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# taz.de -- Historisierung der Hamburger Schule: Zurück an St. Paulis Tresen d…
> Im ausverkauften Hamburger Club Knust wurde über ein Buch und eine
> TV-Doku zur Hamburger Schule diskutiert – und auch ein bisschen gefeiert.
Bild: Musikerin „Nixe“ (Rebecca Walsh) in der NDR-Doku „Hamburger Schul…
„Bernadette, du siehst super aus!“, ruft ein Mann aus dem Publikum. Und
eine Frau hinterher: „Und du bist so klug!“ Welcome back in den 90ern. Vor
der Bühne im pickepackevollen Hamburger Club Knust viele bekannte
Gesichter, auf der Bühne sitzen am Freitagabend Bernadette La Hengst,
ehemals Sängerin von Die Braut haut ins Auge, Frank Spilker, Sänger und
Kopf von Die Sterne, Myriam Brüger, ehemals Pressechefin des Labels L’Age
d’Or, [1][Natascha Geier, Autorin der NDR-Doku „Die Hamburger Schule –
Musikszene zwischen Pop und Politik“ und Jonas Engelmann, Autor des Buchs
„Der Text ist meine Party. Eine Geschichte der Hamburger Schule“].
Während in den sozialen Medien seit Wochen [2][darüber gestritten wird, wer
die Deutungshoheit über den Begriff „Hamburger Schule“ hat], sitzen hier
drei prominente Vertreter*innen auf der Bühne, von denen manche
glauben, dass sie eine einseitige Geschichte erzählen, und das auch schon
in der viel diskutierten TV-Doku von Natascha Geier getan haben. Dabei
könnte man sie auch dafür bemitleiden, dass sie hier stellvertretend für
eine so vielgesichtige Vergangenheit herhalten müssen. Auch wenn sie dabei
sehr fröhlich wirken.
Außer Myriam Brüger, die als Entdeckerin der Band Tocotronic gilt und sich
betont zurückhält. Sie würdigt Kristof Schreuf, einst Sänger bei Kolossale
Jugend: „Der hat nicht nur die Erfindung gemacht, wie man die deutsche
Sprache neu singen kann, sondern er hat auch die Hamburger Szene sozial
betreut. Das war ein Kümmerer.“
## Trauer um Charismatiker Kristof Schreuf
[3][Der Musiker und taz-Autor Kristof Schreuf: im November 2022 plötzlich
und viel zu früh gestorben.] Der Abend wie auch Buch und Songcompilation
stehen unter seinem Songtextzitat „Der Text ist meine Party“. Seine
charismatische Gestalt vermisst man am Freitag schwer. [4][„Der hatte immer
Bock, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen“, erinnert sich auch Bassistin
Luka Skywalker, die mit ihm in der Band Brüllen gespielt hat, am Rande des
Abends.] „Wenn Kristof irgendwo aufgetaucht ist, dann war klar, es wird
interessant.“ Ob er zu einer Veranstaltung wie dieser gekommen wäre? Manche
haben, tatsächlich, abgesagt.
Der Text ist hier jedenfalls nicht die Party. Die Gesprächsrunde bleibt
weit hinter dem Unterhaltungswert dessen zurück, was man von den Gesprächen
in den 90ern an den Tresen von Sankt-Pauli-Kneipen wie Caspers Ballroom und
Heinz Karmers Tanzcafé erinnert oder im Nachhinein imaginiert. Einmal
kracht es ein bisschen, als Natascha Geier fragt, [5][warum es so viele
tolle Frauen damals gab in der Szene, aber nur so wenige von ihnen auf der
Bühne standen.] Frank Spilker: „Da musst du die fragen, die sich nicht auf
die Bühne getraut haben.“ Bernadette La Hengst: „Nee, da musst du die
Strukturen befragen, Frank.“ Lauter Jubel und Pfiffe.
Bernadette: „Ich wollte Frank gerade nicht runtermachen. Ich glaube, dass
wir lernen müssen, gewaltfreier miteinander zu kommunizieren. Dass man
nicht sagt: Ich habe einen besseren Punkt als du, deshalb mache ich dich
runter. Aber so wurde es in den 1990ern oft gemacht. Und da waren die
Männer in den Kneipen Wortführer.“ Herrje, man möchte sich noch einmal
zurücktransportieren lassen in jene Zeit, um zu wissen, ob man jubeln oder
kotzen würde.
Vermutlich käme es darauf an, auf welche von den paar hundert Gestalten,
die man zur Hamburger Schule zählen kann, man träfe, und in welchem Moment.
Dass heute darüber gestritten wird, was die Hamburger Schule war und was
von ihr bleibt, ist verständlich. Mit Buch, Compilation-Album und
Fernsehdoku wird die Vergangenheitsbewältigung jetzt öffentlich. Es werden
Dinge ausgesprochen, die offenbar lange gegoren haben. Das aber vor allem
im Internet – oder an diesem Abend abseits der Bühne.
## Kein Diskursgewitter in der Luft
Es liegt kein Diskursgewitter in der Luft des Knust. Nach der
Gesprächsrunde wird musiziert, den Anfang macht die Musikerin Nixe mit
einem alten Lied ihrer Band Die Stars: Ihr redet und redet, aber eigentlich
wollt ihr nur flachgelegt werden, bringt sie ihre Sicht auf die Hamburger
Schule darin sinngemäß auf den Punkt. Auch ein möglicher Blick auf das
Ganze.
Was „die Hamburger Schule“ war, wird nie abschließend geklärt werden, und
der Streit ums Grundsätzliche gehörte schon immer dazu wie Bier und
Zigaretten (jaja, bestimmt gab es auch Nichtraucher und Weintrinkerinnen).
So sehr manche den Begriff heute noch zu hassen scheinen: Ohne ihn würde
niemand jetzt so ausführlich über all das reden, was zwischen Ende der 80er
und den frühen 00er Jahren in Hamburg musikalisch und darüber hinaus
passiert ist.
Schade ist, dass das zwar in den Kommentarspalten im Netz leidenschaftlich
diskutiert wird, aber weniger am Tresen. Und nicht auf der Bühne des Knust.
Und hätte man nicht auch Nachgeborene einladen können, um mal Perspektiven
von heute auf die Bedeutung der Hamburger Schule zu hören? Man bleibt
lieber unter sich und in den 1990ern. Welcome back.
10 Jun 2024
## LINKS
[1] /Historisierung-der-Hamburger-Schule/!6015437
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[3] /Nachruf-auf-Musiker-Kristof-Schreuf/!5894264
[4] /Einjaehriger-Todestag-von-Kristof-Schreuf/!5968749
[5] /Frauen-in-der-Hamburger-Schule/!5104108
## AUTOREN
Dirk Schneider
## TAGS
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