| # taz.de -- Gangsterfilm „Verbrannte Erde“ im Kino: Showdown an der Müllto… | |
| > Thomas Arslans „Verbrannte Erde“ ist fast ein klassischer Gangsterfilm. | |
| > Das Spiel mit bekannten Mustern lässt etwas Neues entstehen. | |
| Bild: Nicht-Orte: Trojan (Mišel Matičević) in Berlin in „Verbrannte Erde“ | |
| „Arm, aber sexy“ war Berlin angeblich einmal, inzwischen ist die Hauptstadt | |
| nicht mehr ganz so arm, gewiss aber auch nicht mehr so sexy wie noch vor | |
| zwanzig, vielleicht auch noch zehn Jahren: Die Stadt hat sich verändert und | |
| ganz gewiss nicht immer zum Besten. „Berlin ist unwirtlicher geworden“, | |
| sagt der Regisseur Thomas Arslan dazu, der als aus dem Ruhrgebiet | |
| Zugezogener einen anderen Blick auf Berlin hat als ein Einheimischer, auch | |
| wenn er nach gut 40 Jahren in der Stadt selbst längst heimisch geworden | |
| ist. | |
| Neun Spielfilme hat Arslan in den letzten Jahrzehnten gedreht, fünf davon | |
| spielen in Berlin, wobei die Stadt mit ihren Menschen und ihrer Architektur | |
| nicht einfach nur als Schauplatz, als mehr oder weniger ästhetischer | |
| Hintergrund fungiert, sondern zu einem Thema wird, fast zu einem weiteren | |
| Hauptdarsteller. | |
| Arslans neuer Film heißt „Verbrannte Erde“ und ist der zweite Teil einer | |
| geplanten Trilogie, die vor vierzehn Jahren mit [1][„Im Schatten“ begann, | |
| einem Gangsterfilm, in dem Mišel Matičević die Rolle des Trojan spielte], | |
| einem einsamen Wolf, wie er im Buche beziehungsweise der Filmgeschichte | |
| steht, wie man ihn aus unzähligen Filmen von Jean-Pierre Melville über John | |
| Woo bis Michael Mann kennt. Am Ende von „Im Schatten“ hatte Trojan die | |
| Stadt verlassen, war gerade so mit dem Leben davongekommen und blank. | |
| Zwölf Jahre später hat sich daran, hat sich an Trojan nichts geändert. Nach | |
| einer verunglückten Geldübergabe mit ein paar gestohlenen Luxusuhren im | |
| Gepäck kommt er zurück nach Berlin, doch die Zeiten haben sich geändert. | |
| Die Uhren bekommt er nur für ein paar Tausend Euro los, seine alten | |
| Kontakte sind eingeschlafen. | |
| ## Ein scheinbar einfacher Coup | |
| Über einen Bekannten, der längst aus dem Geschäft ausgestiegen ist und die | |
| Halbwelt für ein Leben als Fußballtrainer von Jugendlichen aufgegeben hat, | |
| bekommt Trojan die Telefonnummer von Rebecca (Marie-Lou Sellem). Die hat | |
| ihr Büro am Litfaß-Platz, etwas südlich vom Hackeschen Markt, einem dieser | |
| Berliner Nicht-Orte, die ein bisschen aufgeputzt wurden, aber völlig leblos | |
| sind, denn warum sollte man auf so einem Platz verweilen? | |
| Auch Rebeccas Büro ist geprägt von den üblichen schmalen Fenstern, die den | |
| Blick auf nichtige Bürobauten öffnen, keine Spur von Großstadtflair. Aber | |
| einen Auftrag bekommt Trojan, allerdings ein Job mit drei Kollegen, für den | |
| Einzelgänger ein grundsätzliches Problem. Doch da sein alter Kumpel Luca | |
| (Tim Seyfi) dabei ist, sagt Trojan zu, der Coup wirkt einfach und | |
| verlockend: In einem Museum in Dahlem soll ein kleines, handliches Gemälde | |
| von Caspar David Friedrich gestohlen werden. | |
| Keine große Sache, der Coup läuft problemlos ab, doch dann beginnen die | |
| Probleme. Victor (Alexander Fehling), der Mittelsmann des Auftraggebers, | |
| stellt sich quer, will Trojan und seine Mannschaft bescheißen, am liebsten | |
| gar kein Geld zahlen, doch er hat die Rechnung ohne Trojan gemacht. | |
| Eine klassische, fast schon klischeehafte Geschichte, voller Motive und | |
| Tropen, die man aus unzähligen Gangsterfilmen kennt. Als Pastiche | |
| funktioniert „Verbrannte Erde“ dadurch, als Spiel mit bekannten Mustern, | |
| die Arslan ein klein wenig variiert und dadurch etwas Neues entstehen | |
| lässt. Sein Held Trojan wirkt wie der Endpunkt einer Reduktion. | |
| ## Professionelle, unterkühlte Art | |
| Schon Alain Delon in „Der einsame Engel“ oder Robert De Niro in „Heat“ | |
| waren keine Männer vieler Worte, waren unterkühlte Typen, die möglichst | |
| wenig sagten, um möglichst wenig von sich preiszugeben. Nicht angreifbar | |
| werden, Männer ohne Eigenschaft, die sich nur durch ihre Handlungen | |
| definieren. | |
| Man merkt Mišel Matičević an, wie viel Spaß ihm diese Rolle macht, dieser | |
| Tojan, der selbst alten Freunden wie Luca reserviert gegenübertritt und auf | |
| freundliche Begrüßungsfloskeln wie „Siehst gut aus, Trojan“ kaum reagiert. | |
| Dass er keine Spuren hinterlässt, macht ihn nicht fassbar, schützt ihn, im | |
| Gegensatz etwa zu Luca, der sich eigentlich zusammen mit seiner Frau ein | |
| Leben als Restaurantchef aufgebaut hat, der eigentlich keine Dinger mehr | |
| drehen wollte, eigentlich. | |
| Angesichts seiner professionellen, unterkühlten Art könnte man meinen, dass | |
| Trojan ideal in das neue, geschäftige Berlin passen würde, eine Stadt, der | |
| zunehmend die Ecken und Kanten abhanden kommen, in der Brachen rar werden, | |
| in der langweilige Investorenarchitektur vermehrt das Stadtbild prägt. | |
| Von den attraktiven Seiten Berlins ist in „Verbrannte Erde“ ebenso wenig zu | |
| sehen wie von touristischen Orten. Kein Fernsehturm ist im Hintergrund zu | |
| erspähen, keine Fahrt entlang der East Side Gallery oder am Brandenburger | |
| Tor vorbei gibt es, wie man sie aus so vielen internationalen Berlin-Filmen | |
| kennt, die ein bestimmtes Berlin-Klischee ins Bild setzen wollen. | |
| ## Gewandeltes Berlin | |
| Trojan dagegen steigt in billigen Ketten-Hotels ab, in dem | |
| Easyjet-Touristen Anonymität garantieren, und bewegt sich nur dann durch | |
| die Stadt, wenn er muss. Eine geplante Geldübergabe findet auf einem kargen | |
| Hinterhof statt, der finale Showdown neben einer Mülltonne. In der Ferne | |
| ist das Amazon-Hochhaus an der Warschauer Brücke zu erkennen, wie ein Fanal | |
| des neuen Berlins. | |
| Wie Berlin einst aussah, vor zwar nur 25 Jahren, die aber weiter weg wirken | |
| als eine Generation, kann man in Thomas Arslans „Berlin-Trilogie“ | |
| überprüfen. Zwischen 1997 und 2001 entstanden die Filme „Geschwister – | |
| Kardeșler“, „Dealer“ und „Der schöne Tag“, die junge Berliner migra… | |
| Herkunft beobachteten, wie sie ihre Tage verbrachten. Vor allem durch | |
| Kreuzberg flanieren sie, scheinbar ziellos, mit viel Muße. | |
| Vielleicht war die Stadt damals wirklich entspannter als heute, herrschte | |
| im Straßenverkehr nicht so ein aggressiver Unterton, der Auto und Fahrrad | |
| fahren immer mehr zu einem Nahkampf macht. | |
| Manche Schauspieler aus der Berlin-Trilogie tauchen in kleinen Rollen auch | |
| in „Verbrannte Erde“ auf, vor allem Bilge Bingül, der in „Dealer“ eine | |
| kleine Rolle spielte und hier als Computerexperte am Coup mitwirkt. Nicht | |
| derselbe Charakter selbstverständlich, aber auf eine Weise doch eine | |
| logische Entwicklung, eine Professionalisierung, die auch der veränderten | |
| Stadt gezollt scheint. | |
| ## Arbeiten ohne festen Wohnort | |
| In einem Interview hat Thomas Arslan Trojan als Figur bezeichnet, die an | |
| die Gig Economy erinnert, jene moderne, unbestimmte Form des Arbeitens, die | |
| nicht an einen festen Wohnort gebunden ist, nomadisch durch die Welt | |
| streift und dorthin geht, wo es Geld zu verdienen gibt. Austauschbar werden | |
| für diese Menschen Orte und Städte, die ja ohnehin immer globalisierter, | |
| austauschbarer werden: überall Starbucks, Apple-Stores oder H&M, schon am | |
| Flughafen dieselben, immer gleichen Designerläden. | |
| Insofern wirkt es fast schon konsequent, dass auch Berlin, diese ewige | |
| Möchtegern-Weltstadt, immer austauschbarer und uniformer wird, dass sich | |
| ein Gangster wie Trojan durch eine Stadt ohne Eigenschaften bewegt, keine | |
| Spuren hinterlässt und am Ende, mal wieder, verschwindet. Passenderweise | |
| will Arslan den letzten Teil der Trilogie (der hoffentlich nicht erst nach | |
| einer ähnlich langen Pause gedreht wird) auch nicht in Berlin realisieren. | |
| Wenn selbst ein so tief mit Berlin verwurzelter Regisseur wie Thomas Arslan | |
| zumindest filmisch und vorübergehend die Stadt verlässt, muss sich die | |
| (Film-)Metropole Berlin vielleicht doch langsam mal Sorgen machen. | |
| 16 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Meyns | |
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