| # taz.de -- „Weiße Rose“ in Stollberg“: Ein Klima des Wegduckens | |
| > In Stollberg wird nach rechten Attacken in eine Schüler-Inszenierung der | |
| > „Weißen Rose“ eingegriffen. Druck kam unter anderem von der AfD. | |
| Bild: Gibt es Berührungspunkte mit heute? Ein Graffiti zur Weißen Rose | |
| Drei Wochen lang musste sich der Theaterpädagoge und Regisseur Falko Köpp | |
| nach einem Burnout in die Einsamkeit zurückziehen. Erst seit Mitte Juni ist | |
| er wieder ansprechbar. Zugesetzt hatten ihm im Frühjahr [1][rechte Attacken | |
| auf seine Schülerinszenierung] der „Weißen Rose“ und mangelnde | |
| Rückendeckung am theaterpädagogischen Zentrum Burattino im sächsischen | |
| Stollberg. | |
| Dabei sei das Burattino „so phänomenal und wichtig für die künstlerische | |
| Ausbildung und Freizeitgestaltung der Jugendlichen“ im Erzgebirgskreis, | |
| sagt Köpp im Gespräch mit der taz. Zu DDR-Zeiten ein Pioniertheater, | |
| erschöpfte es sich lange in einer Märchenwelt. Umso begeisterter sei Köpp | |
| deshalb, dass die jungen Darstellenden des Stollberger Gymnasiums sein | |
| Bemühen hin zu einem emanzipatorischen und künstlerisch ambitionierten | |
| Theater seit 2020 mitgetragen hätten. | |
| Und doch waren es einige ihrer rechtsgerichteten Mitschüler, die der | |
| Inszenierung in den Rücken fielen. Mit haltlosen Behauptungen über | |
| angebliche linksradikale Indoktrination schwärzten sie das Stück bei der | |
| ehemaligen AfD-Kreisrätin Sylvia Vodel an. Der Erzgebirgs-Kreistag | |
| debattierte deren Anfragen zwar nicht. Die Leiterin des | |
| Kultur-Eigenbetriebes im Erzgebirgskreis Susanne Schmidt aber musste sich | |
| rechtfertigen und stellte Falschbehauptungen richtig. | |
| Köpp, der sich in erster Linie als Theaterpädagoge sieht, wirkt im Gespräch | |
| immer noch fassungslos, dass es ausgerechnet gegen die „Weiße Rose“ ging. | |
| Um einen Stoff also, an dem es nach Ende der NS-Diktatur 1945 nie etwas zu | |
| deuteln gab. Es ist die Geschichte des Widerstands der Geschwister Hans und | |
| Sophie Scholl und ihrer Münchner Studentengruppe gegen die NS-Herrschaft. | |
| Beide wurden 1943 hingerichtet. | |
| Historische Fakten und heutige Analogien | |
| In seiner aus Leipzig mitgebrachten Bühnenfassung von 2017 pendelt Köpp | |
| bewusst zwischen den historischen Fakten und heutigen Analogien und nutzt | |
| dabei Kommunikationsformen und künstlerische Ausdrucksmittel der aktuellen | |
| Schülergeneration. Der Laptop gehört auf die Bühne, es wird mobil | |
| telefoniert und organisiert, gerappt und getanzt. | |
| Es ist kaum vorstellbar, dass diese emotional wie eindringlich gespielte | |
| Theaterversion jemanden kaltlassen kann. Erst recht nicht im Saal des | |
| ehemaligen Frauengefängnisses Hoheneck-Stollberg, das der | |
| Schüler-Bürgerbühne seit vorigem Jahr als Aufführungsort dient. Die jungen | |
| Zuschauenden der gymnasialen Oberstufe fühlen sich spontan angeregt und | |
| verstehen schnell. | |
| „Grundsätzlich gibt es Berührungen zu heute, man sollte das politische | |
| Geschehen ebenso wenig ignorieren wie vor 80 Jahren“, von Parallelen will | |
| ein junger Mann noch nicht sprechen, aber von Tendenzen. „Noch haben wir | |
| die Chance, unter Nutzung demokratischer Institutionen gegen den Rechtsruck | |
| aufzustehen“, sagt eine Schülerin im Publikum. | |
| Falko Köpp würdigt, dass Kulturbetriebsleiterin Schmidt ursprünglich die | |
| Aufnahme des Stoffs der „Weißen Rose“ begrüßte. Bei seinem | |
| Einstellungsgespräch habe sie sich zu politischem und diskursivem Theater | |
| bekannt. Dass sie im März dennoch in die Inszenierung eingriff, schreibt er | |
| ihrer Absicht zu, weiteren Ärger mit der AfD abzuwenden. | |
| Ursprüngliche wurden heutige Faschisten gezeigt | |
| Der Parteiname [2][AfD durfte in der Aufführung nicht mehr genannt] werden. | |
| Bei einer Büroszene wechselte ursprünglich das Hitler-Bild im Hintergrund | |
| mit Fotos heutiger Faschisten und Diktatoren, die auch so genannt werden | |
| dürfen: unter anderem Björn Höcke, Wladimir Putin oder Xi Jinping. Jetzt | |
| wird dort acht Minuten lang großformatig Adolf Hitler gezeigt, | |
| unkommentiert. | |
| „Schlimmer kann es nicht kommen“, sagt Köpp. Auf einmal durfte er die | |
| Darstellenden bei einer Vorstellung nicht mehr begleiten, musste im Büro | |
| sitzen bleiben. Das habe nicht nur ihm wehgetan, sondern auch Wut bei den | |
| jungen Schauspielenden ausgelöst. Bei den seit dem Vorjahr stattfindenden | |
| Nachgesprächen sei zudem dem 22-jährigen Jakob Springfeld, der durch seine | |
| antinazistischen Bücher bekannt wurde, das Mikrofon entzogen worden. | |
| Frauke Wetzel, Kulturwissenschaftlerin vom Chemnitzer ASA-FF-Netzwerk für | |
| globales Lernen, moderiert diese Gespräche. Den Vorwurf der Indoktrination | |
| Jugendlicher weist sie zurück: „Ich lasse die Schüler selber reden und | |
| frage nur, wo sie heute Zivilcourage zeigen würden und was ihnen an einer | |
| Gruppe angenehm oder unangenehm ist.“ Das seien, so Wetzel, Grundlagen der | |
| Gedenkstättenpädagogik. | |
| Indirekt kritisiert Frauke Wetzel aber auch die langjährige | |
| Burattino-Leiterin Annekathrin Rottstädt-Hänel. Sie habe nicht hinter der | |
| Inszenierung gestanden, müsse wohl taktisch agieren, um die Förderung durch | |
| den Kreis nicht zu verlieren. | |
| Opportunistisches Anpassungsdenken der DDR | |
| Theaterpädagoge Falko Köpp sagt, er habe Rottstädt-Hänel in seinen vier | |
| Stollberger Jahren als noch stark vom opportunistischen Anpassungsdenken | |
| der DDR geprägte Leiterin wahrgenommen. Er selbst wechselt zur nächsten | |
| Spielzeit ans Schauspiel und Figurentheater Chemnitz. | |
| Kulturbetriebsleiterin Susanne Schmidt wollte sich zur Personalie Köpp | |
| nicht äußern. Hinsichtlich der Burattino-Fassung der „Weißen Rose“ | |
| bestreitet sie auf Anfrage „jeden Durchgriff auf die Inszenierung“. Diese | |
| laufe wie geplant. „Die Textbücher schreiben wir, die muss ich niemandem | |
| vorlegen. Ich stehe dafür, was hier auf der Bühne gezeigt wurde.“ Bei | |
| Burattino zeigt sich darüber indes niemand erstaunt. Denn die | |
| Pressemitteilungen der Bühne gingen ohnehin über den Tisch von Frau | |
| Schmidt. | |
| Der leidenschaftliche Theatermann und Demokrat Falko Köpp aber fühlt sich | |
| alarmiert vom schleichenden vorauseilenden Gehorsam gegenüber immer | |
| dominanter werdenden rechten Kreisen: „Es braucht die AfD gar nicht mehr, | |
| weil das [3][Klima des Wegduckens schon von Konservativen] kommt.“ Das sei | |
| schockierend, weil es bei der „Weißen Rose“ genau darum gehe. | |
| 7 Jul 2024 | |
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