| # taz.de -- Modemagazin „Vogue“ will politisch sein: Welt verbessern im Pra… | |
| > Die deutsche „Vogue“ hat sich politisiert. Auch, weil die Werbewelt von | |
| > Diversität profitieren will. Margot Friedländer auf dem Cover passt dazu. | |
| Bild: Kerstin Weng, Chefredakteurin von Vogue Germany | |
| Man kann den Scherz schon mal bringen: [1][Die Vogue ist jetzt woke]. Zum | |
| Relaunch der deutschen Ausgabe des Modemagazins von Condé Nast im April | |
| 2022 brachte die neue Chefredakteurin Kerstin Weng mit Badmomzjay die erste | |
| Rapperin samt der Zeile „Stand Up Speak Out“ auf das Cover. Dazu schrieb | |
| Weng in den sozialen Medien: „Ich sehe die hochgezogenen Augenbrauen | |
| einiger Leute direkt vor mir. Diesen Menschen möchte ich sagen: Das ist | |
| unsere Relaunch-Ausgabe. Mit neuer Schrift, neuem Layout, neuen Rubriken – | |
| und auch mit einer neuen Haltung.“ Was Vogue sei und was nicht, möchte sie | |
| nicht über „gesellschaftliche Zirkel“ definieren, „sondern über Relevan… | |
| Und setzte noch den Hashtag #zeitgeist dazu. | |
| Dieser Zeitgeist ist interessant. Denn die hochgezogenen Augenbrauen | |
| dürften sich in Grenzen gehalten haben, trifft man doch mit einer gewissen | |
| politischen Haltung einen Nerv. Etwas, das Alexandra Bondi de Antoni, die | |
| 2017 als Onlinechefin zur Vogue Deutschland kam, mit einer | |
| Repräsentationskampagne von People of Color begann, setzt Weng nun seit ein | |
| paar Jahren konsequent weiter um. | |
| Die traditionell wichtige September-Ausgabe erscheint mit dem sogenannten | |
| Plussize-Model Ashley Graham auf dem Titel. Kim Petras, Transperson und | |
| erfolgreicher Popstar mit deutschen Wurzeln in den USA, ziert ein weiteres | |
| Cover. Auch die Grünen-Politikerin Aminata Touré (Plussize, Schwarz und | |
| irgendwie links) ist einmal auf dem Titel abgebildet. | |
| ## Aktivismus verkauft sich immer besser | |
| Und sonst? [2][Ukrainische Designer kommen zu Wort]. Teilnehmerinnen der | |
| Special Olympics werden gestylt. Es geht um „change“. Die Abkürzung FLINTA* | |
| muss nicht mehr erklärt werden und ein Beitrag zur Fussball-EM beschäftigt | |
| sich mit Patriotismus. Natürlich wird die Journalistin Düzen Tekkal | |
| interviewt, das neue Buch der jüdischen Girlboss-Autorin Mirna Funk wird | |
| vorgestellt und Klimaktivistin Luisa Neubauer hat in der neuen Vogue auch | |
| ihren Platz. | |
| Reichte es früher ein sehr, sehr dünnes Model auf das Cover zu setzen, um | |
| Aufmerksamkeit zu erlangen, muss es heute [3][die 102-jährige | |
| Holocaust-Überlebende Margot Friedländer] sein. Journalistisch ist das | |
| ziemlich genial und erinnert an gutes altes Magazinmachen, das es in | |
| Deutschland so kaum noch gibt. Denn was gibt es schöneres als das Alter, | |
| das Überleben und vor allem die Message von Friedländer, dass wir doch alle | |
| Menschen sind? Es ist auch nicht geschmacklos, wie einige fanden. Immerhin | |
| findet in Israel mit der „Miss Holocaust Survivor“ seit Jahren ein | |
| Schönheitswettbewerb für Überlebende statt. Der Titel ist eine Feier des | |
| Lebens. | |
| Kerstin Weng, die auf die streng hanseatisch wirkende Christiane Arp folgte | |
| und die von der InStyle kam, macht einen beachtlichen Job. Die Auflage | |
| sinkt zwar kontinuierlich und hat sich seit 2015 laut IVW-Zahlen mehr als | |
| halbiert auf rund 88.000 Druckexemplare. Aber das dürfte den meisten | |
| Modemagazinen so gehen. | |
| ## Online zieht's | |
| Weng und ihr Team haben es dafür geschafft, eine Millionen Follower bei | |
| Tiktok zu versammeln. Sie haben sogar Modefürstin Anna Wintour für ein | |
| Vogue-Event nach Germany bekommen. Gerade hat Swarowski eine ganze | |
| Österreich-Ausgabe gesponsert. Auf dem Titel ist die Schauspielerin Verena | |
| Altenberger zu sehen, die sich – laut Editorial – politisch äußert, | |
| progressiv und laut ist. Im Heft: Texte zu Femiziden, Trachten, Wiener | |
| Modedesignern, klar, Conchita Wurst. Ist doch gelungen! | |
| Also alles toll und super und richtig – nur bekommt man eben doch auch | |
| etwas Bauchschmerzen. Dass Friedländer Mode der Prada-Zweitlinie „Miu Miu“ | |
| trägt und auch dieses Modehaus mit der italienischen Mafia verwoben, | |
| Kleidung zu Dumpinglöhnen von Arbeiterinnen ohne Tarifvertrag nähen ließ, | |
| ja mei, das sind wohl die Widersprüche, die man im Kapitalismus aushalten | |
| muss. Genauso wie Greta Thunberg auf dem Cover der skandinavischen Ausgabe. | |
| Aber wie gut geht es zusammen, wenn man die Autorin Moshtari Hilal zu | |
| ihrem Buch über als hässlich markierte Körper interviewt und ein paar | |
| Seiten zuvor für Wellnesspflaster und teure Lippenstifte geworben wird? | |
| Engagement wird bei Vogue zum Werbeumfeld für Modemarken, deren Preise in | |
| den letzten Jahren so sehr gestiegen sind, dass sie sich jetzt nicht mehr | |
| die Reichen, sondern nur noch die Superreichen kaufen können (Das wird in | |
| Ausgabe 6/24 auch kurz thematisiert). | |
| Wenn man heute als Influencerin/Businesswomen/Content-Creatorin erfolgreich | |
| sein will, dann gehört Haltung eben dazu. Dass sich in der Juni-Ausgabe | |
| eine bekannte deutsche Schauspielerin als queer outet, und das im großen | |
| Interview mit einem Rechtsruck begründet wird, verliert bei der Zielgruppe | |
| auch nicht an Glaubwürdigkeit, wenn in der Woche drauf ein Podcast von ihr | |
| und ihrer Partnerin veröffentlicht wird. Follower wollen ohnehin nur | |
| wissen, ob man sich mit dem Vorbild wohlfühlen kann. Und in Zeiten, in | |
| denen es reicht, die (westdeutsche) Demokratie zu verteidigen, um auf der | |
| richtigen Seite zu stehen, braucht es da eben nicht viel. Aber ab wann wird | |
| die politische Haltung zur leeren Hülse? | |
| ## Lifestylesegment Diversität | |
| Nichts davon ist dem Team der Vogue vorzuwerfen, es ist ja eine | |
| allgemeinere Entwicklung. Zu den Protesten der Black-Lives-Matter-Bewegung | |
| wurde es vielleicht erstmals so deutlich sichtbar: Wer auf Demos geht, kann | |
| das auch in ästhetisch ansprechenden, wie Modeshots inszenierten Fotos, | |
| festhalten. Damals war nicht nur Instagram voll von Bildern, im Juni 2020 | |
| veröffentlichte auch die Website der deutschen Vogue | |
| Streetstyle-Fotografien von Demoteilnehmer:innen mit Protestschildern | |
| in der Hand. | |
| Als Russland die Ukraine überfiel, weinten Influencerinnen in die Kamera, | |
| bevor sie die nächste Markenkooperation teilten und wenn sich Frauen zur | |
| Businessvernetzung treffen – Moderatorinnen mit Migrationshintergrund neben | |
| CSU-Politikerinnen – dann gehört es eben dazu, sich engagierte Speakerinnen | |
| zu buchen. Da wird auch schon mal das potentielle Opfer eines sexuellen | |
| Übergriffs als Female-Empowerment-Maskottchen eingeladen, um ein | |
| progressives Umfeld für Geschäftsabschlüsse und Werbepartner zu schaffen. | |
| Natürlich ist auch die Mode längst in diesem Sinne politisch. Heidi Klum | |
| quietscht „Diversityyyy“ und die Kufiya ist zum lautesten Modestatement der | |
| jüngeren Geschichte geworden. Und das ist deswegen alles so leicht und | |
| schön und einfach, weil es keinerlei Konsequenzen oder progressive Ideen | |
| dafür braucht. Für diesen #zeitgeist macht die deutsche Vogue das perfekte | |
| Magazin. | |
| 21 Jun 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /40-Jahre-deutsche-Vogue/!5638778 | |
| [2] /Vogue-in-der-Ukraine/!5929449 | |
| [3] /Margot-Friedlaender-auf-Vogue-Titel/!6014636 | |
| ## AUTOREN | |
| Laura Ewert | |
| ## TAGS | |
| Vogue | |
| Mode | |
| Fashion | |
| Model | |
| Magazin | |
| Social-Auswahl | |
| Margot Friedländer | |
| Zeitschriften | |
| Mediennutzung | |
| Holocaustüberlebende | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Vogue | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neues Heftchen für die Gen Z: Brainrot auf Papier | |
| Im neuen Magazin „InStyle Gen Z“ gibt’s generationsspezfische | |
| Kaufempfehlungen für teures Protein-Popcorn. Auch Micro-Trend ist hier kein | |
| Unwort. | |
| 25 Jahre „Perlentaucher“: „Wer uns ‚rechts‘ nennt, kann selbst nicht … | |
| Perlentaucher-Gründer Thierry Chervel über die 25-jährige Geschichte der | |
| Onlineplattform für Kultur und Literatur und wie man online besteht. | |
| Margot Friedländer auf „Vogue“-Titel: Covergirl mit 102 | |
| Margot Friedländer überlebte den Holocaust, und besucht bis heute Schulen. | |
| Das Modemagazin „Vogue“ hebt sie nun auf ihr Cover – ein starkes Statemen… | |
| „Vogue“ in der Ukraine: Glamour im Terror | |
| „Der Weg der Unverwüstlichen“ lautet der Titel der wieder erscheinenden | |
| „Vogue“ Ukraine. Abgebildet wird nicht zuletzt der Freiheitskampf des | |
| Landes. | |
| 40 Jahre deutsche „Vogue“: Keine Scheu vor Plattitüden | |
| Mit einer Ausstellung feiert die deutsche Ausgabe der „Vogue“ ihren | |
| Geburtstag. Hat sie es geschafft, elegant und radikal zu bleiben? |