# taz.de -- Gleichwertigkeitsbericht für Deutschland: Zufriedenheit ist Frage … | |
> Der erste Gleichwertigkeitsbericht der Regierung zeigt: Regionale | |
> Unterschiede sind groß, aber nehmen ab. Die Deutschen sind recht | |
> zufrieden. | |
Bild: Hier geht es eindeutig bergauf: Bundesstraße mit Radweg auf Rügen | |
Berlin taz | Die Lebensverhältnisse in Deutschland gleichen sich an, | |
regionale Unterschiede nehmen insgesamt ab. Das ist das Ergebnis [1][des | |
ersten Gleichwertigkeitsberichts], den die Ampelkoalition am Mittwoch im | |
Kabinett diskutiert und vorgestellt hat. | |
Erstmals hat die Bundesregierung für den Bericht Daten für alle 400 | |
Landkreise zusammengefasst und teils eigens erhoben, um die | |
Lebensbedingungen in Deutschland systematisch vergleichen zu können. 38 | |
Indikatoren wurden dafür erfasst, die zusammen genommen für die Qualität | |
der Lebensverhältnisse stehen sollen: von der Höhe der | |
Gewerbesteuereinnahmen über die Quote der Langzeitarbeitslosen, über die | |
Versorgung mit Kinderärzt*innen bis hin zur Feinstaubbelastung. | |
Bundeswirtschaftsminister [2][Robert Habeck] (Grüne) nannte die Entwicklung | |
„erfreulich“. | |
In 27 von 38 Kategorien haben die regionalen Unterschiede in Deutschland | |
dem Bericht zufolge abgenommen. In den anderen Kategorien, darunter bei der | |
Versorgung mit Kitaplätzen und dem Anteil von Fachkräften, haben sich die | |
regionalen Unterschiede dagegen vergrößert. Eine solch detaillierte | |
Datengrundlage auf kommunaler Ebene hat es in Deutschland bisher nicht | |
gegeben. Sie gibt Aufschluss darüber, wie sich die Lebensverhältnisse | |
unterscheiden – und gibt die Möglichkeit, Landkreise miteinander zu | |
vergleichen. | |
## Nicht nur Ost und West | |
Viele der erhobenen regionalen Unterschiede sind bereits bekannt und ordnen | |
sich auch 35 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch nach Ost- und | |
Westdeutschland. Dazu gehört etwa der Gender-Pay-Gap, der im Osten sehr | |
viel geringer ist als im Westen. | |
Doch der Bericht zeigt ebenso regionale Unterschiede, die sich geografisch | |
anders verteilen: etwa die Bevölkerungsentwicklung. Diese steigt in | |
Landkreisen in Ostdeutschland rund um die Metropolregionen Berlin, Leipzig | |
und Dresden, während sie in Westdeutschland in vielen Landkreisen abnimmt. | |
In den meisten Kategorien stellt der Bericht einen geringer werdenden | |
regionalen Unterschied in den Lebensverhältnissen fest. So ist etwa der | |
Abstand zwischen Landkreisen mit hoher und mit niedriger Arbeitslosigkeit | |
gesunken. Trotzdem bleiben aber auch große regionale Unterschiede: Während | |
in süddeutschen Landkreisen faktisch Vollbeschäftigung herrscht, ist die | |
Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, Bremen und dem Ruhrgebiet deutlich | |
höher. | |
Auch beim Bruttoinlandsprodukt gibt es eine leichte Annäherung. Landkreise | |
mit geringerer Wirtschaftskraft sind in den vergangenen zehn Jahren stärker | |
gewachsen als Kreise mit hoher Wirtschaftskraft. Dennoch bleibt aber das | |
Bruttoinlandsprodukt in niedersächsischen Wolfsburg noch immer etwa dreimal | |
so hoch wie im sächsischen Erzgebirgskreis. | |
## Subjektive Zufriedenheit geringer | |
Neben objektiv messbaren Kriterien wurde für den Bericht auch erhoben, wie | |
zufrieden Menschen in Deutschland subjektiv mit ihrem Leben sind. Dafür | |
wurden zwischen Oktober und Dezember 2023 über 30.000 Menschen in allen 400 | |
Landkreisen befragt. Bundesinnenministerin [3][Nancy Faeser] (SPD) sagte, | |
man habe bewusst nicht nur Daten erheben wollen, sondern wollte „den | |
Menschen vor Ort zuhören.“ Diese Erhebungen stellt der Bericht den | |
objektiven Daten zur Lebenszufriedenheit gegenüber. | |
Auffällig ist, dass die subjektive Wahrnehmung und objektive Daten teils | |
voneinander abweichen. Den statistischen Verbesserungen steht in diversen | |
Bereichen auch eine große Unzufriedenheit gegenüber: Acht von zehn | |
Befragten sagten etwa, dass es schwierig sei, Wohnraum zu finden. Gering | |
ist auch die Zufriedenheit mit dem öffentlichen Nahverkehr und den | |
Radwegen. Nur die Hälfte der Befragten sagt, dass sie damit in ihrer Region | |
ausreichend versorgt sind. Dies gilt ebenso für die Versorgung mit | |
schnellem Internet. Sehr schlecht ist auch das Ergebnis für die | |
Bildungspolitik: Nur vier von zehn Befragten waren zufrieden mit der | |
Qualität von Schulen und der Versorgung von Kindern. | |
Subjektive Wahrnehmung und objektive Daten klaffen zuweilen deutlich | |
auseinander: So ist die Zufriedenheit mit der Kinderbetreuung in Bayern | |
höher als die tatsächliche Versorgung mit Kinderbetreuung. „Manchmal ist | |
die Stimmung besser als die Lage“, so Habeck trocken dazu. Anders ist es in | |
diesem Bereich in Ostdeutschland, wo die Versorgung in der Kinderbetreuung | |
insgesamt am besten ist. Hier hat die Zufriedenheit dagegen auf hohem | |
Niveau eher abgenommen. | |
## Zwei Drittel insgesamt zufrieden | |
Doch trotz der Vielzahl an Problemen sind zwei Drittel der Befragten mit | |
ihrer individuellen Lebenssituation insgesamt zufrieden. Dieser Wert | |
unterscheidet sich zwischen West und Ostdeutschland nur geringfügig. Auch | |
das Sicherheitsempfinden ist dem Bericht zufolge eher hoch. Acht von zehn | |
Befragten fühlen sich in ihrem Wohnumfeld demnach sehr sicher oder eher | |
sicher. Mit dem gesellschaftlichen Leben in ihrer Region zeigten sich sechs | |
von zehn Befragten zufrieden. | |
Die Bundesregierung schafft mit dem Bericht auch erstmals Transparenz | |
darüber, wie sich die vielen regionalen Fördermittel des Bundes auf die 400 | |
Landkreise verteilen. Bisher hatte sie darüber keine Übersicht. Im | |
Mittelpunkt dieser Analyse steht das „gesamtdeutsche Fördersystem für | |
strukturschwache Regionen“ (GFS). | |
Dieses bildet seit 2020 den Kern der Gleichwertigkeitspolitik der | |
Bundesregierung. Im Jahr 2022 hatte es ein Fördervolumen von 4,2 Milliarden | |
Euro. Mehr als die Hälfte der Fördermittel fließen demnach in ostdeutsche | |
Landkreise, wo rechnerisch bis zu 557 Euro (Prignitz) pro Einwohner*in | |
ausgegeben werden. Überdurchschnittliche hohe Förderungen fließen aber auch | |
in die Landkreise Ostbayerns, ins Saarland und das Ruhrgebiet sowie einige | |
norddeutsche Landkreise. | |
Bundesinnenministerin Faeser verwies bei der Vorstellung des Berichts auf | |
den Beschluss des Kabinetts von letzter Woche, Bundesbehörden und | |
Forschungseinrichtungen im ländlichen Raum anzusiedeln. Man wolle Anreize | |
schaffen, dass junge Menschen in ihrer Heimat bleiben oder zurückkehren. | |
„Menschen sollen die Wahl haben, wo sie leben wollen“, sagte Faeser, für | |
diese Wahlfreiheit brauche es gleichwertige Lebensverhältnisse: „Das ist | |
für mich Heimatpolitik.“ | |
3 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2024/07/gleichwert… | |
[2] /Macron-Biden-und-die-gute-Merkel-Zeit/!6020155 | |
[3] /Abschiebungen-wegen-Hass-im-Netz/!6019941 | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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