| # taz.de -- Streitgespräch über Klimaschutz: Soll die taz noch abheben? | |
| > Die taz berichtet scharf über die Klimakrise und bietet gleichzeitig | |
| > Flugreisen an. Ein Streitgespräch zwischen Stefan Müller und Christian | |
| > Jakob. | |
| Bild: So weit kommt’s noch! Aber keine Sorge, eine taz-Airline wird erst gegr… | |
| taz: Herr Müller, warum erpressen Sie die taz? | |
| Stefan Müller: Eigentlich ist das keine Erpressung. Dafür müsste ich mir ja | |
| einen Vorteil verschaffen wollen. Der einzige Vorteil für mich wäre, dass | |
| ich mich nicht mehr ärgern müsste, wenn ich die Eigenanzeigen für | |
| taz-Flugreisen in der Zeitung sehe. | |
| taz: Sie wollen, dass die taz in ihren [1][„Reisen in die | |
| Zivilgesellschaft“] keine Ziele mehr anbietet, die üblicherweise mit Flügen | |
| verbunden sind – wegen des Klimas. Deshalb haben Sie uns gedroht. | |
| Müller: Ursprünglich war es ein Geschenk, das ich im April angekündigt | |
| habe. Ich hatte in meinem Netzwerk angefangen, Leute zu suchen, die | |
| Genossenschaftsanteile der taz zeichnen würden, wenn das mit den Flugreisen | |
| aufhört. Ich habe 10.000 Euro in Aussicht gestellt. Mittlerweile wollen 52 | |
| Menschen mitmachen, es sind bereits 26.000 Euro. Als in der taz trotzdem | |
| weiter für Flugreisen geworben wurde, habe ich mir gesagt: Gut, dann | |
| andersherum. Ich habe der taz geschrieben und ihr noch einmal die damals | |
| schon 14.500 Euro angeboten, aber gleichzeitig auch damit gedroht, meine | |
| Follower auf Mastodon und die Scientists for Future in Berlin und | |
| Brandenburg dazu aufzurufen, ihre [2][taz-Abos] vom politischen Preis | |
| herunterzustufen. | |
| taz: Mit dem können Abonnent*innen freiwillig mehr zahlen, um anderen | |
| einen vergünstigten Preis zu ermöglichen. | |
| Müller: Dann gab es noch die Idee, dass irgendwer von uns mit jeder neuen | |
| Werbung für eine taz-Flugreise einen Genossenschaftsanteil kündigt. | |
| taz: Wollen Sie der taz schaden? | |
| Müller: Nein, nein! Das tut mir ja selbst weh. Ich lese die taz seit der | |
| Wende, zuerst die frisch gegründete Ost-taz, die es nur kurz gab. Da | |
| standen Sachen drin, die es in den noch erscheinenden DDR-Zeitungen nicht | |
| gab. Als ich dann eigenes Geld verdient habe, bin ich taz-Genosse geworden. | |
| Ich will meiner Zeitung nicht schaden, ich will sie besser machen! Es kann | |
| doch nicht sein, dass Sie hier die beste Klimaberichterstattung machen, die | |
| es gibt, und dann auf der nächsten Seite die taz-Reise nach Togo bewerben. | |
| Das passt doch nicht zusammen. | |
| taz: Christian, du leitest die Reise nach Togo, die es schon mehrmals gab | |
| und die auch dieses Jahr wieder angeboten wurde. Wie findest du Herr | |
| Müllers Vorgehen? | |
| Christian Jakob: Ich finde das Anliegen nachvollziehbar. Wir haben uns | |
| seine Frage natürlich auch schon gestellt, aber unsere Abwägung ist anders | |
| ausgefallen. Ich fand die Idee von Herrn Müller aber befremdlich: Ich | |
| schmeiße euch so viel Geld vor die Füße, das könnt ihr als arme Zeitung | |
| nicht ablehnen. Und wenn ihr nicht mitspielt, sorge ich dafür, dass ihr | |
| weniger habt. Wenn Sie schon taz-Genosse sind, hätten Sie ja auch einfach | |
| einen Antrag auf der nächsten Genossenschaftsversammlung stellen können. | |
| Dann müssten Sie dort eine Mehrheit für Ihr Anliegen hinter sich bringen. | |
| Müller: Stimmt, das wäre auch eine Idee. | |
| taz: Es gibt bei den taz-Reisen schon deutlich weniger Flüge. Von 30 | |
| Angeboten liegen nur noch 6 an Zielen, die man üblicherweise mit dem | |
| Flugzeug erreicht. Im Jahr 2019 waren es noch 18 von 28. Reicht Ihnen das | |
| noch nicht? | |
| Müller: Wir müssen bei den Emissionen auf null kommen, schlimmer noch, | |
| eigentlich auf minus irgendwas. Es gibt jetzt schon diese ganzen | |
| Katastrophen, wir sind bei 1,2 Grad Erderhitzung. Und [3][nichts deutet | |
| darauf hin, dass wir die im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Begrenzung | |
| von 1,5 Grad schaffen]. Es ist verachtenswert, wenn man jetzt noch Leute | |
| dazu bringt, dass sie fliegen. | |
| taz: Christian, du hast im vergangenen Jahr unser Projekt Klimasabotage | |
| koordiniert, bei dem wir über fossile Lobbyarbeit berichtet haben. | |
| Sabotierst du als Togo-Reiseleiter selbst das Klima? | |
| Jakob: Herr Müller hat mit großen Teilen seiner Kritik recht. Aber es gibt | |
| gute Gründe dafür, den Austausch zwischen den verschiedenen Teilen der Welt | |
| aufrechtzuerhalten. Fliegen ist ein riesiger zivilisatorischer Fortschritt, | |
| der eine völlig andere globale Gesellschaft hervorgebracht hat. Ich glaube, | |
| dass ganz viel von dem, was die Weltgemeinschaft heute ausmacht, über | |
| persönlichen Kontakt zustande kommt. Und dass es das wert sein kann, zu | |
| fliegen. | |
| taz: Diesem schwer erfassbaren Effekt des menschlichen Austauschs steht die | |
| sehr gut messbare und nachgewiesene Überkonzentration von CO2 in der | |
| Atmosphäre gegenüber. Kann man so wirklich noch legitimieren, dass man die | |
| klimaschädlichste Fortbewegungsform nutzt? | |
| Jakob: Wenn es wirklich einen Mehrwert gibt, ja. Geplante Recherchereisen | |
| habe ich zum Beispiel schon verworfen, wenn es ähnliche Artikel schon | |
| irgendwo in anderen Medien gab – oder ich habe [4][lange Wege mit Zug und | |
| Schiff in Kauf genommen], zum Beispiel nach Malta. Aber manchmal geht es | |
| nicht. | |
| taz: Bei der Togo-Reise zum Beispiel? | |
| Jakob: Der Austausch mit Menschen aus der Zivilgesellschaft des Globalen | |
| Südens ist etwas, das ohne Fliegen fehlen würde. Wir haben in Togo Menschen | |
| getroffen, die schon mal [5][in Europa waren und abgeschoben wurden]. Und | |
| solche, die sich gerade überlegten, erstmals durch die Wüste über Niger und | |
| Libyen nach Italien zu gehen. Wir haben eine Institution besucht, die auf | |
| Graswurzelebene ein europäisch-westafrikanisches Netzwerk zur Beobachtung | |
| von Migrationsbewegungen aufgebaut hat. Das andere Hauptthema der Reise ist | |
| die [6][deutsche Kolonialgeschichte.] | |
| Müller: Ich bin Wissenschaftler, ich habe viele internationale Konferenzen | |
| organisiert. Ich weiß, was Austausch ist – und ich hasse | |
| Online-Konferenzen. Mit solchen Kooperationen funktioniert Wissenschaft, | |
| und sie sind ein Kriterium bei der Wissenschaftsevaluation. Dennoch bin ich | |
| seit 2017 nirgendwo mehr hingeflogen und habe mich 2019 verpflichtet, | |
| überhaupt nicht mehr zu fliegen. So geht es halt nicht mehr, das ist | |
| vorbei. Wir können keine Flugreisen mehr unternehmen, auch wenn wir tolle | |
| Kontakte knüpfen wollen. | |
| taz: Wir würden aber wohl eine schlechtere Zeitung machen, wenn wir nicht | |
| Politiker:innen zu Staatsbesuchen begleiten oder internationale | |
| Verhandlungen verfolgen würden, gelegentlich eben im Ausland und mit dem | |
| Flugzeug. | |
| Müller: Ja, das sehe ich ein – und Ihre Geschichten ermöglichen vielen | |
| anderen einen Einblick in die Welt, die dann wiederum nicht selbst fliegen | |
| müssen. Ich fand Ihre [7][Reportage aus Mauretanien] neulich zum Beispiel | |
| sehr gut, Herr Jakob! | |
| taz: Da machen Sie einen Unterschied zu den taz-Reisen? | |
| Müller: Bei denen geht es mir nicht nur um den CO2-Fußabdruck der einzelnen | |
| Reisenden, sondern auch um die Außenwirkung des ganzen Projekts. Sie | |
| bewerben Flugreisen mit Ihrer guten taz-Marke und vermitteln, es sei schon | |
| okay, nach Marokko oder nach Togo zu fliegen. Man unterscheidet ja den | |
| CO2-Fußabdruck, also die anfallenden CO2-Emissionen, und den | |
| [8][CO2-Handabdruck]. Das ist die positive Wirkung, die man erzielt, wenn | |
| man andere Leute oder besser noch ganze Organisationen oder Regierungen | |
| dazu bringt, ihren Fußabdruck zu senken. Aber was die taz mit den | |
| Reiseangeboten macht, ist das Gegenteil davon. Sie bringen ja Leute dazu zu | |
| fliegen! Sie haben einen negativen Handabdruck! | |
| taz: Wenn man davon ausgeht, dass eine Tonne CO2-Ausstoß pro Mensch und pro | |
| Jahr eine klimagerechte Menge ist, dann liegt auf der Hand, dass nur noch | |
| wenig Flüge drin sind. Wie sollte man entscheiden, wer noch wohin fliegen | |
| darf? | |
| Müller: Fliegen zu verbieten funktioniert wahrscheinlich nicht. Man müsste | |
| im Prinzip einen exponentiell ansteigenden Preis für Flugmeilen haben. Dann | |
| könnte man ungefähr sagen: Okay, du darfst einmal fliegen – aber beim | |
| nächsten Mal kostet es extra. Diese Einnahmen könnten in | |
| Klimaschutz-Maßnahmen fließen. | |
| Jakob: Um das deutlich zu machen: Ich hätte gar kein Problem damit, wenn | |
| die Politik sehr viel restriktiver mit dem Fliegen umgehen würde. Wenn zum | |
| Beispiel jeder nur ein bestimmtes Kontingent an Flugreisen hätte. | |
| taz: Ein interessanter Aspekt beim Fliegen ist ja auch, dass es das | |
| Verkehrsmittel ist, bei dem die Ungleichheit am größten ist: 80 Prozent der | |
| Menschheit haben noch nie im Flugzeug gesessen, und selbst in Deutschland | |
| sind im vergangenen Jahr 55 Millionen Menschen mindestens zwölf Monate gar | |
| nicht geflogen. Sehr wenige, tendenziell wohlhabende Vielflieger*innen | |
| machen internationale Geschäfte, bilden sich weiter, tauschen sich aus, | |
| erholen sich – auf Kosten aller anderen. | |
| Müller: Für mich hat ein Aspekt bei den taz-Reisen noch etwas Kritisches: | |
| Man fährt da hin und guckt die Leute an, die können aber nicht da weg. Da | |
| würde ich mich als weißer Mensch irgendwie schämen. Nicht als berichtender | |
| Journalist, aber als Tourist, der kommt, um sich das Elend anzugucken. | |
| Jakob: Der Anspruch ist natürlich ein anderer, nämlich zu sagen: Ich will | |
| verstehen, wie es hier ist. Ich will verstehen, warum es hier so läuft. Und | |
| ich will verstehen, was ich damit zu tun habe. Ich glaube auch, dass dieser | |
| Wunsch vor Ort als aufrichtiges Interesse geschätzt wird. Und es hat einen | |
| starken Multiplikatoreneffekt, die Erfahrungen der Reisenden strahlen auch | |
| auf das Umfeld aus. Das macht etwas mit ihnen und mit der | |
| gesellschaftlichen Stimmung insgesamt. | |
| taz: Wirklich? | |
| Jakob: Ja. Es gibt ja beispielsweise seit Jahrzehnten in Westeuropa eine | |
| starke entwicklungspolitisch aktive Szene, weil es persönlichen Austausch | |
| gegeben hat, weil die Menschen zum Beispiel nach Nicaragua gefahren sind. | |
| Ich glaube, dass das in deren Biografien nachgewirkt und dazu geführt hat, | |
| dass zum Beispiel in Deutschland eine Fair-Trade-Bewegung und | |
| Solidaritätsinitiativen entstanden sind. All das speist sich ja daher, dass | |
| man da war, Dinge gesehen hat, dass man mit den Leuten geredet und sich | |
| davon hat berühren lassen. | |
| Müller: Dazu kann man doch zum Beispiel auch in der taz eine Reportage | |
| lesen. Die Frage ist doch: Befinden wir uns in einer Notlage – oder machen | |
| wir lieber noch einen Eine-Welt-Laden auf? | |
| 3 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Reisen-in-die-Zivilgesellschaft/!v=ff445dca-48e0-4ffa-95fa-60d466e9a152/ | |
| [2] /Ich-moechte-woechentlich-lesen/!v=63c2c49d-e28c-4bdc-8dc0-08fab59ce077/ | |
| [3] /EU-Klimapolitik-nach-der-Europawahl/!6013296 | |
| [4] /IfW-Kiel-entlaesst-Verhaltensoekonomen/!5963313 | |
| [5] /Behoerden-ignorierten-Gerichtsbeschluss/!6025971 | |
| [6] /Umgang-mit-Kolonialgeschichte/!5971721 | |
| [7] /Wahlen-in-Mauretanien/!6020202 | |
| [8] /Oekologischer-Handabdruck/!5892928 | |
| ## AUTOREN | |
| Kai Schöneberg | |
| Susanne Schwarz | |
| ## TAGS | |
| Streit | |
| taz | |
| Fliegen | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| wochentaz | |
| GNS | |
| Flugreisen | |
| wochentaz | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimaproteste | |
| Umweltschutz | |
| Klimajournalismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Tourismus im Globalen Süden: „Pauschaler Verzicht auf Flugreisen greift zu k… | |
| In Berlin trifft sich die internationale Tourismusbranche. Nachhaltiger | |
| Urlaub bietet im Globalen Süden Chancen, sagt Alien Spiller von Tourism | |
| Watch. | |
| Klimaschutz: Unter den Wolken | |
| Hoch oben mit dem Flugzeug wird die Welt ganz klein. Fürs Klima ist das | |
| aber gefährlich. Vier Ideen für sozial gerechtes und klimaschützendes | |
| Fliegen. | |
| Debatte ums Fliegen: Wir unperfekten Menschen | |
| Viele Leute quälen sich mit der Frage: Dürfen wir noch fliegen, trotz | |
| Klimakrise? Die Politik sollte es ihnen leichter machen. | |
| Flughafen Hamburg: Klimaprotest verhindert | |
| Am frühen Freitagmorgen hat die Hamburger Polizei fünf Personen | |
| festgenommen. Sie sollen eine Flughafen-Blockade geplant haben. | |
| Earth Overshoot Day: Die Welt lebt auf Pump | |
| Der Earth Overshoot Day ist früher erreicht als noch 2023. Weltweit ist der | |
| Ressourcenverbrauch so hoch, als gäbe es die Erde 1,7 Mal. | |
| Besuch bei Cornelia Funke in der Toskana: Eine perfekte Erzählung | |
| Cornelia Funke hat mit ihren Jugendromanen eine ganze Generation geprägt. | |
| Nun widmet sie sich dem Klimaschutz. Woher dieser Sinneswandel? |