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# taz.de -- Präsidiale Rede von Julian Nagelsmann: Ein Auge auf Deutschland
> Das Miteinander im DFB-Team soll nach Julian Nagelsmann Vorbild für die
> deutsche Gesellschaft sein. Es ist eine Überhöhung und ein schiefes Bild.
Bild: Im Auge des Bundestrainers
Wie famos würde wohl eine deutsche Gesellschaft aussehen, die von
[1][Julian Nagelsmann] trainiert würde? Das hat sich vielleicht mancher
überlegt, als der Bundestrainer am Tag nach dem Ausscheiden seiner
Fußballmannschaft zu einer Rede ansetzte, die eine Mischung war aus dem
„Wort zum Sonntag“ und einer bundespräsidialen Weihnachtsansprache.
[2][Roman Herzog], wenn er noch leben würde, hätte sich vielleicht an seine
eigene berühmte Rede („Es muss wieder ein Ruck durch Deutschland gehen“)
erinnert gefühlt.
Nagelsmann geißelte wie schon direkt nach dem Spiel in Stuttgart die
depressive gelähmte Stimmung im ganzen Land. „Wenn wir immer nur in
Tristesse verfallen, und alles ist grau und alles ist schlecht, dann wird
sich keiner verbessern.“ Er rief zu mehr Gemeinsinn auf und erinnerte an
frühere Zeiten, als die Menschen einander zugewandter waren, was durchaus
auch von praktischem Nutzen war. „Wenn ich meinem Nachbar helfe, die Hecke
zu schneiden, dann ist er schneller fertig, als wenn er es alleine macht.“
Von mancher Kirchenkanzel in diesem Land sind vielleicht schon ähnliche
Bilder entworfen worden, nur mit deutlich geringerer Reichweite. Nagelsmann
versteht seine Arbeit offensichtlich nicht nur als Job, sondern als eine
Art gesellschaftliche Berufung. Das verdeutlichten die sichtbar starken
Emotionen, die seine Augen während seiner Ausführungen feucht werden
ließen.
Die Relevanz des Fußballs, sagte er, sei zwar vergleichsweise gering, er
könne aber Vorbild sein. Es sei bei diesem Turnier gelungen, eine Symbiose
zwischen der Mannschaft und den Menschen im Land zu schaffen. „Und ich
hoffe, dass wir es auch nachhaltig hinbekommen, diese Symbiose in weit
wichtigeren Bereichen fortzusetzen.“
## Aufgeblasen und fast substanzlos
Es ist durchaus zu begrüßen, wenn sich Vertreter der selbstbezogen
Fußballsphäre zur Realität verhalten und Position beziehen, wie es etwa
[3][Kylian Mbappé] oder [4][Marcus Thuram] während des Turniers vor den
Wahlen in ihrem Land getan haben. Aber die Rede von Nagelsmann war von so
gutgemeinter allgemeiner Aufgeblasenheit, dass am Ende kaum etwas übrig
geblieben ist, was man als Substanz bezeichnen könnte. Appelle für mehr
Integrationsbereitschaft und eine notwendige Willkommenskultur waren schon
die wenigen halbwegs klaren Botschaften. Dass es der Gesellschaft besser
ginge, würden alle wie beim deutschen Nationalteam gemeinsam anpacken, um
nach Lösungen zu suchen statt nach Problemen, all das ist in Zeiten
extremer Polarisierung von doch zu großer Einfältigkeit.
Dieses Bild wäre nur belastbar gewesen, hätte Nagelsmann
auseinandergedröselt, wer denn im DFB-Kader zu den AfD-Anhängern, wer zu
den Verschwörungstheoretikern, wer zum Team Habeck und wer zur den
Klima-Aktivisten der Letzten Generation zählt. Am spannendsten wären dabei
natürlich die Hinweise gewesen, wie er diese heterogene Gruppe zu einem
Ensemble geformt hat, das sich am Wochenende nur unter Tränen voneinander
trennen konnte.
Vielleicht ist es unfair, dieser Rede des Bundestrainers zu genau auf den
Grund zu gehen, weil sie aus einer emotionalen Ausnahmesituation heraus
vorgetragen wurde. Aber Julian Nagelsmann ist genau in die Falle getappt,
in die er nicht reintreten wollte. Die Überhöhung der Bedeutung von
Fußballergebnissen für gesellschaftlichen Wandel haben diejenigen
vorangetrieben, die vor dem Turnier davon fantasierten, mit einem guten
deutschen Abschneiden bei der Europameisterschaft könnten Zustände wie im
Jahr 2006 wieder einkehren. Als ob dadurch die Erfolge von
Rechtsextremisten, der Ukrainekrieg, die Pandemie, das Fortschreiten der
Klimakrise und vieles mehr vergessen gemacht werden könnte.
Nagelsmann hatte vor dem Turnier vor einer [5][politischen Überfrachtung
des Turniers] gewarnt: „Ich würde mir wünschen, dass man das Team aus allen
Debatten heraushält.“ Aber wem so viel Bedeutung zugemessen wird, der kann
schon mal schwach werden.
7 Jul 2024
## LINKS
[1] /Julian-Nagelsmann/!t5277729
[2] /Nachruf-auf-Roman-Herzog/!5370703
[3] /Kylian-Mbappe-und-Wahlen-in-Frankreich/!6016013
[4] /Marcus-Thuram-und-der-RN/!6014404
[5] /Deutschland-vor-der-Fussball-EM/!5994945
## AUTOREN
Johannes Kopp
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