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# taz.de -- Festakt zum Nato-Geburtstag: Hauptsache, der Afghane ist schuld
> Über ihre eigenen Fehler will die Nato auch im hohen Alter kaum sprechen.
> Ein Verhalten, das bei Afghanistan längst auf andere Debatten abfärbt.
Bild: Sie gingen, ohne für die Sicherheit der Menschen zu sorgen: Abflug eines…
Während die Nato ihren 75. Geburtstag feiert, verdrängt sie weiterhin ihr
Versagen am Hindukusch. Dort jährt sich der katastrophale Abzug des
Militärbündnisses sowie die Rückkehr der militanten Taliban demnächst zum
dritten Mal. Wir erinnern uns: Im [1][August 2021 zog die Nato unter der
Führung der USA mit Ach und Krach aus Afghanistan] ab.
Tausende von Menschen hofften daraufhin auf eine Evakuierung am Kabuler
Flughafen, während die neuen, alten Machthaber triumphierend durch die
Straßen zogen. Der afghanische „Saigon-Moment“ gilt als historische
Niederlage der Nato. Viele Beobachter sind sogar der Meinung, dass er erst
die russische Invasion der Ukraine ermöglichte, denn Putin fühlte sich umso
motivierter, als er die schwindende Macht des Westens sah.
Doch [2][während viel über die Ukraine gesprochen wird], scheint
Afghanistan vergessen worden zu sein. Seit dem Abzug und dem damit
verbundenen Scheitern westlicher Politik in der Region sollte es nicht nur
innerhalb der Nato viel Raum für Selbstkritik und Verantwortungsgefühl
geben.
Alle Staaten, die sich am Krieg beteiligten, müssen sich die Frage stellen,
wofür zwanzig Jahre lang Hunderttausende Menschenleben geopfert und
Ressourcen in Trillionenhöhe verschwendet wurden. Dies betrifft natürlich
auch Deutschland, das sich an Kampfhandlungen aktiv beteiligte, Zivilisten
bombardieren ließ und mit korrupten Politikern und Kriegsverbrechern
zusammenarbeitete.
Doch von Selbstreflexion fehlt weiterhin jede Spur. Die Enquete-Kommission
zum Afghanistan-Einsatz behandelt westliche Vergehen nur am Rande. Ein
Großteil ihres zuletzt erschienenen Zwischenberichts lädt die Schuld auf
afghanische Schultern. Zu den verantwortlichen „Experten“ gehören teils
Personen, die keinerlei Expertise zu Land und Region vorweisen können.
## Ein Hass, der die Politik erreicht hat
Währenddessen hat sich das Bundesaufnahmeprogramm des Auswärtigen Amtes
für gefährdete Afghanen und Afghaninnen als großer Reinfall entpuppt. Die
zahlreichen Hürden deutscher Bürokratie treffen hier auf die knallharten
Realitäten vor Ort.
Viele Menschen, die es im August 2021 eben nicht rausschafften, harren
weiterhin aus. Hinzu kommt, dass das Programm regelmäßig von
rechtspolitischen Akteuren im Kontext hiesiger Migrationsdebatten
torpediert wird.
„Auch in den Ämtern sitzen Menschen, die denken: Jeder Mann mit Bart und
jede Frau mit Kopftuch wäre einer beziehungsweise eine zu viel“, meinte vor
einigen Monaten ein befreundeter deutscher Journalist. Er und ich warten
weiterhin auf unsere Kollegen, die sich den Taliban-Repressalien tagtäglich
stellen müssen.
## Düstere Aussichten
Ein Blick in die Zukunft könnte pessimistischer nicht sein. Zuletzt wurde
bekannt, dass die Deutsche [3][Gesellschaft für internationale
Zusammenarbeit (GIZ)] sich aus Afghanistan zurückzieht und fragwürdige
Sicherheitsverfahren das Aufnahmeprogramm zusätzlich erschweren.
[4][Außerdem spielen immer mehr Politiker], einschließlich des
Bundeskanzlers, mit dem Gedanken, Geflüchtete ins Taliban-Emirat
abzuschieben.
Ein Schritt, von dem vor allem die extremistischen Machthaber profitieren
würden. Und ja, es geht in diesen Debatten meist um Straftäter. Doch zur
unbequemen Wahrheit gehört auch, dass „wir“, das aufgeklärte und ach so
tolle Europa, Todesstrafe und Folter abgeschafft haben. Eine
Errungenschaft, die eigentlich auch für nicht deutsche Mörder und
Vergewaltiger gelten sollte.
Hinzu kommt, dass wahrscheinlich auch zahlreiche unbehelligte Menschen aus
Afghanistan abgeschoben würden, sobald die Büchse der Pandora geöffnet ist.
Nichts anderes geschah noch vor wenigen Jahren – vor der Rückkehr der
Taliban. [5][Stichwort „Seehofers 69“.]
Doch all diese Dinge scheinen keine Rolle mehr zu spielen. Nicht nur in
Deutschland scheint man sich einig zu sein, dass an allen möglichen Miseren
Afghaninnen und Afghanen Schuld sind. Umso weniger überraschend ist der
Anstieg von anti-afghanischem Rassismus. „Afghanen? Woll ma koane!“, schrie
eine Immobilienmaklerin aus Tirol jüngst meinen Freund durchs Telefon an.
Wohnungen für Menschen aus Afghanistan stünden nicht zur Verfügung.
Ein Hass, der längst die Politik erreicht hat, wie die Äußerungen des
CDU-Abgeordneten Detlef Gürth aus Sachsen-Anhalt verdeutlichen. Er
bezeichnete alle Menschen afghanischer Herkunft zuletzt als „Pack“.
11 Jul 2024
## LINKS
[1] /Abzug-aus-Afghanistan/!5789435
[2] /Bulgarien-streitet-ueber-die-Nato/!6022919
[3] /GIZ-in-Afghanistan/!6021593
[4] /Regierung-verharmlost-Afghanistan-Lage/!5785151
[5] /Abschiebeminister-Seehofer-wird-75/!6021611
## AUTOREN
Emran Feroz
## TAGS
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