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# taz.de -- Rätsel um Putschversuch in Bolivien: Was war das denn?
> Versuchter Putsch? Aufstand? Theater? Die Ereignisse in Bolivien, die mit
> der Festnahme des Oberkommandanten enden, werfen Fragen auf.
Bild: Gescheitert: Boliviens General Juan José Zúñiga nach seiner Festnahme …
Bogotá taz | General Juan José Zúñiga galt als jemand, der Boliviens
[1][Präsidenten Luis Arce] nahe steht. Schließlich hatte der ihn zum
Kommandanten der Streitkräfte ernannt. Am Mittwoch wurde der General als
mutmaßlicher Anführer eines versuchten Militärputsches festgenommen. Wie
das zusammenpasst und was nun wirklich passiert ist an diesem Mittwoch,
darüber herrscht noch Rätselraten.
Schon den Vormittag über hatten sich Einheiten in Boliviens Regierungssitz
La Paz zusammengezogen, hieß es später. Gegen 14 Uhr Ortszeit meldet
Präsident Luis Arce auf Twitter „irreguläre Bewegungen einiger
bolivianischer Militäreinheiten“. Gegen 15 Uhr sind sie dann im politischen
Herzen von La Paz, der Plaza Murillo. Es ist völlig unklar, was die
Militärs wollen. Klar ist, dass General Zúñiga sie anführt.
Seine erste Erklärung ist dürftig. Die Mobilisierung „aller
Militäreinheiten“ (später zeigt sich, es ist nur ein Bruchteil) solle seine
Unzufriedenheit zeigen mit der Situation im Land. „Noch“ gehorche er dem
Präsidenten. Doch er werde das Kabinett umbauen, sagt er auf der Plaza
Murillo.
Kurz vor vier rammt ein gepanzerter Wagen das Metalltor des
Regierungspalasts. Immer wieder. Bis es nachgibt.
## Den falschen Regierungssitz geknackt
Der Regierungspalast trägt einen weiteren Namen: Verbrannter Palast – weil
er tatsächlich in den vielen Putschs in Bolivien verbrannt wurde. Anders
als der Name vermuten lässt, ist er nicht mehr Regierungssitz. Präsident
Evo Morales ließ in zweiter Reihe ein verspiegeltes Hochhaus bauen, das die
historischen Gebäude der Plaza Murillo um ein Vielfaches überragt. In
dieses „Große Haus des Volkes“ zog seine Regierung um und dort regiert auch
die aktuelle. Nur Übergangspräsidentin Jeanine Añez nutzte den
Regierungspalast noch einmal. Heutzutage steht davor die historische Garde
und lässt sich von Tourist:innen fotografieren, ab und an dient er zu
repräsentativen Zwecken – aber sonst ist er praktisch leer.
Warum der General es erst mit dem gepanzerten Wagen aufbrechen lässt, dann
mit etwa 40 Soldaten einmarschiert und kurz darauf wieder herauskommt, ist
ein Rätsel. Wegen des Symbolcharakters? Arce ist dort jedenfalls nur für
Staatsakte. Wenn Zúñiga ihn stürzen wollte, war er an der falschen Adresse
mit seinem Panzerwagen.
Dann wartet der General auf dem Platz – vermutlich auf den Präsidenten. Der
Livestream aus der Nachbarstadt El Alto zeigt eine endlose Reihe von
Panzern, die auf einer mehrspurigen Straße im Stau stecken – wohl auf dem
Weg nach La Paz als Verstärkung. Auch aus Oruro nähern sich Panzer auf der
Autobahn. Während internationale Solidaritätsbekundungen eintrudeln, von
der Organisation Amerikanischer Staaten, der EU, den Präsidenten aus der
Region, der Ombudsstelle des Volks.
Schwenk zu Präsident Luis Arce. Vor einer Glasfront im Großen Haus des
Volks spricht er zur Nation. Zweireihig umringt von all seinen
Minister:innen und dem Vizepräsidenten. Das Personal hat da längst den
Regierungssitz verlassen. „Wir rufen das bolivianische Volk auf, sich zu
mobilisieren und Ruhe zu bewahren. Zusammen werden wir jeden versuchten
Staatsstreich besiegen“, sagt Arce.
## Steckt die Ultrarechte hinter dem Putschversuch?
Schnitt auf den Platz. Der General spricht zu den Medien und sagt zum
ersten Mal konkreter, was er will: „Die wahre Demokratie wiederherstellen“
und die „sofortige Befreiung aller politischen Gefangenen“. Konkret nennt
er: die ehemalige Übergangspräsidentin [2][Jeanine Añez] und den ehemaligen
Gouverneur von Santa Cruz [3][Luis Fernando Camacho] – beide ultrarechte,
bibelschwingende Schlüsselfiguren in den blutigen Monaten um den Rücktritt
von Evo Morales 2019. Steckt hinter Zúñiga also die Ultrarechte und die
Agrarlobby aus Santa Cruz?
Doch weder Áñez noch Camacho wollen sich offensichtlich von Zúñiga befreien
lassen. Beide twittern aus dem Gefängnis (anscheinend hat man ihnen das
Handy gelassen), dass sie die Geschehnisse auf der Plaza verurteilen und
die Demokratie verteidigen.
Dann kommt das nächste Bild für die Geschichtsbücher: Präsident Arce taucht
dann doch im Tor des Regierungspalasts auf, steht Zúñiga gegenüber, ganz
nah, um sie herum Militärs und Journalisten, es ist eng. Es ist kein Wort
zu verstehen, im Fernsehen heißt es, Arce solle Zúñiga aufgefordert haben,
zu verschwinden mitsamt der Militärs. Stunden später veröffentlicht die
Zeitung [4][El Deber] den angeblichen Wortlaut. Ein Geplänkel.
Die beiden trennen sich. Es ziehen noch mehr Bilder über die
Liveübertragung, die Fragen aufwerfen. Der Platz in der Altstadt ist
einfach abzuriegeln. Auf ihm sind gepanzerte Fahrzeuge, Soldaten,
Militärpolizei, mit Tränengaswerfern und Schusswaffen. Trotzdem stehen da
auf einmal auf dem Platz Arce-Anhänger:innen, die „Lucho, du bist nicht
allein“ skandieren. Die meisten wohl von der wichtigsten Gewerkschaft COB.
## Manche bekommen vom Putsch nichts mit und essen Eis
Es ist ein bizarrer Nachmittag. Im Fernsehen läuft möglicher Militärputsch.
Bolivien wird zur Weltnachricht. Und ist gespalten. In das Drama auf dem
Platz in La Paz, Menschen, die heulend vor dem Fernseher sitzen in Panik
und kaum sprechen können. Die irgendwann loslaufen und panisch Lebensmittel
einkaufen, Schlange stehen zum Geld abheben, tanken. Und andere, die vom
Putschversuch im Stadtzentrum nichts mitbekommen und im Park in der Sonne
Eis schlecken, wie Einheimische der taz am Telefon berichten.
Währenddessen ernennt Arce im Großen Haus des Volkes im Schnelldurchlauf
drei neue Männer auf drei militärische Spitzenämter – darunter
Zúñiga-Nachfolger José Wilson Sánchez. Der befiehlt den Militärs, sich
zurückzuziehen. Nicht ohne zuvor zu sagen: „General Zúñiga war ein guter
Kommandant und wir bitten ihn, nicht das Blut unserer Soldaten zu
vergießen.“
Die Soldaten steigen tatsächlich umgehend in ihre Panzer und Busse und
verlassen den Platz in Richtung Hauptquartier im Stadtteil Miraflores.
Wohin Zúñiga verschwindet, bleibt zunächst ein Rätsel.
Die Fernsehkommentatoren wechseln vom Begriff „Putsch“ zu „Aufstand“ und
schließlich „Wutausbruch“.
## Putsch-Show, um Arce als starken Mann zu präsentieren?
Stunden später wird der General gefasst. Er hat sich nicht etwa per
Hubschrauber ins Nachbarland Peru abgesetzt, wie man es von einem gesuchten
Aufständischen vermuten würde. Nein, er ist, wie es sich für einen General
gehört, im Hauptquartier.
Am Sonntag habe er sich mit dem Präsidenten getroffen, erklärt er bei
seiner Festnahme den Medien, die live dabei sind. „Der Präsident sagte mir,
dass die Situation beschissen (muy jodida) sei, dass diese Woche kritisch
werde und es notwendig sei, etwas vorzubereiten, um seine Beliebtheit zu
steigern.“ Also eine Putsch-Show, um Arce die Möglichkeit zu geben, sich
als durchsetzungsfähiger Verteidiger der Demokratie zu inszenieren? Beweise
dafür liefert Zúñiga nicht.
Zu später Abendstunde sagt Regierungsminister Eduardo del Castillo, dass
neben Zúñiga noch Vizeadmiral Juan Arnez hinter dem Putschversuch gesteckt
habe. Ihnen drohen Anklagen wegen Terrorismus und bewaffnetem Aufstand.
Laut dem Regierungsminister wurden neun Menschen von Schusswaffen verletzt.
Wer steckt dahinter? War es alles eine Inszenierung der Rechten, die
Präsident Arce als unfähig darstellen will? Von Arce selbst, der sich als
starker Mann präsentieren will? Soll der Mittwoch die zersplitterte Partei
MAS einen? Schließlich war Arces innerparteilicher Erzfeind Evo Morales
einer der ersten, der den „Putsch“ verurteilte.
Oder – auch nicht neu in der bolivianischen Geschichte – ist einfach einem
Militär die Macht zu Kopf gestiegen? Vermutlich werden das erst die
kommenden Tage zeigen.
27 Jun 2024
## LINKS
[1] /Boliviens-neuer-Praesident/!5720409
[2] /Ex-Uebergangspraesidentin-von-Bolivien/!5860367
[3] /Ausschreitungen-in-Bolivien/!5905868
[4] https://eldeber.com.bo/pais/asi-fue-la-discusion-entre-el-presidente-arce-y…
## AUTOREN
Katharina Wojczenko
## TAGS
Bolivien
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