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# taz.de -- Historiker über Geschichte der Polizei: „Von Anfang an Akteur im…
> Ein Demokratiestärkungsprojekt der Polizeiakademie Niedersachsen
> kooperiert längst mit KZ-Gedenkstätten. Jetzt kam die NS-Pulverfabrik
> Liebenau hinzu.
Bild: Heute eine Gedenkstätte: Verfallene Gebäudeteile der einstigen NS-Pulve…
taz: Herr Götting, worauf zielt die neue Kooperation der Polizeiakademie
Niedersachsen mit der Gedenkstätte Liebenau?
Dirk Götting: Darauf, an einem authentischen Ort die Beteiligung der
Polizei am NS-Staat aufzuzeigen. Die 1939 gebaute Pulverfabrik Liebenau
beschäftigte 20.000 [1][ZwangsarbeiterInnen] – sowjetische Kriegsgefangene,
aber auch osteuropäische Häftlinge des „Arbeitserziehungslagers Liebenau“.
2.000 von ihnen starben. Die im Oktober 2023 eröffnete Gedenkstätte liegt
in direkter Nachbarschaft unserer Polizeiakademie. Mit den Gedenkstätten
[2][Bergen-Belsen] und [3][Esterwegen] kooperieren wir bereits. Unsere im
Juni unterzeichnete Kooperation mit Liebenau soll weitere
polizeihistorische Führungen und Workshops erbringen, die zeigen, wie stark
auch die ganz normale [4][Ordnungspolizei] am NS-Regime beteiligt war. Und
nicht nur bei Fluchtversuchen, sondern auch, indem sie KZ und
„Arbeitserziehungslager“ wie das Liebenauer bewachte.
taz: Und auch Ghettos wie das in Lódż.
Götting: Ja, zu diesem damals größten [5][Ghetto] in Polen haben wir im
Februar eine Exkursion gemacht. Polizei spielte dort nicht nur bei der
Bewachung eine Rolle. In dem damaligen „Warthegau“, und zwar in Poznań
(Posen), fanden 1939 auch die ersten „[6][Euthanasie]“-Morde an Behinderten
in mobilen Gaswagen statt. Der verantwortliche Gestapo-Chef war
Polizeibeamter. Er meldete den „Erfolg“ der Kriminalpolizei, die daraufhin
vorschlug, auch im Altreich Gas einzusetzen. Damit nicht auffiel, dass
damit gemordet werden sollte, hat das kriminaltechnische Institut der
Sicherheitspolizei das Gas beschafft. Im Ghetto Lódż war die Kripo zudem
maßgeblich daran beteiligt, den Bewohnern Wertsachen abzupressen. Damit
will ich sagen: Egal, wo Sie hinfassen – die Polizei ist von Anfang an
Akteur auch im Holocaust. Das ist in der Öffentlichkeit und innerhalb der
Polizei kaum bekannt.
taz: Ist die Rolle der Polizei im NS-Staat genug aufgearbeitet?
Götting: Die innerpolizeiliche Aufarbeitung hat maßgeblich [7][Wolfgang
Kopitzsch], ehemaliger Hamburger Polizeipräsident, initiiert, der 2001
begann, regelmäßige Fahrten zu Täterorten in Polen zu organisieren. 2012
gab es, als Resultat des ersten und einzigen bundesweiten
Forschungsprojekts zur Polizei im NS-Staat, eine Ausstellung im Deutschen
Historischen Museum. Wir haben sie übernommen und ergänzt um
niedersächsische Module, im Hannoverschen Landtag als Wanderausstellung
eröffnet. Bis 2017 sind wir damit durch Polizeidienststellen getourt. Ab
August werden wir sie in der [8][Gedenkstätte Esterwegen] dauerhaft zeigen
können. Das sind wichtige Schritte der Veränderung. Denn noch 2012 sagte
eine Führungskraft: „Polizei und NS – das ist negative
Öffentlichkeitsarbeit.“
taz: Seit wann widmet sich die Polizeiakademie Niedersachsen dem Thema?
Götting: Wir befassen uns seit über 25 Jahren mit der NS-Geschichte der
Polizei. Seit 2019 ist polizeiliche Erinnerungsarbeit Teil unserer
Initiative zur Demokratiestärkung innerhalb der Polizei. Gemeinsam mit dem
Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“ haben wir die Initiative
„Polizeischutz für die Demokratie“ initiiert. Es geht darum, der aktuellen
Polizeikritik, bezogen auf [9][Polizeigewalt], Rassismus und fehlende
Demokratiefestigkeit, ein Engagement entgegenzusetzen. Also suchen wir
innerhalb der Polizei Menschen, die sich freiwillig einbringen möchten, um
auch das historische Selbstverständnis zu schärfen. Diese
DemokratiepatInnen initiieren dann beispielsweise Seminare, Vorträge,
Gedenkstättenbesuche – alles, damit sie die KollegInnen mitziehen.
taz: Wen erreichen Sie mit Ihrem Projekt?
Götting: Die bundesweite [10][Megawo-Studie] zu Motivation, Einstellung und
Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten hat gezeigt, dass neben den
wenigen – aber es sind mehr als Einzelfälle –, die ein konstant menschen-
und demokratiefeindliches Weltbild haben, es einen relativ großen Kreis
derer gibt, die sich zu klassischen Demokratiethemen wie Diversität nicht
äußern wollen. Sie sind eine unserer Zielgruppen. Unsere Initiative ist ein
KollegInnenprojekt, also bottom-up ausgerichtet. Wir wollen so die Kluft
zwischen offizieller Polizei- und interner PolizistInnenkultur – der Cop
Culture – verkleinern. Dazu müssen wir uns in der Polizei insgesamt mit
Demokratiethemen befassen. Nach der Ausbildung gehören solche Themen aber
nicht zum dienstlichen Fortbildungsprogramm. Um sich aber über die gesamte
Dienstzeit mit der Rolle und Funktion von Polizei in der Gesellschaft
auseinanderzusetzen, ist eine Befassung mit allgemeinen, gesellschaftlich
relevanten Themen für möglichst viele Polizeiangehörige notwendig. Dazu
möchten wir mit unserer Initiative beitragen.
taz: Haben sich schon andere Bundesländer angeschlossen?
Götting: Ja. Schleswig-Holstein hat die ersten Demokratielotsen
qualifiziert, und in Thüringen ist kürzlich der erste Kurs gelaufen. Auch
Baden-Württemberg hat das Projekt in Grundzügen selbstständig übernommen.
25 Aug 2024
## LINKS
[1] /Zwangsarbeiterinnen-Kinder-in-Hamburg/!5711100
[2] /Forschung-zu-Anne-Franks-Tagebuch/!5976861
[3] /NS-Gedenken-im-Emsland/!5907661
[4] /Historiker-ueber-fruehere-Gestapo-Zentrale/!5780123
[5] /Nachruf-auf-Shoah-Ueberlebende-Sara-Rus/!5988017
[6] /Forscher-ueber-Euthanasie-Deportationen/!5711715
[7] /Ex-Polizeipraesident-ueber-Shoah-Gedenken/!5666585
[8] https://www.emsland.de/buerger-behoerde/aktuell/pressemitteilungen/ordnung-…
[9] /Kriminologe-ueber-verfehlte-Polizeigewalt/!5925970
[10] https://www.polizeistudie.de/
## AUTOREN
Petra Schellen
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