# taz.de -- Sparen bei Kulturprogrammen: Nicht mehr sexy, nur noch schlank | |
> Die Öffentlich-Rechtlichen wollen Hunderte Millionen Euro sparen. | |
> Angefangen wurde in der Kultur, angeblich um mehr Inhalte für Jüngere zu | |
> schaffen. | |
Bild: Seit 2016 moderierte Denis Scheck die nun gestrichene Literatur-Sendung �… | |
„Wieder haben wir bewiesen: Lesen macht schön, schlank und sexy.“ Mit | |
diesen Worten beendet Denis Scheck stets seine Sendung „Lesenswert | |
Quartett“ im SWR. Der SWR will aber nicht mehr schön und sexy sein und | |
schmeißt die Sendung ab 2025 aus dem Programm. Denn der SWR will vor allem | |
schlank sein. 70 Millionen Euro müssen runter – pro Jahr. Eine | |
SWR-Sprecherin bezeichnet dies als „schmerzhaften, aber unumgänglichen | |
Einschnitt“. | |
Es sind große Summen, die die ARD in den kommenden Jahren einsparen möchte. | |
40 Millionen Euro pro Jahr sind es beim MDR, der HR möchte in acht Jahren | |
350 feste und freie Mitarbeiter weniger haben. Zwangsläufig geht es auch | |
ans Programm. Und an die Kultur. So stellt der SWR mit „Lesenswert“ eine | |
weitere Sendung ein, und der MDR streicht „Fröhlich lesen“. Andere Sender | |
haben sich schon von Literaturformaten getrennt: Der BR stellte „Lido“ und | |
„Lesezeichen“ ein, der HR das „Bücherjournal“. | |
„Wenn es jetzt schon an [1][große Namen wie Denis Scheck geht, merkt man, | |
wie ernst es ist]. Wir wehren uns heftig gegen diese Radikalkur“, sagt | |
Michael Landgraf vom PEN-Zentrum. Bei der Schriftstellervereinigung | |
beobachtet man schon länger einen Kahlschlag in der ARD. „In der Kultur | |
wird Großartiges geleistet, aber es bekommt kaum noch einer mit, weil ein | |
Denken wie bei den Privaten eingesetzt hat und es um Quote geht“, so | |
Landgraf. | |
Der NDR hat sein „Bücherjournal“ vor vier Jahren gestrichen. Zu wenige | |
Zuschauer würden einschalten. Was auch an der Sendezeit um Mitternacht | |
gelegen haben könnte. Der Protest von Autoren, Verlegern und Kritikern | |
blieb wirkungslos. „Wir werden in Zukunft mehr Bücherbesprechungen im | |
Angebot haben als bisher“, entgegnete NDR-Intendant Joachim Knuth damals. | |
Wie die aussehen, kann man sich heute bei der NDR-Sendung „DAS!“ ansehen. | |
Es plaudert ein Promi auf dem roten Sofa, es gibt Rezepte und einmal im | |
Monat „Literaturtipps“. Ein Buchhändler der Region stellt zwei Bücher vor. | |
Pro Buch hat er 90 Sekunden. Die Bücher tragen Titel wie „Morden in der | |
Menopause“. | |
## „Weniger Opernrezensionen, mehr Street-Art“ | |
Hier zeigt sich, wie sich der Kulturbegriff der ARD verändert hat. Ein | |
SWR-Redakteur, der namenlos bleiben möchte, erzählt: „Wir sollten andere | |
Themen anbieten. Weniger Opernrezensionen, mehr Street-Art.“ Beim MDR ist | |
das nicht anders. Wer bei mdr.de den Reiter „Kultur“ anklickt, erhält zum | |
Beispiel „Urlaub in Sachsen: Die besten Tipps für tolle Ausflugsziele“ oder | |
„Rund um Erfurt und Jena: Sieben coole Ausflugstipps bei Hitze“. | |
„Einfach nur peinlich ist das. Hochkultur ist ein Schimpfwort geworden. Es | |
geht um Klickzahlen, das Marketing steht im Vordergrund, und man vergleicht | |
sich mit privaten Anbietern“, sagt eine Kulturredakteurin, die ihren Namen | |
nicht in der Zeitung lesen möchte. Ein Sprecher des MDR sagt dazu: „Der | |
Kulturbegriff wird dabei im Sinne eines ‚MDR für alle‘ konsequent auch auf | |
Formate für jüngere Zielgruppen definiert.“ Ein aktuelles Beispiel dafür | |
ist die spannende junge Dokumentation zur [2][Geschichte des Musikfestivals | |
„splash!“] in der ARD-Mediathek: „Größer als Hip-Hop – Die Geschichte… | |
splash!-Festivals.“ | |
Dabei sind es kleinere Summen, die in der Kultur gespart werden. Beim MDR | |
müssen die Abteilungen Unterhaltung und Fiktion 39 Prozent des Einsparziels | |
beisteuern, die Information 19 Prozent. Da wirken 5 Prozent bei der Kultur | |
moderat. Weh tun die 2,3 Millionen Euro trotzdem. Denn hier wurde in den | |
vergangenen Jahren bereits kräftig gekürzt. Die Kulturbudgets sind oft die | |
kleinsten. So wendete die ARD bei den Erstsendeminuten 2022 für Kultur und | |
Wissenschaft 14,7 Millionen Euro auf. Für Sport waren es 431 und für | |
Unterhaltung 245 Millionen Euro. Dabei steht die Kultur im Programmauftrag | |
seit einer Änderung im Staatsvertrag von 2023 an erster Stelle. Und die | |
Politik betont immer wieder die Wichtigkeit von kulturellen Angeboten. | |
Die Praxis sieht aber anders aus. Viele Kulturwellen etwa sind bereits von | |
Kürzungen betroffen. Vor etwa drei Monaten hat der SWR sein Kulturradio SWR | |
2 umgebaut und ganze Sendestrecken wie die „Fortsetzung folgt“ beschnitten. | |
[3][Am radikalsten geht der HR vor. Von sechs sollen nur noch drei Sender | |
übrig bleiben]. Betroffen ist auch hr2-kultur. Vorerst soll es nur noch | |
zwischen 7 und 11 Uhr aktuelles Programm geben. Alle anderen Sendungen | |
entfallen. Begründung des HR: Man wolle Kultur auf anderen Ausspielwegen | |
anbieten, etwa in der Hessenschau – so würde man mehr Zuschauer erreichen. | |
Schon jetzt werden verschiedene Radiowellen ARD-weit zeitweise | |
zusammengeschaltet. Zum Beispiel in der Infonacht oder beim | |
ARD-Radiofestival im Sommer. Das passiert nun auch bei der Kultur zwischen | |
21 und 6 Uhr. Gerade das war die Sendezeit für lange Wortbeiträge, | |
regionale Kulturberichterstattung und Dokus mit Tiefgang. Die Autoren | |
fürchten nun um Aufträge, in den Redaktionen entfällt Kompetenz. Die | |
Gewerkschaft Verdi sieht das kritisch: „Mit diesem inhaltlichen Einschnitt | |
droht ein weiterer Legitimationsverlust des öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunks. Es geht nicht um Besitzstandswahrung. Natürlich muss es Angebote | |
für Jüngere geben. Aber man darf auch die Älteren dabei nicht verlieren“, | |
sagt Anja Willmann, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi für den Fachbereich | |
Medien. | |
## Aufwertung des nonlinearen Bereichs | |
Als Gründe für die Kürzungen werden auch Umschichtungen genannt. [4][Laut | |
SWR-Intendant Kai Gniffke bedient man die älteren Zuhörer bestens. Für die | |
Jüngeren gebe es aber zu wenig Angebote]. HR-Intendant Florian Hager | |
formuliert es sinngemäß so: Die Hälfte der Programmgelder soll in Zukunft | |
ins Nichtlineare fließen und je ein Viertel in lineares TV und Radio. „Die | |
jüngeren Redakteure bei uns sagen: Endlich! Sie begrüßen die Aufwertung des | |
nonlinearen Bereichs. Ich finde das auch gut. Aber nicht alle im SWR sehen | |
das so“, berichtet ein Redakteur. Der SWR möchte die Hälfte des | |
eingesparten Geldes von „Lesenswert“ in neue Formate wie „Longreads“ mit | |
Helene Hegemann stecken. „Longreads“ wird bereits produziert. | |
Ausschließlich für die Mediathek. Hier wird nicht über Literatur | |
gestritten, hier wird mit einem Autor geplaudert. Schon der Trailer verrät, | |
was man bei der ARD für hip hält: Die Moderatorin raucht. Ihr Gast wird als | |
„einer der wildesten Investigativreporter Deutschlands“ angekündigt und ein | |
paar schnelle Schnitte später mit dem Dialog eingeführt: „Wie spät ist es, | |
9.30 Uhr?“ „Ja, kurz vor Ladenöffnung.“ | |
Viele der neuen Formate werden nicht in den Sendern produziert, sondern an | |
Produktionsfirmen vergeben. Eines der Vorzeigeprojekte ist „Pumping | |
Beauty“. Laut Eigenwerbung „Die erste deutsche Doku-Serie über | |
Bodybuilderinnen.“ Einstieg der ersten Folge: „Nur die Harten kommen in den | |
Garten.“, „Alles für den Pump, Alter.“ „Hau dir die Scheiße rein, du | |
brauchst Volumen, Mädchen.“ Viele Redakteure fragen sich: Muss das wirklich | |
mit Rundfunkbeiträgen finanziert werden? Fraglich ist auch, ob man mit | |
dieser Offensive tatsächlich Erfolg bei den Jüngeren hat. Bisher fehlen den | |
Sendern Instrumente, um den Erfolg in der Zielgruppe zu messen. | |
Ähnlich radikale Auswirkungen wie das finanzielle Kürzen und Umschichten | |
wird die gemeinsame Koordination der ARD auf Programm und Mitarbeiter | |
haben. Derzeit ist es so, dass jede ARD-Anstalt selbst ein Buch oder einen | |
Film bespricht. Künftig soll es ein virtuelles Beitragsregal geben, aus dem | |
sich alle bedienen können. Es soll nur noch eine Besprechung geben. Die | |
ARD verspricht sich Kosteneinsparungen. Voraussetzung dafür wäre eine gute | |
Abstimmung. „Noch ist es ein großes Rätsel, wie das funktionieren soll“, | |
heißt es in den Redaktionen. | |
Der Lyriker Alexandru Bulucz vom PEN Berlin gibt zu bedenken: „Stellen Sie | |
sich mal vor, die Rezension ist ein Verriss. Jetzt kann man durch die | |
Vielfalt auf ein ausgewogenes Bild hoffen. Später würden alle diesen | |
Verriss senden.“ Auch der Bundestagsabgeordnete Erhard Grundl, für Bündnis | |
90/ Die Grünen im Ausschuss für Kultur und Medien, ist nicht begeistert: | |
„Der föderale Aufbau hat mir gerade gefallen, die unterschiedlichen Nuancen | |
zwischen Beiträgen aus Bremen, Köln und München fand ich gut. Diskurse | |
finden in einem Regal ja nicht mehr statt.“ | |
Beim Hörspiel waren ebenfalls Kürzungen vorgesehen. Dazu sollte ein | |
Kompetenzzentrum eingerichtet werden. Dann wurden die Intendanten mit | |
Zahlen konfrontiert: Das Hörspiel ist in der ARD-Audiothek das | |
erfolgreichste aller Genres. Nun bleiben die Hörspielredaktionen der | |
einzelnen Sender erhalten, und jeder darf weiter Hörspiele produzieren. | |
Allerdings: Die teure Transformation ins Digitale muss aus dem laufenden | |
Etat von etwa 10 Millionen Euro bezahlt werden. Was doch auf eine Kürzung | |
hinausläuft. Hinzu kommt: „Bei höheren Hörspiel-Vergütungen werden wir | |
insgesamt die Zahl der Hörspiele reduzieren müssen“, so ein ARD-Sprecher. | |
Aber auch beim Hörspiel ist Geld nicht das einzige Problem: „Wir beobachten | |
eine starke inhaltliche Umstellung. Es gibt eine Hinwendung zu leicht | |
zugänglichen Serien für ein junges Publikum“, sagt Oliver Sturm vom Verband | |
der Hörspielregie. Jeden Monat sollen zwei neue Serien in der Audiothek | |
abrufbereit sein, die Sender wechseln sich ab. Zuvor wird genau definiert, | |
für welche Zielgruppe das „Produkt“ bestimmt ist, es wird also passgenau | |
für eine Hörergruppe produziert. Sturm sieht in der Idee, nur noch das | |
anzubieten, was die Zuschauer sehen wollen, keinen Fortschritt, sondern | |
befürchtet, dass dadurch der Kern des ÖRR „die Vielfalt an Themen und der | |
daraus entstehende gesellschaftliche Dialog“ erschwert werde. | |
In einer früheren Version des Artikels gaben wir an, dass der HR 500 | |
Mitarbeitende bis 2032 abbauen möchte. Diese Zahlen haben wir korrigiert. | |
Richtig ist, dass der HR 350 feste und freie Mitarbeitende abbauen möchte. | |
Weiterhin gaben wir an, dass der SWR die Sendung „Lesezeit“ beschnitten | |
habe. Das haben wir geändert, es handelte sich um die Sendung „Fortsetzung | |
folgt“. | |
6 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Teske | |
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