# taz.de -- 20 Jahre „Perlentaucher“: Immer auf der Suche | |
> Das Kulturmagazin „Perlentaucher“ hat Geburtstag. Seit 20 Jahren setzt es | |
> mit Presseschauen und eigenen Texten auf Ideologieferne und | |
> Streitfähigkeit. | |
Bild: Prost Perlentaucher! | |
Ob er und seine Kolleg*innen in diesen Tagen mit gewissem Stolz auf ihre | |
Projektgeschichte schauen, ist nicht gut zu beurteilen: Für ein | |
persönliches Treffen ist in diesen Tagen ja kein Raum. Aber Thierry | |
Chervel, ehemaliger taz-Kulturredakteur, danach Kulturkorrespondent der | |
Süddeutschen Zeitung in Paris, kann auch telefonisch seine Zufriedenheit | |
formulieren und auf seinen Perlentaucher gucken. 20. Geburtstag feiert in | |
diesen Tagen [1][das wichtigste „Kulturmagazin“ im Online-Bereich] – aber | |
was heißt hier „das wichtigste“: Es gibt ja kein anderes. | |
Und was macht diesen Nachrichtendienst besonders? Ältere Menschen werden | |
sich erinnern, dass es vor der Digitalisierung ungefähr einen halben | |
Zentner Papier täglich brauchte, um sich einen beinah vollständigen | |
Überblick über das Debatten- und Diskursgeschehen, über Kulturelles und | |
Politisches zu verschaffen. | |
Im Perlentaucher ist dies alles in einer Revue zu haben, unterteilt in die | |
täglich veröffentlichten Rubriken „9Punkt – Die Debattenrundschau“ sowie | |
„Efeu – Die Kulturrundschau“, darüber hinaus in einer regelmäßigen | |
Magazinrundschau (der relevanten internationalen Periodika). Im | |
„Ententeich“ werden Texte veröffentlicht, die von Autoren des Hauses | |
exklusiv für den Perlentaucher verfasst sind und direkt in die gängigen | |
Debatten intervenieren. | |
Das ist eigentlich ein simples Konzept: Alles wahrzunehmen, was kulturell | |
und politisch Stimmen wiedergibt. Keine ideologischen Beschränkungen, alles | |
aus einer linksliberalen Warte heraus wahrgenommen – besonders in den sehr | |
späten Abend- wie sehr frühen Morgenstunden, damit die aktuellen | |
Aufbereitungen jeweils eine bis fünf Minuten nach neun Uhr am frühen | |
Vormittag freigeschaltet werden können. | |
## Zusammenfassung statt Original | |
Und was war das [2][entscheidende Moment für Thierry Chervel] – der mit | |
Anja Seliger und Thekla Dannenberg, auch ehemalige taz-Redakteurinnen, | |
sowie freien Mitarbeiter:innen den Perlentaucher aufbereitet, dieses | |
„Kulturmagazin“ zu begründen? „Vielleicht habe ich das Revolutionäre am | |
Internet früher erkannt als andere, weil ich mich im Studium recht intensiv | |
mit der Geschichte des Buchdrucks befasst hatte. | |
Es gab da dieses Buch ‚The Printing Press as an Agent of Change‘ von | |
Elizabeth Eisenstein, das zeigte, wie der Buchdruck alle Bereiche komplett | |
auf den Kopf stellte. Und es gab ein paar Urerfahrungen wie die, dass die | |
New York Review of Books plötzlich am Computer zu lesen war. Vorher musste | |
man dafür zum Bahnhofskiosk fahren.“ Das bestärkte, so sagt Chervel, „eine | |
Presseschau zu machen“. | |
Diese Presseschauen (mit Texten aus etablierten Medien wie der FAZ, NZZ, SZ | |
oder taz, aber auch mit Fundstücken jenseits des Wahrnehmungsmainstreams, | |
Blogs beispielsweise) waren für die auflagenstarken Medien | |
selbstverständlich auch beleidigend: Man erfuhr und erfährt über den | |
Perlentaucher, was so gemeint und erörtert wird. Auf der anderen Seite | |
bekämpften die Geschäftsführungen von [3][FAZ und SZ das „Kulturmagazin“, | |
schon aus ökonomischen Gründen]: Sehr oft sind die Kondensate von Texten so | |
gut, dass sich die Lektüre der ganzen Artikel kaum mehr lohnt. | |
Persönlich wohlhabend wird man durch Arbeit für den Perlentaucher nicht, | |
Chervel und Kolleg:innen refinanzieren sich durch Anzeigen und freiwillige | |
Abonnements und bezahlen sich selbst mit untertariflichen Löhnen. | |
Und wie stellt sich Thierry Chervel die Zukunft des Perlentaucher vor – | |
rosig wegen der Printkrise? „Von der Zeitungskrise sprach man schon vor 20 | |
Jahren, also wird es wohl die Zeitungen auch in 20 Jahren noch geben, | |
zumindest als Marken. Der ‚Perlentaucher‘ ist in den letzten 20 Jahren | |
immer mehr zu einem eigenständigen Medium geworden.“ | |
Was zutrifft auch insofern, als Chervel ein journalistisches Verständnis | |
von liberaler Streitfähigkeit kultiviert: Nichts wird dem Gebot des | |
„Deplatforming“ unterworfen, dem Vorsatz, andere als die eigenen | |
(Milieu-)Stimmen unerwähnt zu lassen, und von der Idee, dass etwas nicht | |
geäußert werden darf, weil es „den Rechten dient“, halten die | |
Perlentaucher:innen auch nichts. Ob Mohammed-Karikaturen, die Würdigung | |
Salman Rushdies, den Streit darüber, ob man mit „Rechten“ reden dürfe oder | |
ob Religion einen besonders favorisierten Rang erhalten darf (nein!), etwa | |
in Sachen Sterbehilfe oder Organtransplantation – man setzt auf | |
Ideologieferne und Streitfähigkeit. | |
„Immer mehr braucht es Medien“, so Chervel, „die den klassischen | |
Qualitätsbegriff in die neue digitale Öffentlichkeit übertragen.“ | |
23 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-um-das-Kultur-Internetportal/!5138999 | |
[2] /Der-Perlentaucher-wird-10/!5145794 | |
[3] /Perlentaucher-vor-Gericht/!5190244 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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