# taz.de -- Nagelsmann im Portrait: Glück mit Wässerchen | |
> Es ist die Gemeinschaft, stupid: Wie Bundestrainer Julian Nagelsmann das | |
> DFB-Team zu alter Stärke zurückgeführt hat. | |
Bild: Weiß den Weg: Julian Nagelsmann, hier beim Spiel gegen Schottland (5:1) | |
Früher hat Julian Nagelsmann vor Spielen gleich mal zwei Dosen eines | |
Energy-Drinks getrunken. Heute pflegt er nur noch eine Dose von jeweils | |
wechselnden Anbietern wegzudrücken. Die süßen Wässerchen, die ihm jetzt | |
Co-Trainer Benjamin Glück besorgt, bringen ihn auf ein gewisses | |
Aktivierungsniveau, das wohl dem der Mannschaft entspricht. Man trifft sich | |
also am Spieltag auf Augenhöhe. Das DFB-Team ist nun auch hellwach, ob mit | |
oder ohne Taurin, Koffein oder was auch immer in den Dosen drin sein mag. | |
Das 5:1 gegen Schottland darf als Beleg für eine gewisse Vigilanz gelten. | |
Nagelsmann hat dieses Team, das sich seiner nicht mehr sicher war, nicht | |
nur stabilisiert, sondern zu alter Stärke geführt. | |
Nach dem Auftaktspiel sprach der 36-Jährige immer wieder von der Stärke der | |
Gemeinschaft: „Die Gemeinschaft hat heute das Spiel gewonnen. Die | |
Gemeinschaft hat heute dafür gesorgt, dass Fußball-Deutschland vielleicht | |
ein Stück mehr an uns glaubt“, sagte er. Der Matchplan funktionierte schon | |
in der frühen Phase des Spiels so gut, und die Schotten blieben so passiv, | |
dass wohl einige im Stadion an jenes 7:1 im Halbfinale der 2014er-WM | |
dachten. War vorher viel Unsicherheit und Ungewissheit im Land, in den | |
Medien, ja vielleicht auch in der Führungsriege des DFB, so wischte das | |
deutsche Team in einer Viertelstunde die Zweifel vom Tisch und sorgte für | |
eine spielerische Befreiung, die nach dem Gewürge der vergangenen drei | |
Turniere die wenigsten erwartet und für möglich gehalten hätten. | |
„Das war mal ein Statement“, sagte Kai Havertz, „ich hoffe, es geht so | |
weiter.“ Er präsentierte das Erfolgsrezept der Mannschaft: Man wolle diese | |
Euro genießen. Dieses Verb fiel recht häufig in den Katakomben der Münchner | |
Arena und auch am Tag danach, den die Spieler wieder im Herzogenauracher | |
Quartier mit ihren Familien verbrachten. Genießen also. Den Druck nicht als | |
Last empfinden, sondern als Privileg und Leistungs-Push. Die Heim-EM | |
nutzen, um als Animateure für gute Stimmung zwischen Garmisch-Partenkirchen | |
und Greifswald zu sorgen. „Wir wollen vor dem Spiel nicht nur eine ernste | |
Fokussierung in der Kabine haben, sondern auch Lockerheit und Lachen“, | |
sagte der Trainer. 22,5 Millionen verfolgten den Auftakt im Fernsehen, was | |
fast schon so rekordverdächtig war wie die Passquote von Toni Kroos, der | |
tatsächlich 99 Prozent seiner Pässe an den Mann brachte. | |
Nagelsmann appelliert an das Selbstverständnis und den Spieltrieb seiner | |
Profis, die sich in der Vergangenheit allzu oft in destruktive Scharmützel | |
verstrickt und so das Primat des Kickens – die Wahrheit liegt auf dem Platz | |
– außer Acht gelassen hatten. Havertz sagte am Freitag: „Wir wollten nicht | |
verkrampfen, sondern genießen, solche Spiele sind ja einmalig.“ Aus den | |
Sauertöpfen von Katar sind anscheinend die Genussfußballer von Schlandland | |
geworden. Wer hätte das gedacht! Und: Was für eine Metamorphose! | |
## Energie! | |
Nagelsmanns Neuausrichtung funktioniert. Der Kaderumbau, die klare | |
Rollenverteilung, die frühzeitige Festlegung auf eine Wunschelf und nicht | |
zuletzt die neuerliche Einbindung von Toni Kroos haben etwas bewegt in | |
einem Team, das vor allem während der Championate in Russland und Katar | |
nicht mehr vom Fleck kam. „Als Cheftrainer musst du Energie geben. Und die | |
Mannschaft gibt mir viel Energie zurück“, sagt der Coach. Nagelsmanns | |
eilige Dreifaltigkeit – Gemeinschaft, Spaß, Energie – hat eine | |
bemerkenswerte Metamorphose angestoßen. In Personalgesprächen hat er sich | |
jeden Protagonisten zur Brust genommen, jedem Einzelnen erklärt, was seine | |
Rolle im Team ist. Auch taktisch sorgte Nagelsmann für Klarheit: Er gibt | |
einen Rahmen vor, in dem sich die Spieler immer wieder frei bewegen dürfen. | |
Diese „Freiheit“ rühmt unter anderem Kapitän Ilkay Gündogan. Nagelsmann | |
selbst hat aus seinem Rauswurf bei den Bayern gelernt, in mehrfacher | |
Hinsicht: So beißt er sich öfters mal auf die Zunge, spricht eher sozial | |
erwünscht als provokativ – und sein Outfit, früher oft etwas erratisch, ist | |
an Spieltagen schlicht schwarz. | |
Als Teambuilding-Maßnahme zeigte er nicht wie Vorgänger Hansi Flick | |
fliegende Wildgänse, sondern ließ ein SEK-Kommando erzählen, wie man | |
Einsätze organisiert. „Sie haben den Spielern klargemacht, dass auch der | |
Nebenmann gut aussehen muss“, verriet er. Julian Nagelsmann ist den | |
Spielern auch als Typ viel näher, als Flick es war. Nagelsmann ist ein | |
prototypischer Fußballist, wie er auch gehäuft im begleitenden Medientross, | |
ja, überall in Fachkreisen auftaucht: Eine Kompetenz demonstrierend, die | |
bisweilen präpotent wirkt, überdies einen Pragmatismus, der manchmal | |
oberflächlich erscheint. Es spricht jedenfalls für Julian Nagelsmann, dass | |
er den rauschenden Auftakt einzuordnen weiß: „Es war nur ein erster | |
Schritt, aber ein sehr guter und einer, auf dem wir aufbauen können“, am | |
Mittwoch im zweiten Spiel gegen Ungarn, wenn wieder ein Döschen | |
Bonbonwasser geöffnet wird. | |
16 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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