| # taz.de -- Toxische Männlichkeit: Eppi Aua im Speisewagen | |
| > Unsere Autorin saß mit betrunkenen, pöbelnden Männern im Zug. Alle | |
| > Reisenden duckten sich weg und überließen kampflos das Revier. | |
| Bild: Tschechische Fußballfans auf dem Weg nach Warschau zum EM-Qualifikations… | |
| Vor ein paar Wochen will ich mich gerade in [1][die Menükarte des | |
| tschechischen Speisewagens] vertiefen, da rumpelt eine Horde Männer herein. | |
| Die vier wirken fossilienhaft: Gesichter ohne Mimik, Sidecuts, dicke | |
| Bäuche, die sich über zu enge Hosen wölben. Und sie strahlen Stress aus. | |
| Noch bevor sie sich neben meinen Tisch plumpsen lassen, suche ich mir einen | |
| Platz außerhalb ihrer Schusslinie. „Eppi Aua“ – „Is etz Eppi Aua?“, … | |
| es durch den Waggon, und ihr salvenartiges Gebell führt mich gedanklich an | |
| einen Ort, der so düster ist, dass man augenblicklich das Licht anknipsen | |
| möchte. | |
| Es mag an den jüngsten Wahlen liegen, aber mit biertrinkenden Männergruppen | |
| verbinde ich seitdem mehr denn je Brutalität, Stumpfheit, und ja, auch | |
| rechtes Gedankengut. Ich sehe Burschenschaftler vor meinem geistigen Auge, | |
| die auf Mädchenfang gehen, und Pils exende Füchse, die kurze Zeit später | |
| kotzend über dem Papst hängen. Ich lese, dass Hitlers Aufstieg in | |
| Bierkellern seinen Anfang nahm und ein Mann kürzlich seine Schwiegermutter | |
| mit einer Axt ermordet hat – weil kein Bier im Haus war. | |
| Im Feldwebelton bestellen die vier Männer eine Runde Bier nach der | |
| nächsten. Während sie saufen, rauscht die verwunschene Landschaft an ihnen | |
| vorbei. Villen, bewaldete Hügel, der sich schlängelnde Fluss. Nichts | |
| interessiert sie, außer, noch mehr von dem pissgelben Gebräu in sich | |
| hineinzupumpen. Der Kellner serviert Braten, mit leeren Augen schaufeln sie | |
| diesen weg. | |
| Ich denke an [2][die großen Besäufnisse bei den EMs und WMs] und daran, wie | |
| zu meiner Jugendzeit nach ein paar Tabletts Lüttje Lage aus harmlosen | |
| Bekannten nichtsnutzige Raufbolde wurden. Ich erinnere mich an eine | |
| Schlagzeile vom letzten [3][Oktoberfest], wonach drei von vier Kellnerinnen | |
| bei ihrer Arbeit sexuell belästigt worden sind, und frage mich, wie sehr | |
| mein eigenes Sicherheitsempfinden darunter gelitten hat, dass ich in einer | |
| Umgebung groß geworden bin, wo die Menge an Herrenhäuser Handgranaten | |
| darüber entschied, wer oben und wer unten ist. | |
| ## Keine*r schreitet ein | |
| Einer der Männer muss aufs Klo – schon wieder. Er schwankt bedrohlich nah | |
| an mir vorbei. Luft anhalten. Eine neue Runde, ein neues Rülpskonzert. | |
| Plötzlich geraten zwei aus der Gruppe in einen Streit. Laut, aggressiv, | |
| vokabelarm. „Du machst immer Mist, Junge“, bellt der Rundenälteste. | |
| „Halt die Fresse!“, schießt es zurück. Sein Sitznachbar starrt einer | |
| vorbeilaufenden Frau auf den Po. „Nö, pfui, bist du Single, oder was?!“ | |
| Gelächter. Längst dominieren die vier den gesamten Speisewagen, aber | |
| keine*r schreitet ein. Der Kellner nicht, der die immer dreister werdenden | |
| Rufe nach ihm einfach überlächelt, und auch wir Mitreisenden nicht, seien | |
| wir nun jung oder alt, männlich oder weiblich oder nonbinär. Wir alle | |
| ducken uns weg und hoffen, dass diese Fahrt möglichst schnell vorübergeht. | |
| Weil den Mund aufmachen könnte ja unangenehm werden. Oder gefährlich. Und | |
| so überlassen wir diesen Typen nicht nur das Revier, sondern auch ein Stück | |
| unserer Lebenszeit, kampflos und unwidersprochen. | |
| Ab der Grenze hört sich dann selbst die Lautsprecherdurchsage nach Hitler | |
| an. Blechern, kalt. „Das ist Deutschland“, höre ich eine Mitfahrerin mit | |
| osteuropäischem Akzent flüstern. In Dresden steigt endlich auch der Letzte | |
| aus der Truppe aus, aber nicht, ohne dass er sich mit einem lauten Furz von | |
| uns verabschiedet. Wenn das so weitergeht, wird der Gestank von brauner | |
| Scheiße noch lange in der Luft liegen. | |
| 24 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
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