# taz.de -- Inflation und Gierflation: Und der Staat unternimmt nichts | |
> Ja, die Regierung kann nichts tun gegen die Ursachen teuren Olivenöls. | |
> Aber sie hätte die Mittel, die Inflation ingesamt besser zu bekämpfen. | |
Bild: Die Stimmung im Land ist schlecht: Alles bleibt teuer | |
Jetzt ist es amtlich: Im Juni war die Inflation mit 2,2 Prozent wieder auf | |
dem Niveau, das die Ökonom:innen der EZB für wünschenswert halten. Das | |
Statistische Bundesamt hat nun die vorläufigen Zahlen bestätigt. Die | |
sogenannte Kerninflation – dabei werden die Kosten für Lebensmittel und | |
Energie herausgerechnet – liegt nach Angaben der Statistiker aktuell bei | |
2,9 Prozent, damit steht sie erstmals seit Februar 2022 unter 3 Prozent. | |
Die Zeit der galoppierenden Inflation scheint vorbei zu sein. Das ist schon | |
deshalb wichtig, weil Geldentwertung in Deutschland stets mit der | |
Hyperinflation der Weimarer Republik assoziiert wird. Dieses Szenario | |
immerhin ist gebannt. Ist jetzt also alles wieder gut? Nein. | |
Die Stimmung im Land ist schlecht. Das hat auch mit den erheblichen | |
Preissteigerungen in der Vergangenheit zu tun. [1][Gerade Lebensmittel] und | |
Energie sind erheblich teurer geworden. Jetzt sind die Preise dafür stabil | |
– das dämpft die Inflation. Aber das Preisniveau bleibt hoch, selbst wenn | |
die Kosten für einzelne Produkte zwischenzeitlich etwas zurückgegangen | |
sind. Die Geldentwertung erscheint vielen nahezu täglich vor Augen, wenn | |
sie an der Supermarktkasse bezahlen. Denn für das gleiche Geld gibt es | |
deutlich weniger Waren. | |
## Es trifft die Ärmeren | |
Dabei hat ein Teil der Bürger:innen heute durchaus mehr Geld zur | |
Verfügung, als die Inflation verschlungen hat. Das arbeitgebernahe Institut | |
der Deutschen Wirtschaft (IW) hat ausgerechnet, dass die Preissteigerungen | |
in den vergangenen fünf Jahren bei 20 Prozent lagen, der Anstieg der | |
Nettolöhne aber bei 24 Prozent. Allerdings: Ausgerechnet bei denen am | |
unteren Ende der Lohnskala ist nicht genug hinzugekommen. Der Mindestlohn | |
liegt bei 12,41 Euro pro Stunde und steigt 2025 auf 12,82 Euro. | |
Nach Berechnungen des DGB müsste er jetzt mindestens 14 Euro betragen, um | |
die Inflation auszugleichen. Menschen mit geringen Einkommen treffen | |
Preissteigerungen besonders hart, weil sie einen größeren Teil ihres Geldes | |
für den Grundbedarf wie Nahrung und Wohnkosten ausgeben müssen. [2][Die | |
Mindestlohnkommission ist offensichtlich nicht dazu in der Lage, für einen | |
angemessenen Inflationsausgleich zu sorgen] – und die Bundesregierung lässt | |
sie gewähren. | |
Die von Bundeskanzler Olaf Scholz in Aussicht gestellte Erhöhung für das | |
übernächste Jahr ist bislang nicht mehr als ein leeres Versprechen. Für | |
Bürger:innen mit wenig Geld, deren Konto permanent im Minus ist oder die | |
gerade so über die Runden kommen, ist jede Preiserhöhung ein Schlag. Flacht | |
die Inflation ab, wird die Misere nicht größer, aber auch nicht kleiner. | |
Und auch Leute mit einem mittleren oder hohen Einkommen ärgern sich über | |
Preissteigerungen, einfach, weil sie sich abgezockt fühlen. Sie ärgern sich | |
zurecht darüber, dass der Staat nichts gegen die „Gierflation“ unternimmt: | |
überzogene Preissteigerungen, mit denen Unternehmen die Inflation als | |
Vorwand nutzen, um ihre Gewinne zu steigern. | |
Selbst EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat die Gierflation als Problem | |
ausgemacht – weil die EZB gegen diesen Preistreiber nichts ausrichten kann. | |
Die Bundesregierung könnte das aber mit einer Übergewinnsteuer, die auch | |
vorbeugenden Charakter hätte. Eine solche Gewinnabschöpfung mag unterm | |
Strich finanziell nicht viel bringen, politisch aber schon: Sie würde von | |
vielen Bürger:innen als gerecht empfunden. | |
Die Bundesregierung kann nichts daran ändern, wenn eine schlechte Ernte im | |
Mittelmeerraum dafür sorgt, dass die Olivenölpreise um 47 Prozent steigen. | |
Aber das heißt nicht, dass sie der Preisentwicklung ansonsten tatenlos | |
zuschauen muss. Mit einer klugen Steuerpolitik könnte der Staat dafür | |
sorgen, dass gute und gesunde Lebensmittel dauerhaft preiswert sind. Die | |
Regierenden müssen das nur wollen. | |
In der Energiepreiskrise hat die Bundesregierung mit den Preisbremsen für | |
Strom und Wärme gezeigt, wie sie explodierende Kosten für Bürger:innen | |
dämpfen kann. Solche Instrumente müssen für Menschen mit geringem Einkommen | |
grundsätzlich eingesetzt werden. Wer wenig Geld hat, befindet sich in einer | |
Dauerkrise. | |
Ein Megaproblem, das bis weit in die Mitte der Gesellschaft reicht, sind | |
die hohen Mieten. Sie steigen nicht nur in Ballungsräumen und sind ein | |
großer Treiber der Inflation. Die Bundesregierung unternimmt dagegen zu | |
wenig. Ihre Mietpreisbremse ist quasi wirkungslos, von den versprochenen | |
neuen Wohnungen wird nur ein Teil fertig. Ohne Eingriffe, wie es | |
Preisfestsetzungen in Form eines Mietendeckels wären, ist dieses | |
Megaproblem nicht in den Griff zu bekommen. | |
11 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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