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# taz.de -- Kulturfestival Festiwalla: Von der Straße auf die Bühne
> Ab Mittwoch bespielen lokale und internationale Kollektive fünf Tage lang
> die Berliner Volksbühne unter dem Motto: „Keine Angst! Klassenk*mpf?!“.
Bild: Eröffnet wird das Festiwalla vom Moabiter Jugendensemble „NeXt Generat…
Berlin taz | Aus dem Probenkeller des [1][Theater X in Moabit] schleppen
die Spieler*innen des Jugendensembles „NeXt Generation“ Trommeln,
Becken, Pedale und andere Teile eines Schlagzeugs hoch zur größeren
Probebühne. Oben wartet bereits die Band auf sie – sie wollen sich
einspielen. Es klappert und scheppert auf den Treppen, einige lachen,
„Beeilung!“, ruft jemand von der Seite.
Es ist der Tag der Generalprobe von „J. from the Block“, einem „more or
less Brecht lipsync Musical“, wie die Spieler*innen des jungen Ensembles
ihr Stück selbst beschreiben. „J. from the Block“ beschäftigt sich mit den
[2][Arbeitskämpfen der Rider] von Lieferdiensten wie Lieferando, Wolt,
Flink oder Gorillas. Und verbindet diese mit keiner Geringeren als Brechts
heiliger Johanna der Schlachthöfe – und diversen popkulturellen und
musikalischen Referenzen.
„Brecht hat schon vor 100 Jahren geschrieben, wer im Kapitalismus in den
Schlachthof kommt, aber wer kommt 2024 unter die Räder?“, steht auf dem
Programmzettel. In der Entwicklung des Stücks standen die Moabiter
„NeXties“ in engem Kontakt mit den Kurierfahrer*innen der
Lieferdienste und ihren Workers Collectives, einer Art selbstorganisierten
Arbeiter*innenvertretung.
Inzwischen haben sich die Trommeln, Becken und Drumsticks zu einem
Schlagzeug geformt und die Band fängt an zu spielen. Einige der
Ensemblemitglieder zuppeln noch etwas nervös an den Vorhängen und Kostümen.
Wenig später singen sie in neonfarbener Rider-Uniform sowie passendem
Rucksack und Helm „Been spendin' most of my life, livin' capitalist
paradise“ auf der Probebühne.
## Eine große Bühne für ein großes Thema
Die Zeit drängt, es sind nur noch wenige Tage, bis das Musical mit seinen
bunten Ridern und Rädern von der Moabiter Probebühne auf die große Berliner
Volksbühne ziehen wird. Das NeXt-Generation-Ensemble eröffnet dort am
Mittwochabend mit ihrem Musical das mittlerweile siebte
[3][CommUnity-Kulturfestival Festiwalla], das kollektiv vom Theater X
organisiert wird.
„Es ist eine große Sache für uns, das ist eine der größten Theaterbühnen
Berlins!“, betont Rami El, der in dem Stück mitspielt. Die bisherigen
Ausgaben des Kulturfestivals hatten in vergleichsweise kleinerem Umfang
stattgefunden. Gleich geblieben aber ist seit Tag eins des Festivals ihr
Teamruf „Yalla, Yalla, Festiwalla!“.
Dieses Jahr stehen Erzählungen von Arbeiter*innenkämpfen, Solidarität und
Widerstand im programmatischen Fokus des Festiwalla, das sich daher groß
mit „Keine Angst! Klassenk*ampf?!“ ankündigt. Fünf Tage lang werden
Schauspieler*innen und Aktivist*innen zusammengebracht, es wird sich
empört und ausgetauscht.
Dafür haben sich beim Theater X etliche lokale und internationale Gruppen
beworben, die sich in ihren Theaterstücken, Performances, ihrer Musik, Rap,
Tanz oder in Installationen aus marginalisierten Perspektiven und
Positionen heraus mit dem Thema Klasse beschäftigen. Von den NeXties aus
Moabit bis hin zu Kollektiven aus Palästina, Bolivien, Spanien, Italien,
Chile oder Nigeria.
## Viele unterschiedliche Perspektiven
„Das Festiwalla blickt dieses Mal auf Klasse und Klassenkämpfe – aus so
vielen Perspektiven“, sagt Gwen Lesmeister, Mitbegründer*in von NeXt
Generation. „Wir müssen das global anschauen, im Kontext von Ausbeutung,
Migration und Grenzregimen.“
Auch die Kunstwelt und ihre Institutionen werden in diskursiven Formaten
hinterfragt: „Welche Kunst ist Klasse? Von der Kultur im Klassenkampf“
heißt etwa ein international besetztes Panel, das am Samstagnachmittag im
Foyer der Volksbühne stattfinden wird – mit mehrfacher Simultanübersetzung.
Die Wahl der Volksbühne als Spielort für das diesjährige Kulturfestival ist
dabei keineswegs zufällig: Immerhin wurde das Theater für die
Arbeiter*innenklasse gegründet und eignet sich daher perfekt für das
diesjährige Motto des Festiwalla.
Dass ein selbstorganisiertes Community-Theater wie das Theater X die große
Volksbühne bespielen darf, ist durchaus außergewöhnlich. Aber höchste Zeit,
findet Gwen Lesmeister. Kulturproduktion aus den Kiezen und von der Straße
gehöre auf die große Bühne. Davon würden am Ende alle profitieren. „Wir
wollen die Volksbühne damit aktualisieren, die aus der Kultur der
Arbeitskämpfe entstand.“
## Von und für die Arbeiter*innenklasse
Lesmeister kritisiert, dass seit dem Ende der Pandemie die
[4][„unentbehrlichen Arbeiter*innen“] nicht mehr im Fokus stehen. Dabei
seien die Krisen und der Widerstand dagegen nicht weniger geworden, sondern
mehr. „Alles ist teurer geworden und viele Kiezorte machen zu. [5][Das
betrifft vor allem Jugendliche].“ Wichtig ist Lesmeister daher vor allem
eins: „Das Festiwalla soll Bock und Hoffnung machen!“
Ein kurzer Blick auf das [6][Programm des Kulturfestivals] zeigt, dass der
Aspekt der CommUnity – „mit großem U!“ –, wie Hala Mustafa vom Orga-Te…
des Theater X stets betont, im Vordergrund steht. Eine Blockparty, ein
Tanzabend, eine Kiezführung und Straßenperformances sind angekündigt. Die
Theater-X-Maxime – auf der Bühne und auf der Straße aktiv zu sein – gilt
für diese fünf Tage auch für die Volksbühne, die damit womöglich ein
breiteres Publikum erreicht.
Auch die [7][Eintrittspreise] sind auffallend günstiger als im
Repertoirebetrieb. Die Frage, die sich das „J. from the Block“-Ensemble vor
allem stellt, ist, ob das deutschsprachige Sprechtheater zu einem Ort von
und für Arbeiter*innenkinder werden kann. Menschen, die zusätzlich
oft noch eine andere Marginalisierungserfahrung durch Migrationshintergrund
oder Queerness erleben.
Die Frage, wie sie sich emanzipieren, wehren und ermächtigen können, soll
im großen Bühnenraum auf den rot besäumten Stühlen unter dem massiven
Kronleuchter und in allen verfügbaren roten und grünen Salons dieser
Institution Platz finden.
Aber eben nicht nur in der Volksbühne selbst, sondern auch in der
Öffentlichkeit sollen die Stimmen des Festiwalla einen Platz bekommen. Ganz
sicher sind sich die Rider-Schauspieler*innen mit ihrem Anliegen vor allem
darin: Ausgeliefert ist hier niemand. „Power schöpfen und Solidarität,
darum geht es!“, sagt Rami El.
## Das Rad dreht sich weiter
Was sind für das Ensemble die Highlights? „Dass wir dort alle
zusammenkommen und dass wir sehen dürfen, was die anderen Gruppen uns
erzählen wollen“, sagt Rami El. Für Gwen Lesmeister ist das Stück The
Migrant von Illuminatetheatre Productions ein Muss. Sie seien schon länger
mit ihnen in Kontakt, durch das Festival hatten sie die Gelegenheit, das
Ensemble aus Nigeria auch auf die Bühne zu bringen.
The Migrant ist eine Tanzperformance, die sich am Freitagabend – ebenfalls
auf der großen Bühne – kritisch mit Migration und ihren verschiedenen
Diskriminierungsformen auseinandersetzt. Die Künstler*innen arbeiten
dabei ähnlich communityorientiert wie das Theater X und beziehen in ihre
Performance ihre Erfahrungen sowie wissenschaftliche Arbeiten mit ein.
Zurück zur Generalprobe auf der kleinen Moabiter Probebühne: „Lass uns kurz
die Stimmen warm machen, dann geht es aber wirklich los!“, ruft Regisseurin
Annika Füser vom Lichtpult zu den bunten Ridern herunter. Die hatten zuvor
ihre zu ihren Kostümen farblich passenden Requisiten-Räder auf die Bühne
gerollt. Ihre viereckigen Rucksäcke – in die sicher 30 Pizzen passen –
stellen sie nun schnell auf dem Bühnenboden ab und verschwinden in
quietschender Uniform hinter dem Vorhang.
Am Mittwochabend werden sich die Räder der bunten Rider dann gewissermaßen
im berühmten Räuberrad der Volksbühne spiegeln. Damit das Rad sich
weiterdreht im Klassenkampf.
9 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.theater-x.com/
[2] /Arbeitskampf-bei-Lieferdiensten/!6007539
[3] https://www.theater-x.com/festiwalla
[4] /Migrationsforscher-ueber-Systemrelevanz/!5692855
[5] /Preissteigerung-bei-Lebensmitteln/!6019124
[6] https://www.theater-x.com/programm-festiwalla-2024
[7] https://ticket.volksbuehne-berlin.de/eventim.webshop/webticket/seatmap?even…
## AUTOREN
Alissa Geffert
## TAGS
Theaterfestival
Berliner KünstlerInnen
Kunst in Moabit
Berliner Volksbühne
Klassenkampf
Politisches Theater
Lebensmittelindustrie
Kolumne Der rote Faden
Schwerpunkt Coronavirus
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