# taz.de -- Pläne zu neuer Wehrpflicht: Pistorius will Wehrerfassung | |
> Der SPD-Verteidigungsminister will erfassen, wer für den Dienst an der | |
> Waffe bereitstünde. Seine Partei war in der Frage bislang zurückhaltend. | |
Bild: Pocht auf die „Kriegstüchtigkeit“ des Landes: Verteidigungsminister … | |
BERLIN dpa | Verteidigungsminister Boris Pistorius will für ein neues | |
Wehrpflichtmodell die vor 13 Jahren ausgesetzte Erfassung von Wehrfähigen | |
wieder aufbauen. Zudem will der SPD-Politiker nach Informationen der | |
Deutschen Presse-Agentur junge Männer verpflichten, in einem Fragebogen | |
Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Dienst zu geben und sich | |
bei Auswahl einer Musterung zu stellen. Vorgesehen ist dafür auch, | |
zusätzliche Kapazitäten für Musterungen zu schaffen. | |
Der Vorschlag des SPD-Politikers ist damit [1][ein erster Schritt hin zur | |
möglichen Wiedereinführung einer neuen Wehrpflicht]. Zugleich will | |
Pistorius erst mal die Schritte einleiten, die noch in dieser | |
Legislaturperiode praktisch möglich erscheinen. | |
Für den Pistorius-Plan ist nach dpa-Informationen eine Erweiterung des | |
Wehrpflichtgesetzes für junge Männer nötig. Militärplaner gehen dabei davon | |
aus, dass pro Jahr 400.000 Menschen den Fragebogen ausfüllen müssen, und | |
sie schätzen, dass ein Viertel davon Interesse bekunden könnte. Vorgesehen | |
ist es, 40.000 Kandidaten zur Musterung zu bestellen. Aktuell gibt es | |
Kapazitäten für eine Ausbildung von 5.000 bis 7.000 Rekruten, die aber | |
wachsen sollen. Ausgegangen wird von einem Dienst, der sechs oder auch | |
zwölf Monate dauern kann. | |
Pistorius will am Mittwochvormittag den Verteidigungsausschuss des | |
Bundestags über seine Pläne informieren. Am Nachmittag will er sie der | |
Öffentlichkeit bei einer Pressekonferenz vorstellen. | |
## Macht die SPD mit? | |
Gegen die Wiedereinführung eines verpflichtenden Wehrdienstes gab es | |
zuletzt vor allem in Teilen der SPD deutlichen Widerspruch. So hatte sich | |
SPD-Chef Lars Klingbeil dafür ausgesprochen, bei der Rekrutierung weiterhin | |
auf Freiwilligkeit zu setzen. „Ich finde, wir sollten es freiwillig | |
probieren, indem wir die Bundeswehr noch attraktiver machen“, sagte er. Der | |
Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour hatte zum Jahreswechsel deutlich gemacht: | |
„Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht gebraucht wird.“ Widerstand gegen | |
einen verpflichtenden Dienst gab es auch aus der FDP, wobei eine | |
Kursänderung möglich erscheint. | |
Verpflichtend wäre nach dem Pistorius-Modell nun die Beantwortung des | |
Fragebogens sowie die Musterung, wenn zu dieser eingeladen wird. Er | |
plädiert dem Vernehmen nach dafür, auch schon in Friedenszeiten Wege für | |
einen verpflichtenden Militärdienst freizumachen, falls nicht genug | |
Rekruten gefunden werden. | |
Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland [2][unter Verteidigungsminister | |
Karl-Theodor zu Guttenberg] (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam | |
einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden | |
praktisch alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Im | |
Wehrpflichtgesetz ist aber weiter festgelegt, dass die Wehrpflicht für | |
Männer auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall | |
feststellt, ohne dass es nach 2011 noch konkrete Vorbereitungen für eine | |
solche Situation gab. | |
[3][Trotz einer Personaloffensive] war die Bundeswehr im vergangenen Jahr | |
auf 181.500 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft. Pistorius ließ deshalb – | |
auch unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – | |
Modelle einer Dienstpflicht prüfen. Er hatte schon bei einer | |
Regierungsbefragung durchblicken lassen, dass er nicht auf komplette | |
Freiwilligkeit setzt: „Nach meiner festen Überzeugung wird es nicht gehen | |
ohne Pflichtbestandteile.“ Wiederholt betonte er, Deutschland müsse | |
„kriegstüchtig“ werden, um zusammen mit den Nato-Verbündeten glaubhaft | |
abschrecken zu können. | |
Zuletzt äußerte er beim Tag der Bundeswehr Verständnis dafür, [4][dass der | |
Begriff „Kriegstüchtigkeit“ einige erschreckt] habe und immer noch störe. | |
Dies sei auch ein bisschen die Absicht gewesen. „Es ist notwendig, auch | |
durch die richtigen Begriffe deutlich zu machen, worum es geht“, fügte er | |
hinzu. Es gehe darum, einen Verteidigungskrieg führen zu können, wenn man | |
angriffen werde – „also vorbereitet zu sein auf das Schlimmste, um nicht | |
damit konfrontiert zu werden“. | |
## Die Gerechtigkeit beim Wehrdienst bleibt ein Problem | |
In der Debatte um den Wehrdienst geht es auch um die verfassungsrechtlich | |
gebotene Wehrgerechtigkeit. Die Bundeszentrale für politische Bildung | |
schreibt, es habe seit der Gründung der Bundeswehr immer mehr wehrfähige | |
Männer gegeben, als für die Armee benötigt wurden, was vielfach als | |
ungerecht empfunden worden sei. | |
Der Staat kennt auch andere verpflichtende Dienste, wie bei Schöffen. Jeder | |
Staatsbürger ist zur Übernahme dieser Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter | |
verpflichtet. Und für den Feuerschutz wird eine sogenannte Pflichtfeuerwehr | |
dann eingerichtet, wenn eine Freiwillige Feuerwehr nicht zustande kommt. | |
Die Kommunen müssen dann geeignete Personen zum Feuerwehrdienst | |
verpflichten. Öffentlich diskutiert wurde zuletzt auch eine weiter gefasste | |
neue Dienstpflicht, die auch Rettungsdienste und den Katastrophenschutz | |
umfassen könnte. Für eine Dienstpflicht junger Frauen müsste das | |
Grundgesetz geändert werden. | |
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, hatte vor | |
Bekanntwerden der Pistorius-Pläne entschlossene Schritte für einen neuen | |
Wehrdienst gefordert. Die Personalzahlen in der Bundeswehr seien in diesem | |
Monat auf den tiefsten Stand seit 2018 gefallen, sagte Wüstner der | |
Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „In den kommenden Tagen wird sich | |
zeigen, bei wem seit Ausrufung der Zeitenwende zumindest | |
verteidigungspolitisch tatsächlich eine Erkenntniswende eingetreten ist“, | |
sagte der Verbandschef mit Blick auf die Debatte. „Denn wer das von sich | |
behauptet – ich hoffe, dass es zumindest die Fachpolitiker tun –, der wird | |
sich nicht pauschal gegen eine neue Wehrform oder eine neue Art Wehrpflicht | |
wenden können.“ | |
12 Jun 2024 | |
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