| # taz.de -- Erste Energiegenossenschaft in Berlin: Von unten eingeheizt | |
| > In Berlin haben Anwohner die erste Energiegenossenschaft der Stadt | |
| > gegründet, um die Wärmewende vor Ort umzusetzen. Klappt das? | |
| Berlin taz | Wer [1][an der Haltestelle Onkel Toms Hütte] aus einem Wagen | |
| der U-Bahn-Linie U3 steigt, hat das Gefühl, Berlin hinter sich zu lassen. | |
| Hier in Zehlendorf, zwischen der Krummen Lanke und Oskar-Helene-Heim, | |
| ticken die Uhren anders. Es ist grün, beschaulich und für Berliner | |
| Verhältnisse außergewöhnlich ruhig. Nachts huschen Füchse und Wildschweine | |
| durch die engen gepflasterten Straßen. Die laute chaotische Großstadt ist | |
| gefühlt weit entfernt. | |
| Es ist eine Gegend mit viel Geschichte. Herrschaftliche Altbauten mit | |
| Spitzdächern und einfache bunte Flachdach-Reihenhäusern im Bauhausstil | |
| stehen dicht zusammen. Letztere wurden ab Ende der 1920er Jahre vom | |
| Bauhaus-Architekten Bruno Taut entworfen, damit sich auch die | |
| Arbeiterschicht eine Wohnung oder ein Häuschen im Grünen leisten konnte – | |
| sehr zum Ärger der eingesessenen Bevölkerung. Als Papageiensiedlung wurde | |
| die bunte Ansammlung an blauen, grünen, gelben Häusern vom gehobenen | |
| Bürgertum abwertend bezeichnet. | |
| Heute erinnert eine Info-Tafel im Viertel an den Zehlendorfer Dächerkrieg, | |
| in dem sich die Bewohner in den Spitzdächern gegen die | |
| Flachdach-Neuankömmlinge wehrten. Die Siedlung hat ihren Vogelnamen | |
| behalten – nur die Klassenunterschiede haben sich aufgrund steigender | |
| Immobilienpreise weitgehend aufgelöst. In den ehemaligen Häusern der | |
| Arbeiter wohnen nun auch Anwälte, Ärzte, Ingenieure und Erben und alle | |
| anderen, die sich die Berliner Ruhe noch leisten können. Ausgerechnet in | |
| dieser Gegend formierte sich in den vergangenen Monaten ein Projekt mit | |
| großer bundespolitischer Bedeutung. Ausgerechnet, weil der Blick vom Dach | |
| nun in den Keller geht. Denn dort steht etwas, was klimapolitisch über | |
| Jahrzehnte vernachlässigt wurde. | |
| Christian Küttner sitzt in der „Friseurkunst“, einem ehemaligen | |
| Friseursalon nahe der U-Bahn-Station. Der Raum ist vollgestellt mit | |
| Pinnwänden, an denen diverse Zettel und Dokumente über das Wärmebild des | |
| Quartiers hängen. Sie gehören zum Vereinsprojekt Klimafreundliches Quartier | |
| (KliQ), das 2022 aus dem Verein Klimafreundliche Papageiensiedlung (KliP) | |
| hervorging, um das Leben nach eigenen Worten im gesamten | |
| Krumme-Onkel-Oskar-Kiez „im sozialen und globalen Sinne klimafreundlicher | |
| zu gestalten.“ | |
| „Ich hatte immer eine Affinität fürs Praktische“, sagt Küttner, 64, | |
| gelernter Elektriker und Informatiker und Leiter einer Software-Firma. Seit | |
| 24 Jahren lebt er im Quartier, seit neun Jahren ist er ehrenamtlich im | |
| Bezirk aktiv, als Sprecher der Bürgerinitiative Zehlendorf, als Mitglied im | |
| Verein Papageiensiedlung e. V. und als Mitinitiator von KliQ. Jedes Mal | |
| ging es darum, nachhaltige Stadtentwicklung von der Theorie auf die Straße | |
| zu bringen. | |
| Der großen ökologischen Transformation möchten sie in Zehlendorf im Kleinen | |
| begegnen. Zuvor lag der Fokus der Aktiven im Quartier auf dem Ausbau von | |
| Photovoltaik. 80 Dächer von Schulen, Mietshäusern und Eigentumswohnungen | |
| stattete man in den vergangenen Jahren mit Solarkraft aus. Im Oktober 2023 | |
| folgte der nächste Schritt: in ihren Briefkästen fanden die Hausbesitzer im | |
| Viertel einen Zettel. Man plane die Gründung einer Energiegenossenschaft, | |
| informierte die Initiative, um die Wärmeversorgung im Quartier in den | |
| nächsten zehn Jahren klimaneutral und genossenschaftlich zu betreiben. | |
| Konkret gehe es um den Aufbau von sogenannten kalten Nahwärmenetzen, dessen | |
| technische und ökonomische Machbarkeit man nun in Studien prüfen lassen | |
| wolle. Ein solches Netz nutzt die ganzjährig stabile Temperatur im Boden | |
| als Grundlage, um umliegende Wohnungen und Häuser mittels Wärmepumpen zu | |
| heizen. | |
| An 1.850 Häuser verteilten sie die Flyer. Wen die Pläne neugierig gemacht | |
| hätten, könne ganz unverbindlich sein Interesse bekunden. Nach kurzer Zeit | |
| taten das 400 Haushalte. „Die Resonanz war für uns sehr überraschend“, sa… | |
| Küttner und lächelt. Die Genossenschaft ist für ihn das bislang größte | |
| Projekt. | |
| Der Zeitpunkt ist passend: Die vorangegangene Debatte in Deutschland über | |
| das Heizungsgesetz hat das Land polarisiert, gleichzeitig das Bewusstsein | |
| für das Wärmethema in der Gesellschaft geschärft. Das geplante Einbauverbot | |
| von neuen Öl- und Gasheizungen wurde zwar aufgeweicht, [2][dafür sind die | |
| Kommunen jetzt verpflichtet, eine konkrete Wärmeplanung zu erarbeiten]. Für | |
| Berlin bedeutet das: Bis spätestens Juni 2026 muss die Stadt wissen, wie | |
| sie den Gebäudesektor bis 2045 klimaneutral umstellen will. | |
| Auch wenn damit die Verantwortung vorerst wieder von den Bürgern zur | |
| Kommune gewandert ist, sei dennoch im Bezirk vielen klar geworden, dass | |
| etwas gemacht werden müsse, erklärt Küttner. Die Zettel in den Briefkästen | |
| kamen da genau richtig, wobei die Motivation der Leute ganz unterschiedlich | |
| sei. „Es gibt den Schwaben, der aufs Geld schaut, den Physiklehrer, der von | |
| der Idee des kalten Nahwärmenetzes fasziniert ist, und den Architekten, der | |
| nicht will, dass in der Gegend überall Wärmepumpen stehen“, fasst der | |
| 64-Jährige zusammen. | |
| Im Grunde ist KliQ der Politik voraus und nimmt ihr wichtige Arbeit ab. Es | |
| will herausfinden, welche klimafreundlichen Heizlösungen sich im Bezirk am | |
| besten eignen. Die Initiative sprach bereits mit den Stadtwerken, | |
| Vattenfall und der Gasag, dem wichtigsten Gasnetzbetreiber im Bezirk, über | |
| alternative Heizlösungen im Gebiet, unter anderem über einen möglichen | |
| Anschluss ans Fernwärmenetz. Konkrete Planungen hatten sie alle nicht, so | |
| Küttner. „Jetzt machen wir es eben selbst und sind dabei schneller und | |
| ambitionierter als der Bezirk.“ | |
| In den Monaten nach dem Briefeinwurf organisierte die Initiative zwei | |
| Informationsabende. Die jeweils rund 120 Teilnehmer wurden auf neun Tische | |
| verteilt und bekamen den Arbeitsauftrag: Wir gründen eine Genossenschaft – | |
| was müssen wir tun? Am Ende gab es neun Geschäftspläne, sechs zum Thema | |
| Wärmewende und jeweils einen für Kieztreffs, Urban Gardening und Mobilität. | |
| Am 13. April 2024 war es dann so weit: 160 Leute kamen, 148 traten sofort | |
| der Genossenschaft bei. In einem 45-minütigen Prozedere mussten alle | |
| Gründungsmitglieder nach vorne treten und einzeln mit ihrer Unterschrift | |
| die neue Satzung bestätigen. Aus einem kleinen Nachbarschaftsprojekt wurde | |
| KliQ-Berlin e. G., die erste Energiegenossenschaft im Südwesten Berlins. | |
| Christian Küttner sitzt seitdem im Vorstand. Für ihn eine gänzlich neue | |
| Erfahrung. Die Genossenschaft sei die beste Organisationsform, um aus der | |
| Bürgerschaft Dinge konkret voranzubringen. „Ich habe einfach gesehen, dass | |
| Kommunen und Verwaltungen mit den Herausforderungen komplett überfordert | |
| sind.“ Ein wesentlicher Grund für ihn, es selbst in die Hand zu nehmen. | |
| „Was wir jetzt vorhaben, hat vielleicht noch keiner in Deutschland | |
| gemacht“, vermutet der Informatiker. Nahwärmenetze als Technologie hat sich | |
| im Neubau zwar bewährt, im Altbau ist sie aber absolutes Neuland. | |
| Die Ausgangslage ist komplex: Noch dominiert im Quartier die Gasheizung mit | |
| 50 Prozent, gefolgt von fossiler Fernwärme mit 40 Prozent und der | |
| Ölheizung. [3][Klimafreundlichere Technologien wie Wärmepumpen sind die | |
| absolute Ausnahme] und das kalte Nahwärmenetz im Bestand noch ohne Vorbild. | |
| Durch eine mit dem KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“ geförderte | |
| Studie hatten sich die Initiatoren noch vor Gründung der Genossenschaft von | |
| der Berliner Energieagentur (BEA) ein generelles Potenzial für die | |
| Wärmewende bescheinigen lassen. „Jetzt brauchen wir belastbare Zahlen und | |
| müssen hausnummergenau arbeiten“, erklärt Küttner. Dafür müssen jetzt zw… | |
| weitere Studien die Machbarkeit für kalte Nahwärmenetze im Quartier | |
| bestätigen. Kostenpunkt: um die 20.000 Euro, die die Genossenschaft zur | |
| Hälfte selbst finanziert muss. Der Rest wird bei erfolgreichem | |
| Förderbescheid durch Landes-, Bundes- oder EU-Mittel übernommen. | |
| Im Kern geht es bei der nächsten Machbarkeitsstudie um zwei Fragen: Ist ein | |
| kaltes Nahwärmenetz sowohl baulich als auch preislich im Bestand überhaupt | |
| realisierbar? Insbesondere in einer Gegend, in der es viele alte Bäume und | |
| Pflasterstraßen gibt und in der rund 50 Prozent der Gebäude | |
| denkmalgeschützt sind? Denn der Bau eines kalten Nahwärmenetz setzt harte | |
| infrastrukturelle Eingriffe voraus. | |
| Zuerst müssen an zentralen Punkten im Quartier geeignete Orte für | |
| Wärmespeicher im Boden ermittelt und erschlossen werden. Gegebenenfalls | |
| braucht es auch noch eine größere Luftwärmepumpe, die an warmen Tagen die | |
| Energie in den Boden einspeisen. Da unter der Erde ganzjährig relativ | |
| konstante Temperaturen herrschen, lassen sich Böden ideal als kostenlose | |
| Energiespeicher nutzen. Im Anschluss müssen die Rohrleitungen von den | |
| zentralen Erdspeichern zu den Gebäuden und wieder zurück verlegt werden. | |
| Die Leitungen transportieren die gewonnene Erdwärme in Form von Wasser zu | |
| den angeschlossenen Gebäuden. Dort sind Wärmepumpen installiert, die die | |
| niedrige Temperatur des Wassers aus dem Nahwärmenetz aufnehmen und für | |
| Heizung und Warmwasser auf eine höhere Temperatur von 35 bis 55°C | |
| aufbereiten. Die Wärmepumpe funktioniert dabei ähnlich wie ein Kühlschrank, | |
| jedoch in umgekehrter Richtung: Sie entzieht dem Wasser Wärme und gibt | |
| diese an das Heizsystem des Gebäudes ab. | |
| Der große Vorteil eines kalten Nahwärmenetzes im Vergleich zur klassischen | |
| Luftwärmepumpe im Garten ist die Effizienz. Erdspeicher nutzen die | |
| konstante Temperatur des Erdreichs, die in tieferen Schichten das ganze | |
| Jahr über recht stabil bleibt (ca. 10 bis 15°C in Mitteleuropa). Dies führt | |
| zu einer gleichmäßigen und zuverlässigen Wärmequelle. Die Wärmepumpe in den | |
| Kellern der Häuser muss das Wasser also weniger zusätzlich erhitzen. | |
| Luftwärmepumpen dagegen sind auf die Außenluft angewiesen, deren Temperatur | |
| saisonalen Schwankungen unterliegt. Besonders im Winter, wenn der | |
| Wärmebedarf am höchsten ist, ist der Betrieb wesentlich stromintensiver und | |
| teurer. | |
| Für Küttner ist das ein entscheidender Punkt – neben der Verlässlichkeit | |
| und Langlebigkeit der Nahwärme: „Im Idealfall bauen wir das Netz und haben | |
| 100 Jahre Ruhe.“ Doch kompensieren die günstigeren Betriebskosten | |
| tatsächlich die höheren Investitionskosten? „Wo die Preise liegen, wissen | |
| wir derzeit nicht“, gibt Küttner zu. Viel hänge zum Beispiel von der | |
| zukünftigen Entwicklung des Strompreises ab. Wird Strom immer teurer, | |
| spräche dies für das Nahwärmenetz. Wird er dagegen billiger, für die | |
| Luftwärmepumpe. „Das wollen wir mit der Machbarkeitsstudie jetzt | |
| herausfinden.“ | |
| Doch unabhängig davon, zu welchem Ergebnis die Ingenieurbüros kommen mögen: | |
| Am Ende wird es auch eine Abwägung sein. Wäre die Genossenschaft bereit, in | |
| der Gegenwart mehr zu investieren, die Bauarbeiten zu akzeptieren, die | |
| Früchte aber erst in Zukunft zu ernten? Am Ende werden die Mitglieder | |
| abstimmen, ganz demokratisch, wie es in der Satzung der Genossenschaft | |
| verankert ist. | |
| Eines der Mitglieder ist Wolfgang Thießen. Seit neun Jahren lebt er mit | |
| seiner Frau in der Sprungschanzensiedlung am Rande des Grunewalds. Von | |
| außen sieht das Haus, ein Spitzdach aus den 1960er Jahren, klein und | |
| unscheinbar aus. Innen ist es nach mehreren Sanierungswellen modern und | |
| hell. Auch ein Wintergarten-Anbau kam mit der Zeit dazu. | |
| Thießen sitzt auf der Terrasse seiner „Scheibchen-Villa“, wie er die Häus… | |
| in der Straße liebevoll nennt. Von dort geht der Blick hinaus in den | |
| gepflegten Garten, der durch [4][hohe Kiefern] begrenzt wird. Er erinnert | |
| sich, wie ihn damals ein Nachbar auf die Genossenschaftspläne ansprach und | |
| er sofort überzeugt war. „Es steht halt irgendwann an, es ist | |
| alternativlos“, sagt der gelernte Geophysiker. | |
| Noch heizen sie im Haus mit Gas. Mit ihrem Einzug 2015 hatten sie die alte | |
| Ölheizung rausgeworfen, doch früher oder später müsse natürlich auch das | |
| Gas ersetzt werden, so Thießen, der als ehemaliger Projektleiter für | |
| Offshore-Windanlagen mit Energiefragen bestens vertraut ist. „Wir haben | |
| zwar selber schon mal darüber nachgedacht, die Gasheizung rauszuschmeißen | |
| und uns eine Wärmepumpe zuzulegen, doch politisch gab es ja keinen Druck.“ | |
| Daher sei die Idee der Genossenschaft für sie zu einem passenden Zeitpunkt | |
| gekommen. | |
| Thießen machte selbst aktiv Werbung, warf Flyer in Briefkästen und erzählte | |
| Menschen in der Nachbarschaft davon. Sein Wunsch wäre, dass sich eine der | |
| ersten Machbarkeitsstudien genau seine Siedlung vornehmen würde und hier | |
| ein erstes Teilnetz für die Nahwärme entstehen könnte. „Eine spannende | |
| Technologie“, findet er, auch weil klassische Wärmepumpen immer noch zu | |
| laut und ineffizient seien. Thießen sieht sein Quartier für den Spatenstich | |
| bestens geeignet. „Es gibt hier keinen Denkmalschutz, keine Straßenbäume | |
| und keinen Pflasterstein“ – alles Faktoren, die dem zuständigen Bezirksamt | |
| gefallen und die Bauarbeiten erheblich erleichtern könnten. | |
| Das Verhältnis zum grün-rot-gelb geführten Zehlendorfer Bezirksamt wird für | |
| die Genossenschaft tatsächlich noch entscheidend sein. Der Aufbau eines | |
| Nahwärmenetzes im Gebäudebestand ist nämlich ein kritischer chirurgischer | |
| Eingriff. Wenn erste Bohrungen auf öffentlichem Grund erfolgen, Gehwege | |
| aufgerissen, Bäume gefällt und Leitungen verlegt werden müssen, könnte das | |
| Bezirksamt der Genossenschaft umfangreiche Genehmigungsverfahren und | |
| bürokratische Hürden auferlegen, die wertvolle Zeit und Ressourcen kosten. | |
| Zum Beispiel könnten umfassende Boden- und Umweltuntersuchungen | |
| erforderlich sein, um sicherzustellen, dass das Projekt darauf keine | |
| negativen Auswirkungen hat. Darüber hinaus könnte es Widerstand seitens der | |
| Anwohner geben, die das Bezirksamt berücksichtigen muss und somit | |
| öffentliche Anhörungen und zusätzlichen Kompromisse verlangen. | |
| Grundsätzlich sind bürokratische Mühlen nicht die schnellsten und in Berlin | |
| mahlen sie besonders langsam – ganz besonders, wenn das Amt dem Anliegen | |
| der Genossenschaft skeptisch gegenüberstehen würde. | |
| Zumindest zum grünen Bezirksstadtrat für Umwelt, Straßen und Grünflächen, | |
| Urban Aykal, besteht aber schon mal ein guter Kontakt. Auch am | |
| Gründungsabend war dieser anwesend. Dort betonte Aykal, dass man das | |
| Bezirksamt nicht nur als Ansprechpartner, sondern auch als Partner | |
| verstehen solle. Eine bedingungslose Unterstützung bedeute das jedoch | |
| nicht, am Ende müsse man gemeinsam nach der bestmöglichen Lösung suchen. | |
| Gegenüber den Plänen der Genossenschaft ist Aykal aber offen, auch um ihr | |
| mögliche Sondergenehmigungen zu erteilen. Allerdings ist die Personaldecke | |
| dünn. Seit über zwei Jahren ist in Zehlendorf der Posten des | |
| Klimaschutzbeauftragten vakant, der in anderen Bezirken wichtige Maßnahmen | |
| zur Wärmewende koordiniert. Ab Herbst soll die Stelle wieder besetzt sein. | |
| „Wir sind gerade ziemlich ausgelastet“, gibt Aykal zu verstehen. Ist der | |
| Klimaschutzbeauftragte da, wolle man eine Stabsstelle im Bezirk errichten, | |
| um bürokratische Prozesse zu beschleunigen, doch ohne personelle und | |
| finanzielle Hilfe vom Senat würde es schwer werden. „Meine | |
| Wunschvorstellung ist, dass der Senat die Genossenschaft als Blaupause für | |
| die Wärmewende erkennt.“ Denn auch in anderen Außenbezirken gäbe es, was | |
| die Bewohner, Häuser und Eigenheimquote angeht, ähnliche Voraussetzungen | |
| wie in Zehlendorf, auf die sich die Pläne übertragen ließen. | |
| Die Ansicht, dass die Genossenschaft jetzt genau die Arbeit macht, die der | |
| Bezirk oder der Senat schon längst hätten leisten müssen, lehnt Aykal ab. | |
| „In einer demokratischen Gesellschaft ist es wichtig, wenn auch von unten | |
| Akzente gesetzt werden.“ Die Politik wachrütteln, das sei schließlich der | |
| Job der Zivilgesellschaft. „Wenn wir nicht einmal in einer Generation die | |
| Wärmewende umsetzen wollen, müssen alle mit anpacken.“ | |
| Ob die Genossenschaft am Ende tatsächlich erfolgreich sein wird, hängt | |
| jetzt neben der Politik maßgeblich von den Ergebnissen der neuen | |
| Machbarkeitsstudie ab. Gibt sie grünes Licht für das kalte Nahwärmenetz, | |
| wird es ernst. Dann möchte die junge Genossenschaft Ingenieurbüros mit der | |
| Fachplanung beauftragen, und anschließend Baufirmen mit der Umsetzung des | |
| ersten Teilstücks des Netzes beauftragen. „Wir fangen klein an und wenn wir | |
| auch in der Praxis sehen, dass es klappt, können wir das Netz beliebig | |
| erweitern“, sagt Vorstand Küttner. Das sei schließlich der große Vorteil | |
| eines solchen modularen Netzes – neue Haushalte könne man einfach | |
| anschließen und das Netz so immer weiter wachsen. | |
| Und was ist mit den Menschen, die kein Teil der Genossenschaft sind? „Wir | |
| wollen kein Vereinsnetz daraus machen und würden natürlich auch | |
| Nicht-Mitglieder anschließen“, versichert Küttner. Zwar könne es sein, dass | |
| die Tarife etwas angepasst werden, da die Mitglieder durch ihre Einlagen | |
| den Bau des Netzes ermöglicht haben, doch grundsätzlich stünden die | |
| Dienstleistungen der Genossenschaft jedem offen. „Je mehr Leute sich an | |
| unser Wärmenetz anschließen lassen, desto teurer wird es für alle, die | |
| weiter am Gas hängen.“ Irgendwann müssten die Betreiber das Gasnetz ganz | |
| stilllegen, weil es nicht mehr rentabel sei. „Dann machen wir ein Biernetz | |
| daraus“, scherzt Küttner. | |
| Noch ist das Zukunftsmusik, doch der Informatiker ist sich sicher: Wer | |
| heute noch eine neue Öl- oder Gasheizung kauft, bekomme bald keine | |
| Ersatzteile mehr. „Die Transformation ist längst im vollen Gange und die | |
| Politik ist einfach nicht mutig genug, das zu kommunizieren.“ Die | |
| Erfahrungen, die die Genossenschaft jetzt sammelt, lassen sich weitergeben | |
| – nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Land. „Wir bekommen jetzt schon | |
| erste Anfragen von Bürgern, die wissen wollen, wie man eine Genossenschaft | |
| gründet“, erzählt Küttner. Vielleicht sei man in zehn Jahren nicht nur | |
| Energieanbieter, sondern auch Energieberater, sozusagen als neues | |
| Geschäftsmodell. Denn natürlich muss auch eine gemeinwohlorientierte | |
| Genossenschaft schwarze Zahlen schreiben. | |
| „Im Grunde brauchen wir jetzt eine neue Genossenschaftsrevolution in | |
| Deutschland“, träumt Christian Küttner. „Tausende Initiativen, die wie wir | |
| im ganzen Land die Wärmewende vorantreiben.“ Eine Revolution also, die im | |
| Südwesten Berlins im April 2024 vielleicht ihren Anfang nahm. | |
| 25 Jun 2024 | |
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