Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Alkohol und Fußball: Emotionen ohne Rausch
> Die „Weiß-Braunen Kaffeetrinker*innen“ vom FC St. Pauli sind ein Fanclub
> – und eine Selbsthilfegruppe. Die Mitglieder helfen sich, trocken zu
> bleiben.
Bild: Hier nur Kaffee oder Limonade: Bierfreie Zone im Millerntorstadion
Hamburg taz | Vor dem Stadion des [1][FC St. Pauli] stehen rund 15
Mitglieder der Weiß-Braunen Kaffeetrinker*innen (WBK), rauchen
Zigaretten und trinken – nicht Kaffee, sondern eisgekühlte Limonade. Es ist
ein warmer Sommerabend, der Asphalt am Millerntor glüht, schattige Plätze
sind kaum zu finden. „Eine kleine Pause für die Süchtigen unter uns“, sagt
Michael Krause und zieht genüsslich an seiner Zigarette.
Nach der Zigarettenpause geht es zurück in den Fanladen, ein selbst
verwalteter Treffpunkt der St.-Pauli-Fans, der unterhalb der Gegentribüne
ins Stadion gebaut ist. Die „WBKs“, wie sie sich nennen, treffen sich hier
immer am zweiten Montag im Monat und diskutieren über ihren Verein. Hier
drinnen ist es düster, braune Jalousien lassen kaum Tageslicht in den Raum.
An den Wänden kleben Hunderte Sticker – manche von ihnen mit
St.-Pauli-Logo, andere mit politischen Statements.
„Kannst du mir eine Rhabarberschorle aus dem Kühlfach geben?“, ruft einer
und setzt sich auf eine schwarze Ledercouch. Was auf den ersten Blick ganz
gewöhnlich wirken mag, ist für einen Fußball-Fanklub untypisch: Auf den
Tischen stehen keine Bierflaschen, sondern Softdrinks, Süßes und Kaffee.
Denn die Kaffeetrinker*innen sind nicht nur ein St.-Pauli-Fanklub,
sondern auch eine Selbsthilfegruppe für all diejenigen, die suchtgefährdet
sind.
Gegründet haben den Fanklub vor 27 Jahren zwei Dauerkartenbesitzer, nachdem
sie sich in einer Nachsorgeeinrichtung kennengelernt hatten und gemeinsam
wieder ins Stadion gehen wollten. Damals wurde Alkoholiker*innen
empfohlen, ihre alten Trinkstätten zu meiden, weil sie als Hochrisiko-Orte
galten. Für suchtgefährdete Fußballfans bedeutete das also auch, den
Fußball hinter sich zu lassen – so auch für Stefan, heute 43, und Mitglied
im Fanclub.
## Kiste Bier nach dem Spiel
Seit seinem dreizehnten Lebensjahr gehörte nicht nur der FC St. Pauli
untrennbar zu seinem Leben, sondern auch der Alkohol und andere Drogen:
„Ich komme aus einem kleinen Dorf, das nicht mehr als 1.000 Einwohner hat.
Da war es schon in Jugendjahren üblich, nach einem gewonnenen Spiel einen
Kasten Bier auf den Tisch zu stellen.“
Teilweise sei er mit einer Eintrittskarte nach Hamburg gefahren und nie im
Stadion angekommen, weil er in einer Kneipe versackt war. Das ging so, bis
er während seiner dritten Therapie Michael Krause kennenlernte, der ihn zu
den trockenen Fans einlud. Für Stefan war der Fanklub eine Chance, sein
Hobby auch ohne Drogenkonsum zurückzugewinnen. Seither hat er jedes
Heimspiel gesehen, ohne einen Schluck Alkohol zu trinken. „Der Fanklub gibt
mir einfach unglaublich viel Kraft, abstinent zu bleiben.“
Seit fast dreißig Jahren gehen die Weiß-Braunen Kaffeetrinker*innen
gemeinsam ins Stadion und ermutigen sich gegenseitig, nicht rückfällig zu
werden. Gerade im Fußball ist das eine schwer überwindbare Hürde. Alkohol
und Fußball scheinen untrennbar zusammenzugehören. Fast jeder deutsche
Fußballverein hat einen Sponsorenvertrag mit einer Brauerei, weshalb die
meisten Vereine das Thema kaum problematisierten, erklärt Krause, einer der
Sprecher*innen der WBK. Ganze Stadien sind voll von Werbung für
Sportwetten und Spirituosen.
Daher möchte der Fanklub nicht nur ein Schutzort für Betroffene sein,
sondern auch andere Fußballfans dafür sensibilisieren, wie allgegenwärtig
der Sucht-mittelkonsum im deutschen Fußball ist. Deswegen ist er inzwischen
auch offen für Menschen ohne eigene Suchterfahrung.
## Erstmals ein Präventionskonzept
Vor etwa drei Jahren haben die WBK dann mehrere Anträge auf einer
Mitgliederversammlung des FC St. Pauli gestellt: ein Verbot der mobilen
Verkäufer, die auf den Rängen Bier-Nachschub aus einem Rucksack zapften;
den langfristigen Ausstieg aus der Werbung für Sportwetten und [2][Alkohol]
sowie vier alkoholfreie Getränkestände am Millerntor. Damals lehnte der
Verein alle Anträge ab.
2022 finanzierte der Fanklub auf eigene Faust den ersten alkoholfreien
Getränkestand „Trockendock 1“ durch Spenden. Im Februar dieses Jahres
schrieb er dann Fußballgeschichte: Gemeinsam mit dem FC St. Pauli haben die
WBK ein Präventionskonzept gegen Sucht und Alkoholkonsum im Fußball
veröffentlicht. So möchten sie für die Risiken von Suchmitteln
„sensibilisieren, bevor etwas passiert, nicht erst dann, wenn Menschen
bereits süchtig sind“, erklärt Krause.
Daher konzentriert sich ihre Präventionsarbeit auch auf den Schutz von
Kindern und Jugendlichen, die durch Stadionbesuche oftmals zum Konsum
verleitet werden. Man möchte Alternativen schaffen und die Umgebung im
Stadion „suchtrisikoärmer“ gestalten. Dabei gehe es nicht darum, den
Alkoholkonsum zu verbieten oder einzuschränken, sondern einen
verantwortungsvollen Umgang damit zu finden und zu signalisieren:
Fußball-Emotionen kann man auch ohne Rausch erleben.
Einfach ist das nicht, aber machbar – besonders, wenn man Unterstützung
erfährt. Das zeigen auch Patrick und Mario, die vor einigen Monaten den WBK
beigetreten sind. Seitdem sie dem Alkohol den Rücken gekehrt hätten, habe
sich ihr Leben sehr positiv verändert: „Ich fühle mich jetzt wirklich
klasse“, sagt Mario. „Ich stehe morgens um sechs auf, abends kann ich ohne
Alkohol ins Bett gehen – das wäre mir früher im Traum nicht eingefallen.“
## Immer mal wieder schwierige Phasen
Während die drei Fußballfans von ihrem Fanklub erzählen, wird schnell klar:
Der Alkohol begleitete sie ein Leben lang. Nicht nur in Verbindung mit
Fußball. Meist waren es Schicksalsschläge, Depressionen oder Stress, die
sie zum Glas greifen ließen. Über die Jahre wurde der Alkohol dann zur
Normalität, so Mario.
Heute wissen sie, dass der für sie einzig richtige Umgang mit Alkohol die
Abstinenz ist. „Diesmal ist alles anders“, sagt Patrick, „als hätte ich …
irgendwie begriffen und ein gewisses Alter erreichen müssen, um zu
verstehen: Ich kann nicht drei Bier trinken, ich kann nur alle Biere
trinken.“
Der Zusammenhalt im Fanklub gibt ihnen Kraft, [3][ihre Leidenschaft ohne
Rauschmittel] auszuleben. Vor jedem Heimspiel treffen sie sich am Fanladen,
bauen den Infostand am Trockendock 1 auf und gehen gemeinsam auf die
Tribüne. Es gebe auch immer wieder Momente, in denen man stark bleiben
müsse: „Als ich beim Aufstieg dabei war“, sagt Stefan, „hatte ich eine
schwierige Phase, in der ich gemerkt habe, dass ich langsam nach Hause
muss, weil es zu viele Triggerpunkte gab.“
14 Jul 2024
## LINKS
[1] /FC-St-Pauli-mit-neuem-Trainer/!6017770
[2] /Trinkkultur-und-Kritik/!6011466
[3] /Alkoholkonsum-von-Fussball-Fans/!6019618
## AUTOREN
Sarah Lasyan
## TAGS
FC St. Pauli
Fußball
Alkohol
Hamburg
Fußball
Alkohol
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Kolumne Speckgürtelpunks
Kolumne Starke Gefühle
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vorständin der St.-Pauli-Genossenschaft: „Wir reden von einer Werte-Anlage“
Der FC St. Pauli hat eine Genossenschaft gegründet. Vorständin Miriam
Wolframm erklärt, wieso der Fußballclub diesen Weg geht.
Alkohol erst ab 18: Schluss mit der Säufersolidarität
Der Suchtbeauftragte Burkhard Blienert will Alkohol nur an Volljährige
ausschenken. Damit wendet er sich gegen eine urdeutsche Tradition.
Alkoholkonsum von Fußball-Fans: Keiner soll mehr rein
Fußball und Saufen gehören zusammen – muss glauben, wer der bierseligen
EM-Berichterstattung folgt. Ein Podcaster und ein Fanclub sehen das anders.
Trinkkultur und Kritik: Vom Bier lernen
Grölende Saufhorden sind unserem Kolumnisten ungefähr genauso unangenehm
wie distinguierte Craftbeer-Nerds. Aber über Bier spricht er trotzdem gern.
Bierkonsum verändert sich: Selbstoptimierung oder Selbstliebe?
Ein Frischgezapftes schmeckt im Frühling gut. Immer mehr Brauereien bieten
eine alkoholfreie Variante an. Unser Autor feiert das.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.