| # taz.de -- Ruhrpott-Thriller „Frisch“ im Kino: Stadien kaputter Männlichk… | |
| > Damian John Harpers Film „Frisch“ zeigt sicheres Gespür für düstere | |
| > Atmosphären. Doch Genrefilme aus Deutschland finden oft schwer zu ihrem | |
| > Publikum. | |
| Bild: Verstaubte Sonne im Westen: Kai (Louis Hofmann) in „Frisch“ | |
| So richtig hell ist es selten in Damian John Harpers Thriller „Frisch“, im | |
| buchstäblichen und übertragenen Sinne. Autos schieben sich durch die Nacht, | |
| die von Neonlichtern durchzogen wird, es regnet gern, wenn in | |
| dialektgeschwängerten Gesprächen kleinere bis mittelgroße Gaunereien | |
| besprochen werden. | |
| Notwendige Gaunereien, weil die „Blagen“ ja teuer sind und die „Maloche“ | |
| nicht genug abwirft. Die raue Mundart ist in dem Film, der ein bisschen zu | |
| hemdsärmelig als Ruhrpottwestern vermarktet wird, zentral. Quasi das | |
| Ausrufezeichen dazu ist Ralf Richters aus dem Off brummende Erzählerstimme. | |
| Harper, gebürtiger US-Amerikaner und ausgebildet an der Münchner | |
| Filmhochschule, adaptiert in seinem dritten Spielfilm nach „Los Ángeles“ | |
| und „In the Middle of the River“ den Roman „Fresh“ von Mark McNay – u… | |
| verlegt dessen nahe London gelegene Vorstadtszenerie ins industrielle Herz | |
| Deutschlands. Die Maloche, der sein Protagonist Kai (Louis Hofmann) | |
| nachgeht, passt in das von Gewalt durchzogene Milieu. | |
| Der junge Mann verdingt sich in einer Fleischverarbeitung, immer wieder | |
| arbeiten sich Sägen und Messer vor weiß gefliesten Wänden durch | |
| Tierhälften, einmal platscht das Blut aus den Hälsen aufgehängter Schweine | |
| auf den Boden, ein anderes Mal pult Kai mit seinem Messer die Augäpfel aus | |
| Rinderköpfen. | |
| Kai lebt mit seiner Frau Ayşe (Canan Kir) und Tochter Jenny in einer | |
| abgerockten Wohnung. Das bescheidene Dasein zwischen Arbeit, Familie und | |
| Bieren mit dem Onkel Andy (Sascha Geršak), der auch in der Fabrik arbeitet, | |
| nimmt ein jähes Ende, als Kais Bruder Mirko (Franz Pätzold) aus dem Knast | |
| kommt. Letzterer ist eine wandelnde Atombombe, nervlich immer am Anschlag, | |
| schlagfreudig und alles andere als begeistert, dass Kai von seinen 10.000 | |
| Euro, die er aufbewahren sollte, einiges für die Familie ausgegeben hat. | |
| Mirko will sein Geld zurück und zwingt seinen Bruder wieder in die | |
| Kriminalität. Widerstand erscheint zwecklos gegen den von Pätzold mit | |
| kurzer Zündschnur gespielten aggressiven Freak. | |
| ## Zum Glück nicht totzukriegen | |
| Allein durch die lokale Verortung lässt „Frisch“ ganz unweigerlich an Filme | |
| wie „Bang Boom Bang – Ein todsicheres Ding“ (1999) denken. Doch wo Peter | |
| Thorwarths Film mit klamaukigem Charme punktete, bleibt Harpers Film | |
| düster, hart und beinahe humorlos. | |
| Genrekino hat es in Deutschland ja bekanntermaßen alles andere als leicht | |
| beim Publikum – doch totzukriegen ist es glücklicherweise nicht. Das zeigen | |
| nicht zuletzt renommierte Regisseure wie Christoph Hochhäusler und Thomas | |
| Arslan seit Jahren. [1][Hochhäusler überführte 2023 mit seinem | |
| Großstadtthriller „Bis ans Ende der Nacht“ um eine Transfrau] und einen | |
| schwulen verdeckten Ermittler das deutsche Genrekino auch in Sachen | |
| Sexualität und Genderfragen ins 21. Jahrhundert. | |
| Sein jüngstes Werk, „La Mort viendra“, ein kühler Thriller über eine | |
| Auftragsmörderin, feierte Premiere in Locarno. Es ist Hochhäuslers erster | |
| französischsprachiger Film und seine Interpretation des Polar, des | |
| französischen Kriminalfilms zwischen Genre- und Autorenkino. [2][Arslan | |
| wiederum brachte 2024 mit „Verbrannte Erde“ die späte Fortsetzung seines | |
| Berliner Film noir „Im Schatten“] (2010) ins Kino. | |
| ## Die Welt ist krank, Heilungsversuche zwecklos | |
| Vor allem auch jüngere Regiestimmen halten das deutsche Genrekino lebendig | |
| – nicht selten mit sehr begrenzten Mitteln. Autodidakt Max Gleschinski etwa | |
| drehte sein Debüt „Kahlschlag“ (2020) völlig ohne Unterstützung aus den | |
| klassischen Filmfördertöpfen mit einem Zuschuss von 10.000 Euro des | |
| Kulturfonds des Landes Mecklenburg-Vorpommern: ein Hybrid aus Heimatfilm | |
| und Thriller um zwei alte Freunde und eine Frau, der über die Geister der | |
| Vergangenheit reflektierte. | |
| Auch [3][Denis Moschitto und Daniel Rakete Siegel haben laut eigenen | |
| Aussagen mit kleinem Budget „unter dem Radar“ gefilmt und mit „Schock“]… | |
| vergangenen Jahr einen neonlichtgetränkten, visuell und auditiv an den | |
| frühen Nicolas Winding Refn erinnernden Thriller in die Kinos gebracht. | |
| Zwischen Ruhe und Gewalt erzählt der Film von einem Arzt, der seine | |
| Approbation wegen Drogenkonsums verloren hat und sich gegen Cash um die | |
| Nöte der Gesetzlosen kümmert. „Schock“ ist konsequent, auch in seinem | |
| Pessimismus: Die Welt ist hier krank, Heilungsversuche zwecklos. | |
| Auch abseits der Crimegeschichten wagen sich junge Regisseure ans | |
| genreaffizierte Kino. Tilman Singer zeigte sich bereits in „Luz“ (2018), | |
| seinem Abschlussfilm an der KHM Köln, als stilbewusster Horrorfilmer mit | |
| einer Portion Dario-Argento-Vibes. In seinem letzten, [4][auf der Berlinale | |
| uraufgeführten Film „Cuckoo“ (2024)], einer deutsch-amerikanischen | |
| Produktion, erzählt er handwerklich versiert und äußerst effektiv eine irre | |
| alpine Frankenstein-Variante, die am Ende mit einem monströsen | |
| Augenzwinkern freidreht. | |
| ## Freiheit und Schrecken berühren sich | |
| Benjamin Pfohl wiederum folgte in seinem Anfang dieses Jahr ins Kino | |
| gekommenen Langfilmdebüt „Jupiter“ einem Mädchen, das mit seinem Bruder u… | |
| den Eltern in einer Sekte lebt, die sich gen Jupiter aufmachen will – kein | |
| Science-Fiction im klassischen Sinne, aber ein intensiver Mix aus | |
| Sektenthriller und Coming-of-Age-Geschichte, der geschickt mit Genremotiven | |
| spielt. Die Ambivalenz seines Finales bleibt haften: Freiheit und Schrecken | |
| berühren sich. | |
| Auch in „Frisch“ ist der Schrecken allgegenwärtig. Harper nutzt das | |
| mileugetränkte Genre, um im Kern von einer toxischen Brüderbeziehung zu | |
| erzählen. „Das Einzige, was wir jetzt noch haben, sind wir. Wir Apachen | |
| halten zusammen“, sagt Mirko in einer der vielen Rückblenden zu seinem | |
| Bruder Kai, nachdem sie als Kinder ihre Mutter verloren haben und klar ist, | |
| dass sie bei Onkel Andy unterkommen werden. Doch diese Westernmetapher wird | |
| im Film derart penetrant bemüht, dass sie schnell zur Pose gerinnt. | |
| Dabei gelingt Harper stilistisch vieles: Er zeichnet sein Milieu, auch wenn | |
| die meisten Nebenfiguren Stereotype bleiben, präzise und hat ein sicheres | |
| Gespür für düstere Atmosphären. Warum er seinen Film dennoch in eine so | |
| (über-)ambitionierte wie verkopft-überfrachtete Rückblendenstruktur zwingt, | |
| bleibt ein Rätsel. | |
| Die Kindheit, Mirko krakeelend in einer Disco oder als er mit dem Onkel | |
| aneinandergerät; Kais erste Begegnungen mit Ayşe und, und, und: Harper | |
| scheint so sehr darauf erpicht, Ursache und Wirkung miteinander zu | |
| verschränken, dass er seinem Film vor allem in der ersten Hälfte durch die | |
| permanent changierende Erzählweise zwischen Vergangenheit und Gegenwart | |
| jeglichen Erzählfluss raubt. Auch Richters Off-Erzählstimme kann daran | |
| wenig ändern. | |
| Mit dem Moment allerdings, in dem Kai seinem außer Rand und Band geratenen | |
| Bruder bei der völligen Eskalation beiwohnt und versucht, in ein | |
| Waschbecken zu kotzen, fängt der Film sich wieder ein wenig. | |
| Allerspätestens hier wird klar, dass „Frisch“ auch ein Genrestück über | |
| verschiedene Stadien kaputter Männlichkeit ist und dass es im Fall von Kai | |
| eine Explosion braucht, um aus dem gewaltvoll-toxischen Hamsterrad | |
| auszubrechen. | |
| Die Explosion am Ende dieses Films, der mehr hätte sein können, diese | |
| heftige Gewalteruption, die einem Winding Refn in nichts nachsteht, ist in | |
| jeglicher Hinsicht verstörend und erschreckend konsequent. Autsch! | |
| 1 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Balkenborg | |
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