| # taz.de -- Massentourismus auf Mallorca: Vertreibung aus dem Urlaubsparadies | |
| > Auf Mallorca wird immer mehr Wohnraum an Touristen vermietet, | |
| > Einheimische finden auch mit guten Jobs keine Bleibe mehr. Wie kann das | |
| > sein? | |
| Karla Andrade fliegt jeden Tag zur Arbeit. Die 36-jährige | |
| Grundschullehrerin steigt morgens in Mallorca ins Flugzeug nach Ibiza, und | |
| nachmittags fliegt sie wieder heim. Über 40 Flüge im Monat; über 54.000 | |
| Flugkilometer im Schuljahr sind das. „Ich gebe dafür je nach Monat zwischen | |
| 600 und 800 Euro aus“, sagt die verheiratete Mutter von zwei kleinen | |
| Kindern. | |
| Aber, sagt sie, das sei „immer noch wesentlich billiger, als auf Ibiza eine | |
| Wohnung zu mieten“. Andrade ist das perfekte Beispiel, wenn man begreifen | |
| will, was der Tourismus mit dem Wohnungsmarkt auf den Balearischen Inseln | |
| anrichtet. Sie hat ihre Geschichte schon einige Male in den Medien erzählt | |
| und wurde so zum bekanntesten Fall einer Gruppe von Lehrern, die dieses | |
| Schicksal mit ihr teilen. | |
| „Unter 1.200 Euro im Monat gibt es auf Ibiza nichts auch noch so Kleines“, | |
| sagt Andrade. Ihr Nettogehalt liegt bei unter 2.000 Euro. „Und selbst zu | |
| diesen hohen Preisen finden sich Wohnungen oder Zimmer nur von Oktober bis | |
| Mai, also außerhalb der Urlaubssaison.“ Denn in der Saison kommen die | |
| Touristen. „Und die akzeptieren einfach alles, was verlangt wird.“ | |
| Andrade wohnt also weiterhin mit den beiden Kleinen und ihrem Mann, der als | |
| Verkäufer arbeitet, in einem Stadtteil von Palma. Sie haben dort vor ein | |
| paar Jahren eine Wohnung gekauft. „Bevor der Tourismus die Preise in | |
| unerschwingliche Höhen trieb. Dennoch werden wir noch weitere 25 Jahre den | |
| Kredit abzahlen müssen“, sagt die junge Frau. | |
| ## Ein Platz auf der Nachbarinsel | |
| Sie hat im vergangenen Sommer, nach Jahren mit Zeitverträgen, die | |
| oposiciones, die Prüfung für eine Verbeamtung und Festanstellung, | |
| bestanden. „Ich war überrascht, als mir ein Platz auf der Nachbarinsel | |
| zugeteilt wurde“, erzählt sie. Jetzt muss sie erst einmal auf Ibiza | |
| bleiben, will sie nicht auf ihren Beamtenstatus verzichten. „In ein paar | |
| Jahren dann, wenn ich genug Berufserfahrung habe, kann ich eine Versetzung | |
| beantragen.“ | |
| So lange wird sie morgens um 5 Uhr aufstehen, zum Flughafen fahren, dann 20 | |
| Minuten Flug, Schulbeginn ist um 8 Uhr. Und am späten Nachmittag dann der | |
| Rückweg. „Das ist Stress. Und wenn was Unvorhergesehenes passiert, muss ich | |
| den Flug wechseln“, sagt Andrade. Ohne die Hilfe der Großeltern wäre das | |
| alles bei zwei Kleinkindern nicht zu meistern. „Zum Glück bin ich gerne | |
| Lehrerin“, sagt sie, wie um sich selbst zu trösten. | |
| Längst gibt es Menschen, die sich in Mallorca – trotz fester Arbeitsstelle | |
| – kein Dach über dem Kopf mehr finanzieren können. Belén Ortelli ist eine | |
| davon. Sie lebt in einem alten Wohnmobil, wie sie überall in Palma und | |
| Umland auf Parkplätzen und Seitenstraßen zu sehen sind. „Ich habe einen | |
| Kredit aufgenommen, um mir das Fahrzeug zu kaufen“, berichtet die | |
| 42-jährige Frau, die 2019 aus Argentinien auf die Insel kam und hier in der | |
| Telefonzentrale einer großen Reiseagentur arbeitet. 1.300 Euro, kaum mehr | |
| als den gesetzlichen spanischen Mindestlohn, verdient sie pro Monat. | |
| „Zuerst habe ich mir ein Zimmer gemietet“, berichtet sie, ein piso | |
| compartido, zu Deutsch: eine Wohngemeinschaft. Doch anders als in einer | |
| echten WG ist es der Vermieter, der entscheidet, wer einzieht und wer | |
| nicht. „Das war unerträglich“, beschwert sich Ortelli. Lärm, Belästigung | |
| durch Mitbewohner und Vermieter, Drogen, Gewalt. | |
| Jetzt zahlt Ortelli keine Miete mehr und gibt das Geld stattdessen für das | |
| 20 Jahre alte Wohnmobil aus. Eine Dusche, eine Küche: Hier hat sie alles, | |
| und das für sich alleine. „Ich muss mich spätestens alle neun Tage irgendwo | |
| anders hinstellen. Außerdem darf ich mich nicht mit einem Stuhl auf den | |
| Gehsteig setzen und auch die Markise nicht ausfahren, denn dann könnte ich | |
| wegen illegalen Campens angezeigt werden. Solange nichts über das Fahrzeug | |
| hinaussteht gilt es als Parken“, sagt Ortelli, die stolz auf ihre | |
| Schiebefenster zeigt: Denn selbst zum Lüften geöffnete Klappfenster könnten | |
| als Verstoß gegen diese Norm ausgelegt werden. | |
| ## Kaufpreis: Zwischen 800.000 und mehreren Millionen Euro | |
| Derzeit steht Ortelli in El Molinar, östlich von Palma, gleich hinter einer | |
| gut besuchten Eisdiele und nur wenige Meter sind es zum Strand. Um sie | |
| herum gruppieren sich die bei ausländischen Investoren beliebten | |
| Einfamilienhäuser, deren Kaufpreis irgendwo zwischen 800.000 und | |
| zweistelligen Euro-Millionenbeträgen liegt, je nach Größe und je nachdem | |
| wie gut der Blick aufs Wasser ist. Blickt man dorthin, aufs Meer, sieht man | |
| in einem Abstand von weniger als einer Minute die Flugzeuge hereinkommen, | |
| die die Touristen bringen. | |
| „Wir werden von den Hausbesitzern hier oft schräg angeschaut“, berichtet | |
| Ortelli. Und immer wieder gibt es seitens der Stadtverwaltung Versuche, die | |
| Wohnmobile zu verbieten. „Wir protestierten und haben ein völliges | |
| Standverbot damit zumindest bisher verhindert“, sagt Ortelli. Sie ist | |
| zusammen mit Dutzenden anderen caravanistas Teil einer Messengergruppe. | |
| „Wir passen aufeinander auf und mobilisieren auch, wenn es nötig ist.“ | |
| Keiner kann sagen, wie viele solcher caravanistas es auf Mallorca gibt. | |
| Doch die Zahl geht in die Hunderte, wenn nicht gar Tausende. Auf Ibiza | |
| leben Saisonarbeiter, die vor allem in der Gastronomie beschäftigt sind, | |
| mittlerweile sogar in Zelten. | |
| „Die Wohnkosten sind längst der wichtigste Faktor für die zunehmende Armut | |
| auf den Inseln“, sagt David Abril, Professor für Soziologie an der | |
| Universität in Palma und Chef des Sozialobservatoriums der Balearischen | |
| Inseln (Osib). Die Wohnung verschlingt einen Großteil der Einkünfte, auch | |
| wer arbeite, gerate damit immer häufiger in die Armut. Die Miete für eine | |
| Zweizimmerwohnung übersteige das, was mit dem gesetzlichen Mindestlohn | |
| möglich sei. Und die hohen Kaufpreise führten dazu, dass durchschnittlich | |
| „16 komplette Jahreslöhne für eine Eigentumswohnung ausgegeben werden | |
| müssen. Das ist mehr als sonst in Spanien“, zitiert Abril aus den | |
| Ergebnissen einer jüngst veröffentlichten Osib-Studie. | |
| Mallorca hat 308.000 Hotelplätze und 104.000 Plätze in Ferienvermietungen. | |
| Hinzu kommen die Ferienvermietungen, die ohne Lizenz abgewickelt werden. | |
| Wie viele Wohnungen dadurch dem örtlichen Wohnungsmarkt zusätzlich entzogen | |
| werden, weiß niemand so genau. Dazu kommen die Ausländer – meist aus | |
| Mittel- und Nordeuropa –, die sich eine Ferienwohnung kaufen. Diese steht | |
| dann bis auf ein paar Monate im Jahr leer. Ein Drittel aller 2023 auf den | |
| Balearen verkauften Wohnungen gingen an ausländische Kunden. | |
| „Der Tourismus und die Ferienwohnungen verändern alles“, sagt Isabel Nadal, | |
| gemeinsam mit Abril Koordinatorin der Osib-Studie. Die junge Doktorandin | |
| beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Tourismus auf das urbane Umfeld | |
| als solchem. „Die ursprünglichen Bewohner verlieren das Recht auf ihre | |
| Stadt“, beschreibt sie die Situation. Geschäfte, Gastronomie, | |
| Freizeitangebote, alles sei auf die Besucher ausgerichtet. Traditionelle | |
| Geschäfte und Kneipen gingen nach und nach verloren. „Und der Druck auf | |
| Mallorca und die restlichen Inseln steigt weiterhin“, berichtet Nadal. | |
| ## 2024 sollen es 20 Millionen Touristen sein | |
| Waren es im vergangenen Jahr 17 Millionen Besucher auf den Balearen, werden | |
| für dieses Jahr 20 Millionen erwartet. „Bei 1,2 Millionen Inselbewohnern | |
| sind das 17 Touristen pro Einwohner. In Gesamtspanien kommen auf einen | |
| Bewohner knapp zwei Touristen“, erklärt Nadal. Der Markt wächst weiter: | |
| Seit Neuestem gibt es einen Direktflug aus New York nach Palma. Die | |
| US-Presse überschlägt sich mit Lob für das Reiseziel Mallorca. Stars und | |
| Sternchen kommen und schwärmen in den sozialen Netzwerken davon. Die | |
| Immobilienagenturen wittern neue kaufkräftige Kunden. | |
| Und es gibt tatsächlich noch Gegenden in Palma, die von Investoren | |
| erschlossen werden können. Nach der Altstadt, in der kaum noch Einheimische | |
| leben, trifft es jetzt die anliegenden Stadtteile. „Hier war eine Bäckerei, | |
| hier ein Friseur“, sagt Joana Ferrà. Die 74-jährige pensionierte | |
| Gymnasiallehrerin lebt in Pere Garau, einem einstigen Arbeiterviertel. | |
| Ferrà engagiert sich in der Stadtteilinitiative gegen Wohnungsspekulation | |
| „Flipau amb Pere Garau“, auf Deutsch: „Begeistert von Pere Garau.“ Sie … | |
| seit über zehn Jahren hier und hat miterlebt, wie sich der Stadtteil immer | |
| schneller verändert. | |
| „Vor allem am Wochenende ist das Klackern der Rollkoffer nun fester | |
| Bestandteil der Geräuschkulisse. Schau, das Haus hier wurde vor Kurzem | |
| renoviert und dient jetzt der Ferienvermietung, dort drüben entstehen teure | |
| Appartements“, sagt Ferrà, die hier alles kennt, auf einem Spaziergang | |
| durch die Straßen rund um den Markt. „Ich könnte mir meine Wohnung heute | |
| nicht mehr leisten“, ist sie sich sicher. | |
| ## Die Miete beginnt bei 700 Euro im Monat | |
| Ein Blick in die üblichen Immobilienportale im Netz zeigt: Die Miete für | |
| ein Zimmer beginnt bei etwa 700 Euro im Monat, kleine Zweizimmerwohnungen | |
| gibt es ab 1.400 Euro aufwärts. Und wer kauft, muss mit rund 3.000 Euro für | |
| den Quadratmeter rechnen, renovierungsbedürftig versteht sich. Saniert geht | |
| der Preis schnell auf 4.500 Euro pro Quadratmeter nach oben. Wenn die | |
| Wohnung eine Terrasse hat, verlangen die Immobilienagenturen ebenfalls | |
| 3.000 bis 4.000 Euro oder mehr. „Seit sie den Platz neben dem Markt mit | |
| einer Fußgängerzone an die Innenstadt angeschlossen haben, steigen die | |
| Preise noch schneller“, sagt Ferrà. In Pere Garau, gleich am Ende der | |
| Fußgängerzone, hat ein Vier-Sterne-Hotel eröffnet. | |
| „Die Preise sind mehr als doppelt so hoch wie vor der Pandemie“, sagt | |
| Ferrà. Längst leben Einwandererfamilien in viel zu kleinen Wohnungen. Und | |
| junge Menschen, die einst auf der Suche nach dem bunten, alternativen Leben | |
| und günstigen Mieten nach Pere Garau kamen, Tür an Tür mit den neuen, | |
| betuchten Nachbarn, die die Wohnungen hier nach und nach aufkaufen: | |
| entweder, um sie zu vermieten, oder um sie als Ferienwohnung in | |
| Altstadtnähe selbst zu nutzen. Diese neuen Nachbarn werden, das befürchtet | |
| nicht nur Ferrà, den Stadtteil bald schon ganz übernehmen. Mittlerweile | |
| entstehen selbst weiter im Osten von Palma, im noch ärmeren Viertel | |
| Soledad, Luxusblocks. | |
| Die Wohnungsmisere betrifft längst nicht mehr nur Beschäftigte im Hotel- | |
| und Gaststättengewerbe mit prekären Arbeitsbedingungen. „Auch | |
| Verwaltungsbeamte und Polizisten haben Schwierigkeiten, manche leben auch | |
| in Wohnmobilen“, berichtet Fernando Matorell von der Gewerkschaft UGT. Er | |
| ist für die Beschäftigten zuständig, die der zentralstaatlichen Verwaltung | |
| unterstehen: „Justiz, Polizei, Gefängnispersonal, Armee, Verkehrsbehörde, | |
| Ausländerbehörde, Wetterdienst, Sozialversicherung …“, zählt Matorell au… | |
| „Niemand“, sagt er, „will auf die Inseln.“ Wer hierher geschickt werde, | |
| lasse sich so bald es geht wieder versetzen. | |
| 10.000 Stellen hat die Zentralverwaltung auf den Balearen. 20 Prozent sind, | |
| so die Angaben der Gewerkschaft, nicht besetzt. Bei der Verkehrsbehörde | |
| sind es gar 80 Prozent. „Die Führerscheinprüfung, das Anmelden eines | |
| Fahrzeugs, all das ist mit langen Wartezeiten verbunden“, weiß Matorell. In | |
| Ibiza gibt es überhaupt keine Fahrprüfer mehr. Sie müssen aus Mallorca | |
| eigens zu den Prüfungsterminen anreisen. | |
| ## Wohnungspreise wurden „unerträglich“ | |
| Das Sondergericht für häusliche Gewalt, das es in Spanien in allen | |
| Provinzen gibt, war elf Monate lang geschlossen, weil es an Personal | |
| fehlte. „Woher sollen die Gerichtsdiener auch kommen?“, fragt Matorell. | |
| Anfänger verdienen 1.250 Euro, das reiche bei den Mieten auf den Inseln | |
| vorn und hinten nicht. 2023 ließen sich ganze vier Justizbeamte auf die | |
| Inseln versetzen, während 90 erfolgreich einen Posten auf dem Festland | |
| beantragten. „Das Problem mit den Wohnungspreisen zeichnet sich schon | |
| länger ab. Aber in den letzten Jahren wurde es unerträglich“, sagt Matorell | |
| und berichtet, dass selbst die Sicherheit im Urlaubsparadies leide, da es | |
| einfach an Polizeibeamten fehle. | |
| „Die Inseln sind zu einem Themenpark verkommen, während der Staat und seine | |
| Verwaltung völlig zu scheitern drohen“, gibt Matorell seinem Kollegen | |
| Miguel Angel Romero recht. Der kümmert sich bei der UGT um den Teil des | |
| öffentlichen Dienstes, der von der Inselregierung abhängig ist. Das ist vor | |
| allem das Gesundheits- und Bildungswesen. Die Regionalregierung könne viele | |
| Programme, die vom Inselparlament beschlossen wurden oder die von der | |
| Zentralregierung in Madrid ausgingen, nicht umsetzen. „Es fehlt einfach an | |
| Personal“, weiß Romero. | |
| So sei im größten Krankenhaus der Insel lange Zeit nur noch eine von acht | |
| Onkologenstellen besetzt gewesen. Jetzt, nach der Einführung einer | |
| Inselzulage von 1.000 Euro im Monat, sind es immerhin fünf besetzte | |
| Stellen. Die UGT und andere Gewerkschaften verlangen einen solchen Zuschlag | |
| auch für andere Berufsgruppen, etwa für die Lehrer, die wie Andrade auf | |
| eine andere Insel versetzt werden. | |
| Aber in der Not regt sich auch Widerstand. Am 25. Mai gingen unter dem | |
| Motto [1][„Mallorca steht nicht zum Verkauf“ über 20.000 Menschen in Palma | |
| auf die Straße]. Es war eine der größten Protestaktionen, die die Insel je | |
| gesehen hat. „Alles begann hier“, sagt Javier Barbero stolz. Hier, das ist | |
| ein Tisch im Schatten eines Baumes im Garten des Restaurants El Molico in | |
| Sencelles, ein 3.000-Seelen-Ort im Zentrum der Insel. Zusammen mit anderen | |
| Mitstreitern aus der Nachbarschaftshilfe Banc del Temps (Bank für Zeit) | |
| redete der 51-jährige Sozialpädagoge an diesem Tisch über die Mietpreise. | |
| Es ging um die Schwierigkeit, eine Wohnung zu finden und dann auch zu | |
| halten. | |
| Am Restauranttisch entstand die Idee [2][für ein Video] unter dem Titel | |
| „Sie vertreiben uns, weil wir nicht bezahlen können“. Menschen öffnen in | |
| dem Video Fenster und hängen Schilder auf, wie sie in Spanien an den | |
| Wohnungen hängen, die zum Verkauf stehen. Anstatt eines Preises sind | |
| Sprüche wie „Ich kann nicht bezahlen“, oder „Ich kann nicht kaufen“ zu | |
| lesen. „Das Video ging viral“, berichtet Barbero. „Die Idee für eine Demo | |
| entstand. Wir erwarteten ein paar Tausend und es wurden Zehntausende“, sagt | |
| er zufrieden. Für den 21. Juli mobilisieren sie nun erneut. Dieses Mal | |
| unter dem Motto „Mehr Leben, weniger Tourismus“. | |
| Auch in Sencelles sind die Mietpreise stark gestiegen. „Die Insel ist so | |
| klein, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen Stadt und Land, | |
| Strand, Inland oder Bergen gibt. Du kannst nicht hinausziehen und dort was | |
| Billiges finden“, sagt Barbero. Er hat Glück, seine Vermieterin verlange | |
| einen „bezahlbaren Preis“. „Aber eine Erhöhung könnte ich nicht bezahle… | |
| fügt er hinzu. Auch hier, im historischen Ortskern von Sencelles, stehen | |
| viele Wohnungen augenscheinlich leer. Sie gehörten meist Deutschen und | |
| Skandinaviern, sagt Barbero. | |
| Für ihn ist das, was auf den Balearen gerade passiert, eine „soziale | |
| Katastrophe“. Lebensplanung und Zukunftsprojekte würden zerstört. „Junge | |
| Menschen, die mit über 30 Jahren noch bei den Eltern wohnen. Menschen mit | |
| 40 und älter, die nach einer horrenden Mietpreiserhöhung zurück zu den | |
| Eltern gehen. Paare, die längst getrennt sind, aber weiter zusammenwohnen, | |
| weil sich jeder alleine keine Wohnung leisten könnte“, zählt er auf. Er | |
| berichtet von seinem Bruder: „Der Vermieter verdoppelte die Miete. Jetzt | |
| wohnt er mit Frau und zwei Kindern bei unserer Mutter, in der Hoffnung, so | |
| Geld für die Anzahlung einer Eigentumswohnung ansparen zu können“ | |
| Die Politik auf den Inseln müsse endlich einschreiten und das | |
| Wohnungsgesetz von 2023 anwenden, welches das in der spanischen Verfassung | |
| eigentlich festgeschriebene „Recht auf eine würdige Wohnung“ sichern soll. | |
| „Dort ist vorgesehen, dass auf besonders angespannten Wohnungsmärkten der | |
| Wohnungsnotstand ausgerufen werden kann“, sagt Barbero. Die Preise werden | |
| dann über eine Art Mietspiegel festgeschrieben und teilweise gar gesenkt, | |
| Mieterhöhungen erschwert. Barbero verweist auf Katalonien, wo dieses Gesetz | |
| in 140 Gemeinden bereits angewandt wird. „Die gesamten Balearen müssen als | |
| ‚angespannt‘ eingestuft werden“, verlangt er. | |
| Katalonien ist auch ein Vorbild, wenn es um die Vermietung von | |
| Ferienwohnungen geht. In Barcelona sollen alle bestehenden Lizenzen bis | |
| spätestens 2028 auslaufen, und die Wohnungen wieder dem normalen Markt | |
| zugeführt werden. Außerdem werden auf den Balearen Stimmen laut, die | |
| fordern: Nur wer ständig auf der Insel lebt, soll dort auch eine Wohnung | |
| kaufen können. „Ideen gibt es“, sagt Barbero. Die konservative | |
| Inselregierung müsse nun endlich handeln. | |
| Doch die konservative Partido Popular (PP), die mit Unterstützung der | |
| rechtsextremen VOX regiert, will von drastischen Eingriffen in den | |
| Wohnungsmarkt nichts wissen. Zwar gibt es seit 2023 ein Wohnungsgesetz der | |
| Linksregierung in Madrid, das Eingriffe wie in Barcelona erlaubt. Doch dies | |
| anzuwenden, davon will die PP nichts wissen. Sie verteidigt die Freiheit | |
| des Marktes, selbst dann noch, wenn diese ganz offensichtlich nicht | |
| funktioniert. | |
| Bisher hat die Balearenregierung nur Steuersenkungen für diejenigen | |
| angekündigt, die Langzeitmietverträge ausstellen, statt an Urlauber zu | |
| vermieten. Außerdem übernimmt die Regierung künftig Bürgschaften, sowohl | |
| bei Wohnungskrediten für junge Käufer als auch für Vermieter, die bisher | |
| ihre Wohnung leer stehen lassen – aus Angst, ihre Wohnung könnte Schaden | |
| nehmen. Aus dem Rathaus von Palma, das ebenfalls in Händen der | |
| Konservativen ist, kommen auf Anfrage weder eine Antwort noch konkrete | |
| Pläne, wie man der Wohnungskrise begegnen könnte. Jetzt wird dank dem Druck | |
| der Straße auf den Balearen immerhin eine Kommission eingerichtet, die | |
| untersuchen soll, was für eine Wohnungspolitik auf den Inseln eigentlich | |
| gemacht werden soll. | |
| Am Ende des Videos, das so viel Aufmerksamkeit fand, stehen die Menschen | |
| auf einer Straße in Sencelles. Schnitt: Die gleiche Einstellung, aber die | |
| Menschen sind verschwunden. „Wenn wir nichts machen, werden immer mehr | |
| Menschen ihre Heimat verlassen, ihr Glück außerhalb der Inseln suchen | |
| müssen“, ist sich Barbero sicher. „Drei von denen, die vor wenigen Monaten | |
| noch mit hier am Tisch saßen, sind inzwischen gegangen.“ | |
| 10 Jul 2024 | |
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| [1] /Widerstand-auf-den-Kanaren/!6003196 | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=SpgYPa2sYzI | |
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| Reiner Wandler | |
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