| # taz.de -- 25 Jahre „Perlentaucher“: „Wer uns ‚rechts‘ nennt, kann s… | |
| > Perlentaucher-Gründer Thierry Chervel über die 25-jährige Geschichte der | |
| > Onlineplattform für Kultur und Literatur und wie man online besteht. | |
| Bild: Thierry Chervel (links) und Anja Seelinger (Mitte) erhielten 2003 den Gri… | |
| taz: Thierry Chervel, vor 25 Jahren ging der erste Perlentaucher online. | |
| Was hat euch zur Gründung dieses Online-Nachrichtendienstes bewegt? | |
| Thierry Chervel: Das Internet war damals eine Medienrevolution, nur | |
| vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks. Das neue Medium machte es | |
| möglich, uns selbstständig zu machen. Auf Papier wäre das nicht gegangen. | |
| taz: Hat sich die kultur- und debattenorientierte Öffentlichkeit im letzten | |
| Vierteljahrhundert verändert? | |
| Chervel: Jeder hat es ja mitbekommen. Es war nicht eine Revolution, sondern | |
| – wie russische Puppen – enthält sie mehrere Revolutionen: Erst das World | |
| Wide Web, dann Google, dann die sozialen Medien, dann die künstliche | |
| Intelligenz. Die traditionellen Träger der Öffentlichkeit – Zeitungen und | |
| Öffentlich-Rechtliche – sind zwar noch da, aber relativiert. Ich war damals | |
| optimistisch. Nun muss man sich angesichts von Figuren wie Elon Musk | |
| fragen, ob nicht die Pessimisten recht hatten. Und trotz oder wegen des | |
| Overkills an Informationen sind wir in eine Situation geschlittert, in der | |
| man nicht mehr weiß, was wahr und was falsch ist, wo links und rechts ist | |
| und wo Krieg wieder plausibel wird. | |
| taz: Ihr habt viele Debatten angestoßen – zu Islamismus, Historikerstreits, | |
| Antisemitismus. Wird es euch gelohnt, etwa in Form von wachsenden | |
| Zugriffszahlen? | |
| Chervel: In gewissem Maß ist der Perlentaucher, was Debatten angeht, ein | |
| Insiderphänomen geblieben. Wir haben vieles angestoßen, in anderes | |
| eingegriffen. Sicher, unsere Nutzerzahlen sind gewachsen, aber die | |
| traditionellen Medien haben immer sehr darauf geachtet, dass wir nicht mit | |
| den Großen am Tisch sitzen. Als wir noch unseren englischsprachigen Ableger | |
| signandsight.com hatten, der von der Bundeskulturstiftung gefördert wurde, | |
| waren klassische Medien in Amerika, Britannien oder Italien viel offener | |
| als deutsche, die etwa unsere Debatte über „Islam in Europa“ nie erwähnte… | |
| taz: Der Perlentaucher gilt in gewissen Kulturkreisen als „rechts“. Ist das | |
| triftig? | |
| Chervel: Wer uns „rechts“ nennt, kann selbst nicht links sein. Die sich | |
| heute als „links“ Lesenden beziehen ihren identitären Stolz aus moralischer | |
| Definitionsmacht. Sie sehen sich als die Wahrer bestimmter Normen oder | |
| Standards, die sie selber setzen und die es ihnen dann ermöglichen zu | |
| definieren, wer dazugehört und wer ausgeschlossen wird. Ihre moralische | |
| Definitionsmacht ist zugleich ein Geschäftsmodell: Wer sich ihren Normen | |
| fügt und sie verficht, hat dann eine Chance auf eine Beamtenstelle im | |
| Beauftragtenwesen. Kurz: Nein, der Perlentaucher ist nicht rechts. | |
| Rechtsextremismus darf sich unseres Abscheus ebenso sicher sein wie linker | |
| Antisemitismus und religiöser Totalitarismus. Übrigens hat André Glucksmann | |
| bei uns schon im Jahr 2005 vor dem [1][Paten des Rechtsextremismus gewarnt, | |
| Wladimir Putin]. | |
| taz: Der Perlentaucher ist eine historisierbare Institution. Gibt es Pläne, | |
| ihn etwa [2][im Literaturarchiv Marbach] zu bewahren? | |
| Chervel: Jedenfalls spiegelt der Perlentaucher die literarische | |
| Öffentlichkeit der letzten 25 Jahre wie kein anderes Medium in Deutschland. | |
| Darum haben wir eine Umfrage lanciert: „Welches sind für Sie die | |
| prägendsten Werke der deutschsprachigen Literatur seit 2000?“ Der Anfang | |
| des Jahrhunderts ist vorbei! Die wichtigsten KritikerInnen in Deutschland | |
| haben darauf geantwortet. In Literaturarchiv Marbach werden wir über das | |
| Ergebnis diskutieren. | |
| taz: Wie kann eine finanzierbare Zukunft für euch aussehen? | |
| Chervel: Wir bekommen aktuell keinerlei Subventionen und leben zu 80 | |
| Prozent von Einnahmen, die wir selbst erwirtschaften, und zu 20 Prozent von | |
| freiwilligen Abos unserer LeserInnen. Der Perlentaucher schwimmt zwar nicht | |
| im Geld, aber zurzeit sind wir, auch dank der LeserInnenunterstützung, | |
| finanziell stabil. | |
| taz: Ist der Perlentaucher eine vorweggenommene Zukunft der (kulturellen) | |
| Medienwelt? | |
| Chervel: Wir sind alle Eisbären im Klimawandel. Wir müssen uns anpassen, | |
| ohne uns aufzugeben. Das hat der Perlentaucher 25 Jahre lang ganz gut | |
| hingekriegt – und er hält die Nase weiter in den Wind. | |
| 24 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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