# taz.de -- „Berlin-Abo“ für 29 Euro: Billigticket mit Spaltpotenzial | |
> Bestenfalls entlastet das 29-Euro-Ticket einige NutzerInnen, | |
> schlimmstenfalls untergräbt es den brüchigen Nahverkehrs-Konsens von Bund | |
> und Ländern. | |
Bild: Die Bahnen sollen voller werden – dem würden wohl wirklich alle zustim… | |
Dass die neue Verkehrssenatorin [1][Ute Bonde wenig vom neuen Berliner | |
29-Euro-Ticket hält], hat sie mittlerweile klar gemacht. In einem Punkt | |
aber dürfte die CDU-Frau mit dem Günstiger-Fahren-Angebot, dass | |
Ex-SPD-Landeschefin Franziska Giffey ihr eingebrockt hat, ganz zufrieden | |
sein: Der nötige Finanzbedarf fällt deutlich kleiner aus als erwartet – | |
oder befürchtet. Daraus ergibt sich ein willkommener Punkt auf der | |
[2][Kürzungsliste, die die Ressorts vorlegen mussten und müssen], um den | |
überdimensionierten Haushalt zu entlasten (Stichwort „pauschale | |
Minderausgaben“). | |
20 Millionen Euro weniger werden nun für das laufende Jahr veranschlagt, um | |
den abgespeckten AB-Monatsfahrschein – offiziell: „Berlin-Abo“ – auf die | |
magischen 29 Euro herunterzusubventionieren. Vielleicht kostet es den Senat | |
am Ende sogar noch weniger. Drei Wochen vor dem Start des Tickets war | |
jedenfalls kaum mehr als ein Sechstel der prognostizierten 650.000 | |
Abonnements geordert worden. Dass es nach den Sommerferien, in denen einige | |
wohl nicht auf das nur 20 Euro teurere Deutschlandticket verzichten wollen, | |
mehr werden, ist absehbar. Ein Schlager wird der Giffey-Rabatt aber eher | |
nicht mehr. | |
Es sei denn, [3][Bund und Länder fahren das Deutschlandticket demnächst an | |
die Wand], indem sie das bundesweit gültige Nahverkehrs-Billet deutlich | |
kostspieliger machen oder es im Streit gleich wieder ganz einstampfen. Dann | |
wären die 29 Euro tatsächlich für viele die wirtschaftlichste Variante und | |
die Verkaufszahlen würden in die Höhe schießen. Umgekehrt gilt: Bleibt das | |
Deutschlandticket attraktiv genug, dürften die Tage des Berlin-Abos gezählt | |
sein. Schließlich hat es selbst in der SPD nur noch eine überschaubare | |
Anzahl an Fans. | |
Dabei ist gar nicht abzustreiten, dass alle diejenigen, die es jetzt | |
kaufen, von dem zusätzlichen Nachlass profitieren. Eine andere Frage ist | |
dagegen, ob das Angebot wirklich die dringend benötigte Verkehrswende | |
befördert. Die Giffey-Fraktion in der SPD verweist darauf, dass von den | |
115.000 künftigen Berlin-Abo-KundInnen, die Anfang Juni gezählt wurden, gut | |
20.000 vorher gar kein ÖPNV-Abo hatten. Nur darüber, wie viele davon | |
künftig ihr Auto stehen lassen, sagt diese Zahl nichts aus. | |
Bei einem Gutteil dieser Gruppe wird es sich nämlich um Menschen handeln, | |
die schon bisher nur gelegentlich mit Bus und Bahn unterwegs waren und | |
daran auch nichts ändern werden. Aber bei den gleichzeitig stark | |
gestiegenen Preisen für Einzelfahrscheine lohnt sich das 29-Euro-Angebot | |
eben schon, wenn man mehr als vier Mal im Monat mit den Öffis in der Stadt | |
unterwegs ist – hin und zurück, versteht sich. | |
## Fragwürdige Entlastung | |
Das eigentliche Problem bleibt, dass das 29-Ticket als verkehrsspolitische | |
Maßnahme „nicht sehr intelligent“ ist, wie es der Mobilitätsforscher | |
Andreas Knie ausdrückt. Es wurde oft genug vorgerechnet, für welche sozial | |
schwachen Gruppen, die nicht ohnehin schon Angebote wie das Sozialticket | |
(„Ticket S“) in Anspruch nehmen können, das Geld gezielt per Rabattierung | |
des Deutschlandtickets eingesetzt werden könnte. Das schlösse | |
Mitnahmeeffekte aus. Sprich: Wer sich auch ein 49-Ticket locker leisten | |
kann und es auch bislang bezogen hat, bekommt nicht noch eine zusätzliche | |
Entlastung geschenkt. | |
Natürlich wäre es am besten, der Nahverkehr in Deutschland kostete gar | |
nichts oder nur einen symbolischen Betrag wie das 9-Euro-Ticket aus | |
Pandemiezeiten, ohne das es die aktuellen Angebote und Debatten gar nicht | |
gäbe. Aber die Verkehrsbetriebe brauchen eben auch Geld für ein gutes und | |
hoffentlich immer besseres Angebot, quantitativ wie qualitativ. Solange die | |
Gesellschaft eher bereit ist, gigantische Summen in Aufrüstung zu stecken | |
als in guten und kostenfreien Nahverkehr für alle, muss dieses Geld auch | |
über Tarife eingetrieben werden. | |
Das Problematischste am Giffey-Ticket ist und bleibt, dass es die gerade | |
erst errungene bundesweite Einigkeit und Einfachheit im Nahverkehr | |
untergräbt. Schon weil der Berliner Alleingang dem Bund als Beispiel dient, | |
dass die Länder ja einen billigeren ÖPNV selber finanzieren können, wenn | |
sie denn unbedingt wollen. Und auch [4][unter den Ländern erzeugt es neuen | |
Unfrieden]. | |
Schlimmstenfalls wird das „Berlin-Abo“ also zu seiner eigenen Notwendigkeit | |
beitragen, indem es die große Lösung Deutschlandticket unterminiert. | |
Bestenfalls haben eben diejenigen etwas davon, die regelmäßig den ÖPNV | |
nutzen, aber die Stadt selten oder nie auf dem Landweg verlassen wollen. | |
Aber dann – siehe oben – sind die 29-Euro-Tage eben auch gezählt. | |
8 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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