# taz.de -- Fußballmagazin „Ballesterer“: Mehr als Spielergebnisse | |
> Das österreichische Magazin „Ballesterer“ feiert sein 20-jähriges | |
> Jubiläum – und startet gleichzeitig eine Überlebenskampagne. | |
Bild: Das Fußballmagazin Ballesterer | |
Rot und gelb leuchtet das aktuelle Cover des ballesterer, statt einem | |
Themenschwerpunkt gibt es einen Aufruf: „Rettet den ballesterer“. Das | |
traditionsreiche Fußballmagazin, gegründet vor zwanzig Jahren in Österreich | |
und mit einer Auflage von 20.000 auch auf dem deutschen Markt vertrieben, | |
ist in Existenznot geraten. „Im Millionengeschäft Fußball war es uns immer | |
wichtiger, unabhängig schreiben zu können, als eine Anzeige mehr im Heft zu | |
haben“, steht [1][in der aktuellen Ausgabe von Ende März]. „Diese | |
Unabhängigkeit hat ihren Preis.“ | |
Bei ballesterer werden Recherchereisen von AutorInnen selbst bezahlt, | |
Gehälter und Honorare sind niedrig und konnten teils nicht gezahlt werden, | |
in der aktuellen Ausgabe ist von Selbstausbeutung die Rede. Ausgaben mit | |
Profis auf dem Cover seien zwar ein Renner. „Doch wir wollen [auch] einen | |
Schwerpunkt zum Klimaschutz, zur Integrationsdebatte im Fußball und zu | |
Stadionverboten machen, wir wollen nach Russland und Brasilien schauen, | |
bevor die WM-Karawane die Länder überrollt.“ Das war stets ein finanzieller | |
Balanceakt, nun ist die Bedrohung existenziell geworden. | |
Im Jahr 2000 wurde der ballesterer gegründet, stark von der Fanzine-Kultur | |
beeinflusst. Ein unabhängiges Fußballmagazin von StadiongängerInnen für | |
StadiongängerInnen, das nicht aufs 1:0 schaute, sondern auf das große | |
Drumherum des Fußballs: Fankultur, Wirtschaft, Politik, auch Sexismus und | |
Homophobie. Die Nähe zu Fanszenen wurde dabei gelobt und kritisiert. Nicht | |
zufällig wurden in Deutschland [2][im selben Jahr die 11Freunde] und in | |
Schweden das Magazin Offside gegründet. | |
Allesamt Publikationen einer Bewegung, die kritisch auf den wachsenden | |
kommerziellen Hype und die Entertainisierung des Fußballs reagierte, | |
Zeichen demokratischer Selbstermächtigung der Fans. Während sich die | |
sonstige Fußballberichterstattung oft wahlweise boulevardesk oder dröge | |
präsentierte, nahmen Magazine wie ballesterer den Fußball und seine | |
Anhängerschaft als gesellschaftliches Phänomen ernst. | |
## Finanzielles Auf und Ab | |
2019 zeichnete der Österreichische Journalisten Club die | |
ballesterer-Titelgeschichte zur Integrationsdebatte mit dem | |
Claus-Gatterer-Preis aus. „Uns war es ein Anliegen, das Thema Migration | |
anders zu erzählen, als es zumeist in der Öffentlichkeit vorkommt – nicht | |
als Krise und Sicherheitsproblem, sondern als Realität und gelebter | |
Alltag“, heißt es in der Dankesrede. Und die Reihe „Fußball unterm | |
Hakenkreuz“ drängte zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Der | |
Verein SK Rapid Wien hat die Aufarbeitung seiner Rolle im | |
Nationalsozialismus 2009 erst nach einem kritischen Hinweis des ballesterer | |
vorangetrieben. | |
Anders als 11Freunde, das mittlerweile vom Gruner+Jahr-Verlag vertrieben | |
wird, blieb der ballesterer in der Nische, im Eigenverlag. Er nimmt sich | |
die Freiheit, lange Themenschwerpunkte zu setzen statt Titelgeschichten – | |
und zahlt den Preis dafür. „Es war finanziell ein Auf und Ab“, sagt die | |
stellvertretende Chefredakteurin Nicole Selmer. | |
[3][Die EM 2008 in Österreich] habe für einen längeren Boom gesorgt, das | |
Anzeigengeschäft aber schwanke sehr. Auch strukturelle Fehler räumt sie | |
ein: „Wir haben unsere wirtschaftlichen Strukturen etwa in der Vermarktung | |
nie ausreichend professionalisiert.“ Vieles laufe im Ehrenamt. „Wir | |
funktionieren ein Stück weit wie der klassische Amateurverein“, beschreibt | |
Selmer diesen Umstand. | |
## Spenden als Rettung | |
Auch die Krise am Printmarkt und der Strukturwandel in der Fußballbranche | |
spielen eine Rolle. Immer mehr Klubs übernehmen die Berichterstattung via | |
Social Media gleich selbst. Vergleichbare Magazine wie das Londoner When | |
Saturday Comes haben deshalb auch Zukunftsängste. Ein Umstieg auf Online, | |
so Selmer, sei trotzdem nicht geplant. Man spare da zwar die Druckkosten, | |
aber die AutorInnen müssten eben trotzdem bezahlt werden. Zugleich fehle es | |
an Akzeptanz, für Journalismus online zu zahlen. „Die Möglichkeiten, sich | |
online zu finanzieren, sind eher schlechter.“ Im Januar wurde das reine | |
Online-Fußballmagazin 120minuten eingestellt. | |
ballesterer setzt vorerst auf eine Rettungskampagne, bittet um Spenden, | |
ruft zur Mitgliedschaft im „Supporters Club“ auf, auch ein lebenslanges Abo | |
ist möglich. Selmer glaubt daran, dass Fußballmagazine im Print | |
zukunftsfähig seien. Vielleicht gebe es irgendwann sogar einen | |
vinylähnlichen Boom, sagt sie. Doch etwa 25.000 Euro Spenden, 500 neue Abos | |
und 400 Neu-Mitglieder im „Supporters Club“ wären nötig, um das Heft zu | |
retten. Und das zu einer Zeit, in der krisenbedingt viele andere | |
Institutionen ebenso um Spenden bitten. | |
Durch die verschobene Europameisterschaft wird zudem die stets am besten | |
verkaufte Ausgabe des Magazins nicht erscheinen. „Vor Corona war ich total | |
optimistisch, dass wir es schaffen“, so Selmer. „Ich habe großes Vertrauen | |
in die Solidarität der LeserInnen. Aber deren Bedingungen verändern sich | |
auch gerade.“ | |
In der aktuellen Ausgabe schreibt die Redaktion über das System | |
Profifußball: „Wir wollten nie ein weiteres Rad in diesem Getriebe sein, | |
sondern der Sand, der es zum Knirschen bringt.“ Die Zukunft wird zeigen, ob | |
genug LeserInnen für knirschenden Sand auch bezahlen. | |
28 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/ballesterer_fm/status/1242387490524332038?s=20 | |
[2] /GrunerJahr-uebernimmt-Fussball-Magazin/!5139710 | |
[3] /Oesterreich-zeigt-Rueckgrat-Initiator/!5181026 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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