| # taz.de -- Israel-Boykott in den Niederlanden: Lauter und stiller Boykott | |
| > Zwei niederländische Hochschulen kappen die Verbindung zu ihren | |
| > israelischen Partnerunis. Israelische Studierende im Land fühlen sich | |
| > isoliert. | |
| Bild: Propalästinensische Kundgebung vor der Universität von Amsterdam im Mai… | |
| Die Royal Academy of Art im niederländischen Den Haag hat als erste | |
| europäische Hochschule getan, was die BDS-Bewegung seit Jahren fordert: | |
| ihre israelische Partneruniversität boykottiert. Am 10. Mai erklärte die | |
| Leitung der Royal Academy of Art in Den Haag (KABK) in einem Rundschreiben, | |
| das Austauschprogramm mit ihrer israelischen Partneruniversität, der | |
| Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem, zu suspendieren. Das große | |
| Medienecho blieb aus. | |
| Dem Boykott vorangegangen waren [1][mehrere Monate des Campusprotests.] | |
| Getragen wurde der vornehmlich vom Studierendenwerk der KABK. Gemeinsam mit | |
| Lehrenden und Alumni richtete sich das Studentenwerk bereits am 25. | |
| Dezember 2023 mit einer Petition an ihre Universität, die, 1682 gegründet, | |
| die älteste und eine der bedeutendsten Universitäten der Niederlande ist. | |
| In dem Schreiben fordern sie die Universitätsleitung auf, ihr seit 2017 | |
| bestehendes Austauschprogramm mit der Bezalel Academy in Jerusalem umgehend | |
| zu beenden. Man wolle sich nicht mitschuldig machen am „Genozid, der an den | |
| Palästinensern verübt wird“. | |
| Die Petition blieb zunächst ohne Erfolg. Erst nachdem das Studierendenwerk | |
| am 25. April zu einer Generalversammlung aufgerufen hatte, bei der auch | |
| Medienvertreter anwesend waren, zeigte der Boykottaufruf Wirkung. Was der | |
| Boykott für israelische und palästinensische Austauschstudierende zu | |
| bedeuten hat, blieb dabei unklar. Eingeräumt wurde nur: „Wir bleiben | |
| allgemein offen dafür, dass einzelne Studierende weiterhin bei uns | |
| studieren können.“ | |
| Nach welchen Kriterien eine solche Auswahl gefällt werden würde? Eine | |
| diesbezügliche taz-Anfrage an die KABK wurde bis Redaktionsschluss nicht | |
| beantwortet. Das Studierendenwerk fordert als Alternative ein | |
| Austauschprogramm mit der Dar al-Kalima University in Bethlehem. Ob bei | |
| diesem Vorschlag nicht einfach Studierende ausgeschlossen würden, weil sie | |
| Juden sind, dazu wollte sich das Studierendenwerk nicht äußern. | |
| ## Warum ausgerechnet eine regierungskritische Uni? | |
| Spricht man mit Studierenden der Bezalel Academy, die sich in den | |
| Niederlanden für ihr Gastsemester aufhalten, hört man immer wieder die | |
| gleiche lakonische Frage: „Warum ausgerechnet Bezalel?“ Unverständlich ist | |
| es für sie, warum gerade der Ort in Israel boykottiert wird, der „am | |
| freisten, am meisten links und noch dazu regierungskritisch“ sei. Auch | |
| viele palästinensische Studierende seien vom Boykott betroffen. | |
| Mit denen teilten sie den Wunsch nach einer sofortigen Waffenruhe in Gaza. | |
| Für die israelischen Studierenden ist dennoch klar: Israel muss weiter als | |
| jüdischer Staat existieren und die Massaker der Hamas dürften als nichts | |
| anderes gelten außer als antisemitischer Terror. Denn die juden-, frauen- | |
| und queerfeindliche Agenda der Hamas würde bei den derzeitigen Protesten | |
| einfach ignoriert, der antisemitische Terror zum Befreiungskampf verklärt. | |
| Eine der Gesprächspartnerinnen – auch sie möchte aus Angst vor | |
| Benachteiligung anonym bleiben* – hatte kurz nach dem 7. Oktober von ihrer | |
| Tutorin ein Buch geschenkt bekommen. Nach dem ersten Blättern stellte sie | |
| entsetzt fest, dass es in dem Buch nur um eines ging: „Warum Terror legitim | |
| ist, wenn er sich gegen Israel richtet.“ | |
| ## Bedrohliche Stimmung | |
| Entgegen den empathischen Worten der Universitätsleitung empfinden sie und | |
| andere Israelis die Stimmung auf dem Campus zunehmend als bedrohlich: | |
| „Gerade die jüngere Generation ist gewaltbereit“, sagt die Studentin. | |
| Lehrkräfte, Verwaltung und Leitung seien im privaten Austausch zwar | |
| zugewandt, aber öffentlich „wollen sie nur von den Protestierenden als | |
| jemand gesehen werden, der sich um die Palästinenser sorgt“. Noch vor dem | |
| Boykott habe sie Kommilitonen in Israel davon abgeraten, i[2][n die | |
| Niederlande zu kommen.] | |
| Auch an anderen großen Universitäten in Leiden, Amsterdam oder an der | |
| zweiten großen Kunsthochschule der Niederlande, der Design Academy in | |
| Eindhoven (DAE), wurden Protestcamps errichtet. Organisiert und mobilisiert | |
| wird vor allem von den beiden Gruppen Students for Palestine und Dutch | |
| Scholars for Palestine. Beide Gruppen sind auf taz-Anfrage nicht zum | |
| Gespräch bereit. In einem gemeinsam mit BDS Nederland veröffentlichten | |
| Statement auf Instagram feiern sie jedoch die Entscheidung der KABK als | |
| Erfolg ihrer Boykottkampagne „Cut the ties!“. | |
| Wirft man einen Blick in ihre jeweiligen Chartas, verschwimmen die Grenzen | |
| von Antizionismus und ideologisch verzerrtem Antisemitismus recht schnell. | |
| Die Students for Palestine stellen fest, dass die Gesamtheit des | |
| „historischen Palästinas, vom Jordan bis ans Mittelmeer, von Israel | |
| kolonisiert ist“. Daran schließt sich das politische Ziel an, die | |
| Kolonisierten zu befreien, und zwar mit „allen Formen des Widerstands“ – | |
| eine seit dem 7. Oktober oft verwendete Floskel, um die von der Hamas | |
| verübten Gräueltaten an israelischen Zivilisten zu legitimieren. | |
| Die Israelis an den niederländischen Universitäten fühlen sich immer öfter | |
| in die Enge getrieben: „Ich bin gefangen, es gibt keinen Ort mehr für linke | |
| Juden, es gibt nur noch die eine oder die andere Seite“, sagt eine | |
| Lehrkraft. Sie hat Israel schon vor Jahren verlassen. Wie sie seien viele | |
| Austauschstudierende der Bezalel sehr links – und für den Frieden. Sie alle | |
| berichteten vom Gefühl der Isolation und von mangelnder Solidarität. Eine | |
| sagt: „Manche reden nicht mehr mit mir, weil ich Israeli bin.“ | |
| Viele Israelis schwiegen seitdem über ihre Herkunft oder seien monatelang | |
| nicht mehr in den Unterricht gekommen. Sie fühlten sich von ihren | |
| Universitäten im Stich gelassen. Deshalb bildeten sich schnell | |
| Whatsapp-Gruppen, in denen man sich gegenseitig Unterstützung, Schutz und | |
| Informationen anbietet: „Es gibt ein starkes Gefühl von Zusammenhalt, trotz | |
| politischer Differenzen“, sagt einer der Studierenden. | |
| Auch über antisemitische Vorfälle an den Unis tausche man sich aus. Im Chat | |
| sei im Oktober ein Screenshot herumgegangen, darauf zu sehen: die | |
| Instagram-Story einer Studiengangsleitung aus Eindhoven. Am 9. Oktober | |
| verbreitete diese bereits terrorverherrlichende Inhalte. Viele israelische | |
| Studierende seien verstört gewesen. Dann kamen auch in Eindhoven die | |
| Boykottaufrufe und man sah die Unterschriften von weiteren Lehrkräften | |
| darunter. | |
| Die Angst wuchs, man müsse mit Konsequenzen rechnen, wenn man sich dagegen | |
| ausspreche. Öffentlich in Erscheinung treten, das scheint schon jetzt | |
| niemand mehr zu wollen, der aus Israel in die Niederlande gekommen ist, um | |
| Kunst, Design oder Mode zu studieren. | |
| Unternommen hat die Leitung der Design Academy Eindhoven dagegen nichts. | |
| Seit Kurzem liegen aber auch dort die Austauschprogramme mit Israel vorerst | |
| auf Eis. Was Hochschulen wie die Design Academy in Eindhoven, die KABK in | |
| Den Haag oder auch die Bezalel in Jerusalem konkret unternehmen wollen, um | |
| die negativen Folgen des Boykotts für israelische Studierende abzufangen, | |
| wird von allen Seiten beschwiegen. Für einen der israelischen Studierenden | |
| ist es nicht einmal der große Boykott, der schmerze. Vielmehr sei es der | |
| „Boykott im Stillen“, der ihn und andere Israelis ausschließe. Etwas | |
| desillusioniert ergänzt eine jüdische Studierende, die nicht aus Israel | |
| kommt: „Ich habe das Gefühl, ich bin als Nächstes dran.“ | |
| 11 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonathan Guggenberger | |
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