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# taz.de -- Buchmesse Frankfurt, Problemgast Italien: Bleib doch zu Hause
> Kulturkampf um Italiens Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse. Kritiker
> der Rechten wie Roberto Saviano sollten nicht eingeladen werden.
Bild: Oh, so schön kann Neapel sein. Wandgemälde links: Gesicht von Angela Da…
Kürzlich geriet der italienische Schriftsteller Roberto Saviano mal wieder
in den Mittelpunkt einer Polemik. Der weltbekannte Mafiakritiker und Autor
von „Gomorrha“ lebt seit 18 Jahren unter Polizeischutz. Er wird in seinem
Land von der Mafia bedroht, aber auch regelmäßig von der politischen
Rechten beschimpft.
Die jetzige Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat ihn wegen Diffamierung
vor Gericht gebracht. In einer Fernsehsendung hatte Saviano das
Migrationsnarrativ von Meloni und Salvini 2020 kritisiert und beide
„bastardi“, Bastarde, genannt.
Diesmal ging es um seine Teilnahme an der kommenden Frankfurter Buchmesse,
bei der Italien als Gastland erwartet wird. Der Sonderbeauftragte Mauro
Mazza, der für das Programm auf der Buchmesse zuständig ist und von Melonis
Partei Fratelli d’Italia vorgeschlagen wurde, teilte mit, dass Saviano,
einer der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart, nicht unter den rund
hundert eingeladenen Schriftsteller*innen sei. Man wolle anderen
Stimmen aus Italien mehr Raum geben, deren Werke „origineller“ seien.
Mit Kampagnen und Plagiatsvorwürfen sieht sich Roberto Saviano seit Langem
konfrontiert. Vor einigen Jahren musste der Schriftsteller sogar 6.000 Euro
bezahlen, weil er in seinem Buch „Gomorrha“ einige Zeitungsartikel nicht
richtig zitiert haben soll. Seitdem hat sich die Geschichte zu einem
Scheinargument entwickelt, um Savianos Kritik an den Regierungsparteien
abzumoderieren.
## Konfrontation mit Meloni
Schließlich ist Saviano, den man weltweit vor allem als Anti-Mafia-Autor
kennt, einer der politisch exponiertesten Autor*innen Italiens auf der
Linken. Er äußert sich regelmäßig auch zu Themen wie Migration und
Menschenrechte – und scheut dabei keine Konfrontation mit der Regierung
Melonis.
Als Reaktion auf die Nichteinladung Savianos bekundeten viele italienische
Autor*innen ihre Solidarität mit ihm. Sandro Veronesi etwa sprach von
„dummen und lächerlichen Gründen“ der Nichtberücksichtigung.
Und Paolo Giordano fragte, „wie kann man überhaupt auf die Idee kommen,
ihn nicht in eine italienische Delegation einzuladen?“ Auch Nicola Lagioia,
früherer Direktor der Turiner Buchmesse, meinte, dass Autoren wie Saviano
„aus Rache der Regierung nicht eingeladen“ würden.
Die Beziehung zwischen einer Regierung und den Intellektuellen ist häufig
nicht unbedingt romantischer Natur, im Gegenteil. In Italien hat sich die
Debatte aber längst in eine Art Feldzug gegen kritische Positionen
verwandelt. Kritische Stimmen werden vom Fernsehen und anderen wichtigen
öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen.
## Monolog abgesagt
So auch im Fall von Antonio Scurati. Der Schriftsteller sollte am 25.
April, dem jährlichen „Tag der Befreiung“ vom Nazifaschismus, einen Monolog
im staatlichen Fernsehen halten, in dem er den Antifaschismus zelebrieren
und Premierministerin Meloni dafür kritisieren wollte, dass sie sich nie
vom Faschismus Mussolinis distanziert habe. Doch Scuratis Monolog wurde
plötzlich abgesagt. Der offizielle Grund: Er wäre zu teuer gewesen.
Im Wahlkampf vor den Parlamentswahlen 2022 sprach Giorgia Meloni [1][von
einer „kulturellen Hegemonie“ der Linken], der sie sich entgegenstellen
wolle. Bisher tut sie das hartnäckig. Während Silvio Berlusconi sich über
die Kultur noch lustig machte, gilt sie den Postfaschisten als wichtiges
Feld, um ein Narrativ zu konstruieren und eine Konsensverschiebung zu
erreichen.
Wichtige Posten werden konsequent mit Melonis Leuten neu besetzt. Das gilt
für das Staatsfernsehen RAI, das größte Kulturunternehmen des Landes,
dessen Spitzenpositionen sowieso von jeder Regierung nominiert und
getauscht werden, aber auch für Museen oder Theater.
Ein großes Problem ist aber noch ein anderes. Auf der politischen Bühne
wird fortwährend gegen kritische Intellektuelle Stimmung gemacht. Dabei
wird ein offensichtliches Machtgefälle deutlich. Hochrangige
Politiker*innen verfügen über eine Partei, einflussreiche Netzwerke
und Kommunikationskanäle. Autor*innen haben nur ihre Verlage und
Leserinnen und Leser hinter sich. Doch auch wenn es noch so viele sind, so
bleiben es doch nur Leserinnen und Leser.
## Klima der Intoleranz
[2][So wurde Roberto Saviano] ebenso wie [3][die 2023 verstorbene Michela
Murgia] immer wieder Ziel von Hetzkampagnen rechter Medien. Auch andere
berichten von einem Klima der Einschüchterung und der Intoleranz. „Die
italienische Regierung verachtet die Kultur und ihre eigenen
Schriftsteller“, sagt Nicola Lagioia.
Aber zurück nach Frankfurt. Auch die Ernennung des Sonderbeauftragten Mauro
Mazza für die Buchmesse hat mehr mit politischen Verstrickungen als mit
dessen Kenntnis der italienischen Gegenwartsliteratur zu tun. Mazza (geb.
1955) ist ein Journalist und der seine Karriere beim Secolo d’Italia
begann. Das war einst die Zeitung der neofaschistischen Partei Movimento
Sociale Italiano.
Danach wechselte er zum Staatsfernsehen, während der zweiten
beziehungsweise der vierten rechten Berlusconi-Regierung wurde er zum
Direktor der Nachrichtensendung TG2 und des Senders RAI 1 ernannt. Als er
nun wegen der Saviano-Affäre kritisiert wurde, schob er die Verantwortung
von sich ab.
Schuld seien die italienischen Verlage, die Saviano nicht auf ihren
Vorschlagslisten gehabt hätten. Eine unwürdige Posse. Es ist in jedem Fall
Aufgabe des Kommissars, das Programm für die Buchmesse zu koordinieren, zu
ergänzen und zu genehmigen. Nach dem Skandal suchte Mazza zu retten, was zu
retten war. Er lud Saviano doch noch ein. Zu spät, jetzt lehnte der Autor
ab.
## Es rumort im Hintergrund
Mauro Mazza ist bereits der zweite Verantwortliche für die italienische
Delegation der Buchmesse. Vor einem Jahr hatte Italiens Verlegerpräsident
Ricardo Franco Levi, der noch von Mario Draghi ernannt worden war, den
Posten inne, ehe er zurücktrat. Hintergrund waren ein Interessenkonflikt
(er hatte die Agentur seines Sohnes mit der Kommunikationsarbeit bei der
Buchmesse beauftragt), aber auch eine „Ausladung“.
Der Physiker und Schriftsteller Carlo Rovelli sollte Italien bei der
Eröffnungsfeier in Frankfurt vertreten. Doch dann kritisierte er während
einer großen Musikveranstaltung Waffenlieferungen an die Ukraine. Seine
Ansichten muss man nicht teilen. Aber entscheidender war vielleicht sein
Hinweis auf die enge Verflechtung von Verteidigungsminister Guido Crosetto
(von Melonis Partei Fratelli d’Italia) mit italienischen
Rüstungsunternehmen. Kurze Zeit später wurde Rovelli ausgeladen.
Kommissar Levi, selbst aus dem Mitte-links-Spektrum, sagte, er habe dies
ohne Druck und aus „institutioneller Vorsicht“ getan. Am Ende musste Levi
seinen Posten räumen. Rovelli wurde zwischenzeitlich wieder eingeladen.
Von den vielen Schriftsteller*innen, die in Frankfurt anwesend sein
werden, werden dennoch viele davon durchaus kritisch gegenüber der
Regierung in Rom sein. Auch wenn sie nicht so exponiert und engagiert sind
wie ein Roberto Saviano. Für Lagioia hat das auch damit zu tun, dass viele
Künstler*innen zu Hause von der Regierung attackiert werden. Doch im
Ausland ist die Regierung auf sie angewiesen, um ein Programm
zusammenstellen zu können.
Und was Roberto Saviano angeht: Natürlich wird er im Herbst dabei sein. Auf
Einladung von ZDF, Buchmesse und seinem deutschen Verlag.
22 Jun 2024
## LINKS
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[2] /Mafia-in-Italien/!5999765
[3] /Erzaehlungen-von-Michela-Murgia/!5989985
## AUTOREN
Francesca Polistina
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