# taz.de -- Polizei am Hauptbahnhof: Hamburg räumt für die EM auf | |
> Sozialarbeiter*innen beobachten, dass Obdachlose mit Platzverweisen | |
> verdrängt werden. Jetzt will die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagen. | |
Bild: Schlafende Menschen rund um den Hamburger Hauptbahnhof sind zwar nicht ge… | |
Hamburg taz | Hamburg ist Gastgeber bei der am Freitag startenden | |
[1][Fußballeuropameisterschaft]. Fünf Spiele werden im Volksparkstadion | |
ausgetragen und man will es in der Stadt sauber und ordentlich haben, wenn | |
die Fans anreisen. Das Straßenmagazin [2][Hinz & Kunzt befürchtet], dass | |
obdach- und wohnungslose Menschen für ein „aufgeräumtes“ Stadtbild aus dem | |
öffentlichen Raum weiter verdrängt werden. | |
Am Dienstag hat die Hamburger Polizei mit Spürhunden und Drohnen das | |
Stadion durchsucht. Gefährliches haben sie nicht gefunden und darum haben | |
sie das Stadion anschließend an die Organisatoren der EM übergeben, die | |
bei dem Turnier für die Sicherheit verantwortlich sind. Die Polizei | |
hingegen wird während der EM rund ums Stadion, in der Fanzone und in der | |
Innenstadt im Einsatz sein. | |
In der Innenstadt hätten einige Straßensozialarbeiter*innen bereits in | |
den vergangenen Wochen beobachtet, dass die Zahl der Platzverweise stark | |
zugenommen habe, erklärt Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jörn Sturm. Dagegen | |
will die [3][Gesellschaft für Freiheitsrechte] (GFF), ein Verein, der sich | |
mit strategischer Prozessführung für die Stärkung der Grund- und | |
Menschenrechte in Deutschland und Europa einsetzt, nun juristisch vorgehen. | |
Denn: Dass alle Menschen öffentliche Räume frei nutzen dürfen, ist im | |
[4][Hamburgischen Wegegesetz] geregelt. Jeder Mensch hat demnach das Recht, | |
sich an öffentlichen Orten aufzuhalten – das gilt auch für obdach- und | |
wohnungslose Menschen. Platzverweise darf die Polizei nur dann aussprechen, | |
wenn eine Gefahr für die öffentliche Ordnung besteht. | |
Eine solche Gefahr läge bei einem Verstoß gegen die Rechtsordnung vor, | |
erklärt GFF-Juristin Mareile Dedekind. Dazu zähle beispielsweise der | |
Konsum von Alkohol in der erst im April eingerichteten Alkoholverbotszone | |
am Hamburger Hauptbahnhof. „Der bloße Aufenthalt obdachloser Personen am | |
Hauptbahnhof rechtfertigt also keinen Platzverweis“, erklärt sie. | |
Es sei aber gängige Praxis der Polizei, obdach- und wohnungslose Menschen | |
aus dem öffentlichen Raum zu verweisen, obwohl keine entsprechende Gefahr | |
vorläge. Das berichten auch Betroffene immer wieder – sie fühlten sich | |
dadurch gezielt kriminalisiert und stigmatisiert. | |
## Verdrängung nimmt vor Großereignissen zu | |
Insbesondere in Zeiten von Großereignissen – wie eben der anstehenden | |
Europameisterschaft – könne man beobachten, dass die Stadt aufgehübscht | |
werden solle und die Verdrängung zunehme, sagt Jörn Sturm. „Das hat man in | |
den letzten Jahren schon öfter gesehen.“ | |
Die Konflikte in der Hamburger Innenstadt rund um den Hauptbahnhof haben | |
sich den vergangenen Jahren verschärft. Anfang 2023 titelte der NDR dann | |
unter Verweis auf Zahlen aus dem Vor-Coronajahr 2019: „Hamburger | |
Hauptbahnhof ist Deutschlands gefährlichster Bahnhof“. Der rot-grüne Senat | |
reagierte mit verstärktem Polizeiaufgebot. | |
Im Sommer 2023 gründeten die Hamburger Polizei, die Bundespolizei, die | |
DB-Sicherheit und die Hochbahnwache dann die [5][„Allianz sicherer | |
Hauptbahnhof“, die am Bahnhof patrouilliert]. Dazu kamen zahlreiche weitere | |
Maßnahmen wie ein Alkoholverbot, verstärkte Videoüberwachung, die | |
[6][„Sozialraumläufer“, die sich nicht als Sozialarbeiter*innen, sondern | |
als Sicherheitsleute entpuppten], und das kürzlich beschlossene | |
Bettelverbot. | |
## „Weckdienst“ für wohnungslose Menschen | |
[7][Bereits seit 2017 existiert der sogenannte „Weckdienst“] in der | |
Hamburger Innenstadt, der in den frühen Morgenstunden obdachlose Menschen | |
weckt und wegschickt, die in Geschäftseingängen schlafen. Betroffene | |
berichten, dass dieser Weckdienst zurzeit wieder aktiver sei, erklärt | |
Straßensozialarbeiter Julien Peters von der Caritas der taz. Nachdem die | |
Polizei in den vergangenen anderthalb Jahren vor allem rund um den | |
Hauptbahnhof aktiv gewesen sei, berichten Betroffene momentan von einer | |
vermehrten Präsenz in der gesamten Innenstadt. | |
Das große Aufgebot von Polizei und Sicherheitspersonal schüchtere | |
Betroffene mittlerweile so sehr ein, dass sie öffentliche Plätze freiwillig | |
verließen oder gleich mieden, so Peters. Zudem erleichterten das | |
Bettelverbot, die Alkoholverbotszone und weitere ordnungspolitische | |
Maßnahmen das Erteilen von Platzverweisen. In der Statistik tauchen, so | |
Peters, viele Fälle gar nicht auf, weil sich die Betroffenen freiwillig und | |
im Zweifel unbemerkt zurückzögen, um keinen Ärger zu bekommen. | |
## Mindestens 2.000 Menschen in Hamburg obdachlos | |
Auf Hamburgs Straßen leben mindestens 2.000 Menschen, die obdachlos sind. | |
Die Dunkelziffer wird noch viel höher geschätzt. Fast 32.000 Menschen sind | |
im April 2024 in städtischen Unterkünften untergekommen – damit liegt | |
Hamburg über dem bundesweiten Durchschnitt. Steigende Mietpreise, | |
Wohnungsverknappung und zunehmende Wohnungslosigkeit verschärfen die | |
prekäre Lebenssituation von Menschen, die auf der Straße leben. | |
„Obdachlosigkeit ist keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, vielmehr | |
ist sie eine Gefahr für die von ihr betroffenen Menschen“, erklärt Mareile | |
Dedekind von der GFF. | |
Mithilfe strategischer Klagen möchte die Gesellschaft nun gegen die | |
rechtswidrigen Platzverweise vorgehen und auf die Verdrängung bedürftiger | |
Menschen aufmerksam machen. Als gemeinnütziger Verein hat sie es sich zur | |
Aufgabe gemacht, die Grund- und Menschenrechte mit juristischen Mitteln zu | |
verteidigen. | |
Die strategischen Klagen will sie nutzen, um das Recht aller Menschen auf | |
menschenwürdiges Wohnen voranzutreiben. Da die Polizei Platzverweise meist | |
nur mündlich ausspreche, sei es nicht leicht, die Umstände vor Gericht | |
anzufechten, sagt Dedekind. „Trotzdem wollen wir es versuchen, damit kein | |
rechtsfreier Raum entsteht.“ | |
## Innenbehörde: Nicht mehr Platzverweise erteilt | |
Laut Stellungnahme der Innenbehörde sei die Anzahl der Platzverweise und | |
Aufenthaltsverbote in den vergangenen drei Monaten allerdings nicht | |
gestiegen, sondern bewege sich auf einem konstanten Niveau. Gefahren für | |
die öffentliche Sicherheit würden aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer | |
Person ausgesprochen, nicht aber wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes | |
oder ihrer Wohnsituation. Daher begründet „der alleinige Umstand, dass ein | |
Mensch obdach- und wohnungslos ist, keine polizeiliche Maßnahme im Sinne | |
des Gefahrenabwehrrechts“, erklärt die Innenbehörde. | |
Auch gegen das kürzlich beschlossene Bettelverbot in Hamburger Bahnen und | |
Bahnhöfen möchte die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagen, weil die | |
rechtlichen Anhaltspunkte des Verbots nicht tragbar seien. „Betteln ist | |
grundrechtlich geschützt und ein Verbot kann nicht dadurch gerechtfertigt | |
werden, dass Fahrgästen die Konfrontation mit prekären Lebensverhältnissen | |
erspart werden soll.“ Auch die Hamburger Hochbahn sei als | |
privatwirtschaftliches Unternehmen, das in staatlichen Händen liegt, | |
verpflichtet, die Grundrechte zu beachten und daher das Betteln zu dulden. | |
## Bahn stockt Sicherheitspersonal auf | |
Die Bahn hat angekündigt, während der EM 40 weitere Reinigungskräfte durch | |
den Hamburger Hauptbahnhof zu schicken. Außerdem haben sie für die Zeit des | |
Fußballturniers 70 zusätzliche Sicherheitskräfte eingestellt. Das könnte | |
die Situation für die wohnungs- und obdachlosen Menschen verschärfen. „Zu | |
zeigen, dass man arm und bedürftig ist, ist noch lange kein Grund, Menschen | |
aus dem Stadtbild zu entfernen“, kritisiert “Hinz & Kunzt“-Geschäftsfüh… | |
Jörn Sturm. „Unsere Sorge ist groß, dass die extremste Form der Armut | |
während der EM unsichtbar gemacht werden soll.“ | |
11 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Rassismus-im-Fussball/!6011761 | |
[2] /Polizei-vertreibt-Bettler-aus-Innenstadt/!5921450 | |
[3] https://freiheitsrechte.org/ | |
[4] https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/jlr-WegeGHAV12IVZ/part/X | |
[5] /Sicherheit-am-Hamburger-Hauptbahnhof/!5945319 | |
[6] /Neue-Massnahme-am-Hamburger-Hauptbahnhof/!6003687 | |
[7] /Archiv-Suche/!5392712&s=hamburg+weckdienst&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Sarah Lasyan | |
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