2019 geschrumpft seien. | |
| „Einer der bemerkenswertesten Fälle ist [3][Montgat, dessen Strand 90 | |
| Prozent seines Sandes verloren hat“, heißt es von der | |
| Umweltschutzorganisation Greenpeace]. Allein seit Juli 2023 ging dort die | |
| Gesamtfläche des Strandes nach amtlichen Angaben von 25.000 auf 6.400 | |
| Quadratmeter zurück. Im Frühjahr war die Lage nach einem großen Sturm so | |
| schlimm, dass die Ortschaft nahe Barcelona sogar erwog, die Sommersaison | |
| abzusagen. „Wir hatten fast nicht einmal mehr Platz, um einen | |
| Rettungsschwimmer-Stuhl hinzustellen“, sagt die für Umwelt zuständige | |
| Stadträtin Tania González der Zeitung El Periódico. | |
| ## Folgen für den Tourismus | |
| Die Küstenerosion hat alarmierende Folgen, nicht nur für Yaiza Castro. Fast | |
| in ganz Spanien und auch in Katalonien ist Tourismus eine der | |
| Haupteinnahmequellen. Und der ist stark abhängig von den Stränden. Ribas | |
| weist auch auf die Gefährdung vom „sehr wertvollen Ökosystem“ hin. Und: | |
| „Strände sind für die dahinter liegenden Städte der bestmögliche Schutz v… | |
| Stürmen, da sie die Energie der Wellen absorbieren. Wenn es keinen Strand | |
| gibt, haben Stürme eine viel zerstörerischere Wirkung“, sagt sie. | |
| In Katalonien und anderen betroffenen Küstenregionen Spaniens gibt es immer | |
| mehr Menschen, die dem Verlust der Strände nicht tatenlos zusehen wollen. | |
| Aufklärungs- und Protestaktionen sollen informieren. In Valencia etwa | |
| wurden jüngst mit einer kilometerlangen Menschenkette Maßnahmen gefordert. | |
| In Katalonien gab es Anfang August in Calella de Palafrugell unweit von | |
| Platja d'Aro eine Open-Air-Theateraufführung der Organisation SOS Costa | |
| Brava über die ökologischen Folgen der ungebremsten Bauwut. | |
| Ribas beobachtet, dass nicht nur in Spanien, sondern „weltweit ein Umdenken | |
| stattfindet“. In Spanien gibt es vielerorts strengere Bauvorschriften, das | |
| Küstengesetz wurde verschärft. Immobilienbesitzer haben Angst vor möglichen | |
| Enteignungen. Trotzdem findet die Bauwut kein Ende, oft wird illegal | |
| gebaut. Neben Megaunterkünften werden – wie etwa in Bilbao – auch große | |
| Museen in Küstennähe errichtet. SOS Costa Brava kämpft auch vor Gericht | |
| unter anderem gegen einen geplanten Ausbau der Marina in Platja d'Aro und | |
| weitere Projekte zum Bau von Hotelkomplexen und vieler Wohnsiedlungen | |
| entlang der beliebten Urlaubsregion. | |
| ## Was macht die Regierung? | |
| Pau Bosch, Vizepräsident dieses Zusammenschlusses von über 25 | |
| Umweltschutzgruppen, betont im Interview der Deutschen Presse-Agentur, dass | |
| sich der unermüdliche Kampf lohne. Es habe bereits Erfolge gegeben. „Dank | |
| unseres Einsatzes wurde unter anderem in Katalonien der städtebauliche | |
| Masterplan für die Küste genehmigt, um verschiedene Naturgebiete zu | |
| schützen, die zerstört werden sollten.“ Es gebe aber weiterhin Pläne zum | |
| Bau von insgesamt 40.000 neuen Wohnungen und Hotelkomplexen in 22 Gemeinden | |
| der Costa Brava, „was sich sehr negativ auf die Küstenlinie und das Meer | |
| auswirken wird“. | |
| Das Umweltministerium der linken Regierung in Madrid, die für den | |
| Küstenschutz vor allem verantwortlich ist, betreut Dutzende Projekte mit | |
| Gesamtinvestitionen von rund 250 Millionen Euro. Nicht selten werden die | |
| Pläne aber von regionalen Behörden aus Angst vor finanziellen Einbußen | |
| blockiert oder verzögert. „Das Aufeinanderprallen von touristischer | |
| Entwicklung und Küstenschutz ist spürbar“, analysiert La Vanguardia. | |
| Welche Lösungen gibt es? Bisher hat man es mit teuren und wenig | |
| nachhaltigen Sandaufschüttungen versucht, unter anderem sogar mit Importen | |
| aus der Sahara. Solche Aktionen, von Ökologen als „Flickwerk“ kritisiert, | |
| sollen in Spanien stark reduziert werden, auch weil weltweit ein großer | |
| Mangel an Sand herrscht. Die Errichtung von Schutzanlagen wie | |
| Wellenbrechern half oft nur kurzfristig und erwies sich teils auch als | |
| kontraproduktiv. | |
| ## Unpopuläre Maßnahmen | |
| Ribas sieht nur einen wirklichen Ausweg: „Wir müssen dem Meer das | |
| zurückgeben, was wir ihm gestohlen haben.“ Das [4][Zauberwort laute | |
| Renaturierung]. „Man muss die ursprünglichen Dünensysteme wiederherstellen | |
| und wenn nötig Strandpromenaden abbauen und weiter hinten wieder errichten, | |
| auch wenn diese Maßnahmen unpopulär sein mögen“, fordert sie. | |
| In Katalonien gehen zwei Gemeinden dieses Jahr mit gutem Beispiel voran: | |
| Vila-seca und Calafell wollen unter anderem die Promenaden von der Küste | |
| weg verlegen. [5][Auch Mallorca hat das Problem] – und ebenfalls Gemeinden, | |
| die Pionierarbeit leisten. In dem bei deutschen Touristen beliebten Badeort | |
| Cala Millor im Osten der Insel gibt es das Projekt „Life Adapt“ zum Erhalt | |
| des Strandes. Die angestrebten Lösungen orientieren sich an der Natur, was | |
| unter anderem die Zurücksetzung der Strandpromenade beinhaltet. | |
| 13 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Klimaexperte-ueber-Kipppunkte/!5989012 | |
| [2] https://www.nature.com/articles/d41586-020-00606-3 | |
| [3] https://es.greenpeace.org/es/sala-de-prensa/comunicados/la-costa-espanola-e… | |
| [4] /Das-EU-Renaturierungsgesetz/!6014670 | |
| [5] /Massentourismus-auf-Mallorca/!6021682 | |
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