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# taz.de -- Wehrdienst in Deutschland: Per Fragebogen zu mehr Soldaten
> Bundesverteidigungsminister Pistorius will ab 2025 einen
> „Auswahlwehrdienst“ einführen. Das erste Ziel: 15.000 neue
> Wehrdienstleistende jährlich.
Bild: Einer der letzten Jahrgänge vor Aussetzung der Wehrpflicht: Geländeübu…
Berlin taz | „Auswahlwehrdienst“ nennt Boris Pistorius sein neues Modell,
um der Bundeswehr mehr Nachwuchs zuzuführen. Am Mittwoch präsentierte der
sozialdemokratische Bundesverteidigungsminister zunächst im
Verteidigungsauschuss, dann in der Bundespressekonferenz seine Pläne, die
im Herbst ins Kabinett eingebracht sein und bis zum Frühjahr 2025 den
Bundestag passiert haben sollen.
Das von Pistorius vorgestellte Konzept sieht vor, dass alle Frauen und
Männer beim Erreichen des wehrdienstfähigen Alters, also zum vollendeten
18. Lebensjahr, von der Bundeswehr angeschrieben werden. Während die jungen
Frauen den Brief ungeöffnet in den Papierkorb befördern können, sind die
rund 400.000 Männer des jeweiligen Jahrgangs gesetzlich verpflichtet, den
Fragebögen auszufüllen und zurückzusenden.
Auf der Grundlage der Antworten trifft die Bundeswehr dann die Entscheidung
darüber, wer zur Musterung eingeladen wird. Dieser Einladung zu folgen ist
für Männer ebenfalls verpflichtend. Aus dem Kreis der bis zu 50.000
Gemusterten sollen anschließend „die Geeignetsten und Motiviertesten“
ausgewählt werden, um entweder einen sechsmonatigen Grundwehrdienst
abzuleisten oder sich für bis zu insgesamt 23 Monate zu verpflichten.
2011 hatte der Bundestag mit einer Mehrheit aus Union, FDP und Grünen sowie
gegen die Stimmen der SPD und der Linkspartei [1][die Wehrpflicht für
Männer] ausgesetzt. Stattdessen gibt es neben dem vorherrschenden
Berufssoldatentum seither nur noch einen freiwilligen Wehrdienst sowohl für
Männer als auch für Frauen ab 17 Jahren. Der stößt jedoch nicht auf
ausreichende Resonanz, um den Personalbedarf zu decken. Derzeit melden sich
um die 10.000 freiwillig, wobei die Abbrecherquote hoch ist.
## Orientierung am „schwedischen Modell“
Ziel des neuen Modells ist es, ab 2025 insgesamt 15.000 Wehrdienstleistende
jährlich auszubilden, wobei sich die Zahl schrittweise erhöhen soll – Jahr
für Jahr um gut 3.000. Das hat mit der angestrebten Vergrößerung der
Bundeswehr zu tun, die von derzeit knapp 181.000 Soldat:innen bis 2031
auf 203.000 aktive Soldat:innen anwachsen soll. Zusätzlich sollen
260.000 Reservist:innen kommen, die im Verteidigungsfall mobilisiert
werden können.
Mit seinem rund 1,4 Milliarden Euro teuren Vorschlag orientiert sich
Pistorius stark am „schwedischen Modell“. Im Gegensatz zu [2][Schweden],
das 2017 die Wehrpflicht wieder eingeführt hat, verzichtet er allerdings
aus pragmatischen Gründen auf Geschlechtergerechtigkeit. Denn eine wie auch
immer geartete Wehrpflicht für Frauen würde eine Grundgesetzänderung
erfordern – bei der sich Pistorius nicht sicher sein kann, dass sie in
dieser Legislaturperiode zustande käme.
Mit der gleichen Begründung soll es vorerst auch keine allgemeine
Dienstpflicht geben, die alternativ nichtmilitärisch zum Beispiel in
sozialen Einrichtungen abgeleistet werden könnte. Sowohl in der SPD als
auch in der Union gibt es hierfür starke Befürworter:innen, auch
Pistorius selbst. Bei Grünen und FDP gibt es dagegen jedoch starke
Widerstände.
## „Wehrpflicht durch die Hintertür“
Auch die jetzt vorgelegten abgespeckten Pläne stoßen in der
Regierungskoalition nicht auf ungeteilte Begeisterung. „Die von Pistorius
vorgeschlagene Musterungspflicht für Männer ist eine Rückkehr zur
Wehrpflicht durch die Hintertür“, kritisierte die grüne
Bundestagsabgeordnete Milla Fester. „Junge Menschen jetzt zum Dienst an der
Waffe verpflichten zu wollen wäre ein tiefer Eingriff in ihr Leben“, sagte
sie der taz. Gerne könnten junge Menschen mit einem Brief zu mehr
Engagement für die Gesellschaft motiviert werden. Aber: „Ein Zwang kann
nicht die Lösung sein.“
Von der oppositionellen Linkspartei kommt ebenfalls Kritik. „Die
Wehrpflicht zu reaktivieren, um Personal für die ausgerufene Zeitenwende zu
rekrutieren, lehnen wir strikt ab“, sagte Parteichefin Janine Wissler der
taz. „Die Wehrpflicht ist ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert, deren
vollständige Abschaffung überfällig wäre.“
Pistorius geht davon aus, dass sich mit seinem Vorschlag „mühelos“
ausreichend Rekrut:innen auf freiwilliger Basis finden lassen. Aber was
ist, wenn das nicht gelingt? Das „schwedische Modell“ sieht für diesen Fall
Zwangsrekrutierungen vor. Das könne der Minister für Deutschland „nicht
ausschließen“, sagte er. „Dann müssen wir auch über eine verpflichtende
Option nachdenken.“
Von einer „Salamitaktik hin zu einer neuen, allgemeinen Wehrpflicht“ sprach
Michael Schulze von Glaßer, der Geschäftsführer der „Deutschen
Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ DFG-VK.
„Pistorius will bei dem Thema die Grenzen des mit der Ampelregierung
Machbaren ausreizen und bereitet damit schon mal weitergehende Schritte für
eine nächste Bundesregierung vor“, sagte Schulze von Glaßer der taz. „Wir
werden uns den jeweiligen Fragebogen ansehen und jungen Menschen den
Lösungsweg präsentieren, damit sie nicht zur Zwangsmusterung und am Ende
zur Armee müssen“, kündigte er an.
12 Jun 2024
## LINKS
[1] /Debatte-um-Wehrpflicht/!5993640
[2] /Ausbau-der-Verteidigungsbereitschaft/!6007114
## AUTOREN
Pascal Beucker
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