Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Alkoholkonsum von Fußball-Fans: Keiner soll mehr rein
> Fußball und Saufen gehören zusammen – muss glauben, wer der bierseligen
> EM-Berichterstattung folgt. Ein Podcaster und ein Fanclub sehen das
> anders.
Bild: In bester Fußballstimmung: englische EM-Touristen in Düsseldorf
Fußball ohne Alkohol. Bitte, was? So dürften viele Fußballfans auf einen
Satz reagieren, der für sie so widersprüchlich klingt, weil sie an
Wochenenden gerne in Fußballstadien oder Kneipen ein, zwei, drei oder mehr
Bier trinken.
Der Podcaster Hagen Decker findet, dass jener Eindruck, es gäbe Fußball nur
mit Alkohol, auch in der aktuellen Berichterstattung zur
Fußballeuropameisterschaft der Männer in den öffentlich-rechtlichen Sendern
ARD und ZDF vermittelt werde. Er hostet das ARD-Format „Sucht & Süchtig“,
das laut Selbstbeschreibung ein „Podcast für Süchtige, die Abstinenz leben,
Abhängige, die clean werden wollen, und natürlich auch für alle anderen“
ist.
„Läuft das gerade richtig?“, fragt Decker in einem [1][Instagram-Post] Ende
Juni. Es sei „extrem auffällig“, dass bei Schalten ins Stadion oder zu Fans
immer wieder gefragt werde: „Was ist mit dem Bier? Wie viel Bier wurde noch
getrunken?“ Alkohol sei immer wieder „ein Riesenthema, und zwar nicht
irgendwie kritisch in Kontext gesetzt, sondern als wäre das eine lustige
Brause wie Apfelsaft, die einfach zum Fußball dazugehört“.
Dabei würden weltweit jährlich [2][2,6 Millionen Menschen] an den Folgen
des Alkoholmissbrauchs sterben. In Deutschland hätten [3][9 Millionen
Menschen] ein problematisches Verhältnis zu Alkohol. „Die unfassbare
Verharmlosung im Moment in der Berichterstattung macht mich sehr wütend“,
so Decker. Sein Statement beendet er mit einem Appell an Journalist:innen,
das zu ändern.
## Bier als ZDF-Hauptthema
Seinem Post hat er eine Stadionschalte des ZDF vorangestellt. „Haben denn
die Schotten den Engländern ein paar Kölsch übriggelassen?“, fragt die
Moderatorin Katrin-Müller Hohenstein die Reporterin Lena Kesting. „Zu der
Bierfrage: Ich habe so langsam das Gefühl, das ist das Hauptthema, wenn ich
bei euch da auf der Wand liege, dass ich über Bier rede“, sagt Kesting.
Tatsächlich geht es bei EM-Sendungen im ZDF oder in der ARD immer wieder um
Alkohol. In der [4][ZDF-Doku] „EM Partyzone Deutschland. So feiern
Fußball-Fans!“ sagt der Sprecher: „Zum Fußball gehört für viele ja auch…
ein Bierchen. Wobei es auch bei dieser EM nicht immer und bei jedem nur bei
einem Bierchen bleibt, wie unter anderem in Düsseldorf zu beobachten ist.“
Ein albanischer Fan bestätigt: „Zum Fußball gehört immer Bier dazu.“ Und
ein spanischer Fan ergänzt: „The best combination always: beer and
football.“ Die Aussagen werden so stehen gelassen, die Gefahren von
Alkoholkonsum wie Missbrauch oder Sucht kommen nicht zur Sprache. Über ein
Düsseldorfer Wirtshaus heißt es am Ende des Film-Abschnitts: „Die gute
Nachricht für alle Durstigen: Das Bierdepot wird jetzt ordentlich
aufgestockt.“
Auch in der [5][ARD-Dokuserie] „Völlig losgelöst – der EM-Roadtrip“ geh…
ähnlich zu: Eine Reporterin begleitet zwei dänische Frauen, die viel feiern
und trinken, sie trinkt sogar mit ihnen. „Und seid ihr immer noch
betrunken?“, fragt sie die beiden dann am nächsten Morgen amüsiert auf dem
Zeltplatz. Beim „EM-Kneipenquiz“ der ARD-„Sportschau“ sitzen die Gäste…
Tresen vor ihrem Bier, das sie beim Beantworten der Fragen vor den Kameras
trinken.
## Nur eine „launige Frage“
Auf Nachfrage der taz, inwiefern das ZDF die Kritik des Podcasters Hagen
Decker teile, antwortete ein Sprecher, dass es sich bei der Stadionschalte
um eine „launige Frage“ der Moderatorin gehandelt habe. Sie habe sich dabei
auf die „Partystimmung unter den englischen Fußballfans in Köln“ bezogen,
„wo sechs Tage zuvor die schottischen Fans zur Freude der dortigen
Gastronomie schon Party gefeiert hatten“. Weiter wollte sich das ZDF trotz
Nachfragen nicht zum Thema äußern.
„Grundidee des EM-Kneipenquiz ist es, den Abend nach dem Spiel unterhaltsam
ausklingen zu lassen – in einer echten Kneipe im Ruhrgebiet mit echten
Fans“, antwortete wiederum ein Sprecher des WDR, der bei der ARD
Federführer für die EM-Berichterstattung ist, auf Anfrage der taz. „Die
Gäste haben freie Getränkewahl. Einige wählen ein Bier, einige auch ein
alkoholfreies und wieder andere eben Wasser, Cola oder anderes.“ In der
Berichterstattung zur EM wolle der Sender die Stimmung transportieren.
„Es ist unstrittig, dass der Alkoholkonsum dabei für viele Fans eine Rolle
spielt.“ Die Redaktionen seien aber für mögliche Probleme von Alkoholkonsum
„sensibilisiert“, weshalb das Thema in der Berichterstattung vorkomme, so
der WDR-Sprecher. Dazu verlinkte er auf zwei Beiträge der ARD, eine trägt
den Titel „Alkoholfrei durch die EM: Geht das?“.
Michael Krause ist Fan des FC St. Pauli und Sprecher der „Weiß-braunen
Kaffeetrinker*innen“ – einem alkohol- und drogenfreien Fußball-Fanclub.
Mitglied sind hier aber nicht nur Fans mit Suchterfahrung. Der Fanclub hat
ein Suchtpräventionskonzept mit dem Verein erarbeitet, erzählt Krause im
Gespräch mit der taz. Bekanntheit hat der Fanclub dadurch erlangt, weil er
sich dafür engagiert hat, dass 2022 ein alkoholfreier Getränkestand im
Stadion am Millerntor eröffnet wurde. Das „Trockendock“ ist bisher
einzigartig in Deutschland. In der kommenden Saison soll der zweite Stand
öffnen, so Krause.
## Der Stadionbesuch nach dem Entzug
Er selbst ist seit 17 Jahren trocken. Nach der Entgiftung und
Langzeittherapie habe er es geschafft, wieder alleine ins Stadion zu gehen.
„Aber viele andere schaffen das nicht.“ Deshalb begleitet sein Fanclub
Menschen nach Entzugstherapien bei Stadionbesuchen. Falls jemand dem
Suchtdruck nicht standhalten kann, gehen alle gemeinsam wieder raus.
Wenn Krause über den Zusammenhang von Fußball und Alkohol spricht, benutzt
er das Wort „Symbiose“. Die werde allein durch die Werbung deutlich, das
Thema Suchtgefahr spiele keine Rolle. „Das war für mich schon immer so, so
erlebe ich Fußball seit Jahr und Tag“, sagt Krause. Und: Man dürfe nicht
vergessen, dass Vereine und Verbände mit der Werbung für Alkohol Geld
verdienten.
„Menschen sollen verstehen, dass Emotionen wie Freude, aber auch Trauer und
Frustration nicht zwangsläufig mit Alkohol verbunden sein müssen. Dass man
im Stadion auch ein tolles Lebensgefühl haben kann, wenn man nicht
konsumiert“, erklärt Krause ein Ziel des Engagements seines Fanclubs.
Fußballfans, die selbst eine Suchtbiografie haben oder einfach keinen
Alkohol trinken wollen, rät er, nach Gleichgesinnten Ausschau zu halten:
„Das Gefühl, zusammen nüchtern Fußball zu schauen, stärkt unheimlich.“
Und die „Symbiose“ zwischen Fußball und Alkohol, lässt die sich nicht auch
grundsätzlich aufkündigen? Veränderung gehe nicht von heute auf morgen. Und
Alkoholkonsum sei gesellschaftlicher Konsens, sagt Krause. „Aber in den
letzten fünf Jahren hat sich auch viel verändert.“
10 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/p/C8pq1qFsoBy/?utm_source=ig_embed&utm_campai…
[2] https://www.tagesschau.de/wissen/who-alkoholkonsum-100.html
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/a/alko…
[4] https://www.zdf.de/sport/fussball-em/fussball-em-2024-fans-in-deutschland-1…
[5] https://www.ardmediathek.de/video/voellig-losgeloest-der-em-roadtrip/rastlo…
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Alkoholmissbrauch
Öffentlich-Rechtliche
Bier
GNS
Fußball
Kolumne Midlife Monologe
FC St. Pauli
Alkohol
Public Viewing
Hamburg
Fußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
Übergriffe durch Hertha-BSC-Fans im Zug: Fan fatal
Die Sängerin Mine berichtet von Sexismus und Rassismus durch Fußballfans
des Hertha BSC. Der Verein distanziert sich, aber das reicht noch nicht.
Toxische Männlichkeit: Eppi Aua im Speisewagen
Unsere Autorin saß mit betrunkenen, pöbelnden Männern im Zug. Alle
Reisenden duckten sich weg und überließen kampflos das Revier.
Alkohol und Fußball: Emotionen ohne Rausch
Die „Weiß-Braunen Kaffeetrinker*innen“ vom FC St. Pauli sind ein Fanclub �…
und eine Selbsthilfegruppe. Die Mitglieder helfen sich, trocken zu bleiben.
Saufen ist teuer: Kein Wein ist auch keine Lösung
Alkoholmissbrauch verursacht hohe finanzielle Kosten. Eine Gesellschaft,
die das ändern will, muss mit der Aufklärung bei den Jüngsten beginnen.
Queer Public Viewing: Peace, Love, Erdnussflips & Schland
Im Poststadion lädt das „Pride House“ während der EM zum queeren Public
Viewing ein. Das läuft weitaus harmonischer ab als auf der Fanmeile.
Polizei am Hauptbahnhof: Hamburg räumt für die EM auf
Sozialarbeiter*innen beobachten, dass Obdachlose mit Platzverweisen
verdrängt werden. Jetzt will die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagen.
Zukunft des Fußballs: Vorwärts zu den Wurzeln
Wer wissen will, welche Wege der Profifußball einschlagen kann, muss nach
England schauen. Unser Autor war in der Premier League unterwegs.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.