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# taz.de -- Nach der Fußball-EM: Verhandelte Politik
> Die Euro24 ist vorbei und hat eines gezeigt: Wenn wir über Demokratie und
> Gerechtigkeit sprechen wollen, müssen wir über Fußball reden.
Bild: Fußball funktioniert nur als Mannschaftsspiel, aber am Ende darf der Tra…
Wir reden hier über Sport. Versprochen. Wirklich über nichts anderes als
Fußball. Deswegen werden wir viel über Demokratie sprechen. Das
überzeugendste Argument, warum diese Fußball-Europameisterschaft nicht die
vielbehauptete Ablenkung von politischen und ökonomischen Sorgen wurde,
lieferte das Wetter. Trockene Hitze und Starkregen wechselten ab. Ein
ziemlich eindeutiges Zeichen, dass die Dauerlitanei (nicht nur) der
Sportverbände, man selbst habe mit politischen Problemen nichts zu tun, ja,
man sei bestenfalls Spiegel der Gesellschaft, schlicht nicht mehr zu halten
ist.
Auch Wetterextreme und der Umgang mit ihnen zeigen, was nicht nur bei der
Uefa und dem DFB, sondern auch in der deutschen Politik niemand zugeben
will: Der Fußball ist Teil dieser Welt. Sport bildet nicht politische
Diskurse ab, sondern er ist eine Form, in der sie verhandelt werden.
Diese Erkenntnis liefert uns der Fußball nicht nur, wenn es um die
Klimakatastrophe geht. Schauen wir doch nur, welchen Dreck die AfD über
[1][das DFB-Team] auskübelt, wenn es heißt, sie sei eine „Fremdenlegion“.
Und dann gucken wir, wer wie guten Fußball spielt: Um ein wichtiges Turnier
zu gewinnen und Menschen in seinen Bann zu ziehen, muss ein Team die
Repräsentanz der gesamten Gesellschaft sein. Es muss so divers sein wie der
Pausenhof einer Grundschule. Wer diese Tatsache nicht akzeptiert und von
einem besonderen Leistungsvermögen ethnisch homogener Mannschaften
fabuliert, kann nur verlieren. Überall, auch im Fußball.
Noch eine Erkenntnis verdanken wir dem [2][Ausgang des EM-Finales]: Der
Präsident des spanischen Fußballverbandes, der vor einem Jahr, als die
Fußballerinnen des Landes ihren WM-Titel feierten, sich einfach
Spielerinnen griff, [3][um ihnen einen Mundkuss aufzuzwingen], weil er doch
schließlich der allmächtige Boss war, ist mittlerweile gesellschaftlich
geächtet. Wenn Fußball Menschen begeistern soll, so die Lehre, dann darf er
schlicht nicht sexistisch sein.
## Das Kollektiv ist wichtig
Und auch das haben wir gelernt: Das Kollektiv ist wichtig. Der Trend im
Fußball und anderswo, [4][überbezahlte Superstars] zu kreieren, die sich
als die eigentlichen Macher feiern lassen, wurde bei dieser EM Lügen
gestraft. Kein einzelner Spieler überstrahlte das Turnier, sondern es wurde
von großen Talenten und sehr mannschaftsdienlich spielenden Akteuren
geprägt. In einer vielleicht naiven, vielleicht auch zu steinmeieresken
Weise hat [5][Bundestrainer Julian Nagelsmann] diese Wahrheit so
ausgedrückt: „Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der Dinge alleine
macht und dann automatisch schneller, besser weiterkommt, als wenn er sie
mit jemandem zusammen macht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.“
Ja, Fußball ist ein Sport, der mehr als deutlich zeigt, dass Gewäsch über
einzelne „Leistungsträger“, die sich über die arbeitende Gesellschaft
erheben dürfen und das x-fache verdienen, nur eben dies ist: Gewäsch. Man
kann auch sagen: neoliberale Legitimationsideologie.
Das alles ist nicht neu. Es wurde nur vergessen. Doch dieser EM könnten wir
(hoffentlich!) verdanken, dass es sich wieder in den Vordergrund drängt.
„Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem
Fußball“, schrieb Albert Camus, Ex-Torwart und später
Literaturnobelpreisträger. Und Bill Shankly, legendärer Manager des
[6][Liverpool FC,] drückte es so aus: „Der Sozialismus, an den ich glaube,
besteht darin, dass alle füreinander arbeiten und dass jeder von dem, was
dabei herauskommt, etwas erhält. So sehe ich den Fußball, so sehe ich das
Leben.“
Wenn wir über Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt sprechen
wollen, müssen wir einfach über Fußball reden.
15 Jul 2024
## LINKS
[1] /Fussball-EM/!6020874
[2] /Das-EM-Finale-in-der-Kurzkritik/!6017212
[3] /Kuss-Ueberfall-auf-Baerbock/!5968238
[4] /Sport-ueberall-nur-noch-Sport/!5265983
[5] /Praesidiale-Rede-von-Julian-Nagelsmann/!6019231
[6] /Vor-dem-Halbfinale-gegen-England/!6019503
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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