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# taz.de -- Gedenkstättenleiter Wagner zu Ost-Wahlen: „Die Engagierten stär…
> Thüringens Gedenkstätterleiter Jens-Christian Wagner steht unter Beschuss
> der AfD. Er hält dagegen – und fordert die Prüfung eines Parteiverbots.
Bild: Sieht die Demokratie in Thüringen, aber auch in einigen anderen Regionen…
taz: Herr Wagner, der Thüringer Co-Landeschef der AfD, Stefan Möller, gab
jüngst Ihre Absetzung als Ziel aus. Thüringen brauche einen neuen
Gedenkstättenleiter, der den Leuten nicht „mit Predigen auf den Senkel
geht“. Wie haben Sie das aufgenommen?
Jens-Christian Wagner: Persönlich lässt mich das kalt. Was mich nicht
kaltlässt, sind die Angriffe auf die kritische Auseinandersetzung mit den
Verbrechen des Nationalsozialismus. Denn welche Predigten meint Möller?
Natürlich den neurechten Vorwurf eines Schuldkults. Nicht umsonst fordert
Thüringens AfD-Chef Höcke [1][eine 180-Grad-Wende in der
Erinnerungspolitik]. Die AfD ist eine nationalistische Partei, und die
NS-Verbrechen sind da ein Makel, den man möglichst kleinreden will, um
wieder stolz auf die deutsche Geschichte sein zu können. Auch an die
zentrale Lehre aus dem Nationalsozialismus, die Menschenwürde aller zu
achten – nicht nur die der Deutschen –, legt die AfD die Axt an. Deshalb
wird in der Partei der Holocaust verharmlost, relativiert, kleingeredet.
Was sagt das über die AfD aus, wenn sie Kritiker*innen mit dem Rauswurf
droht?
Ich bin ja nicht der Einzige, den sie loswerden wollen. Im Grunde sind es
alle, die im Bereich der kulturellen Bildung tätig sind und für eine
demokratische, vielfältige Gesellschaft eintreten. Das folgt einem
internationalen Muster. Denken Sie an [2][Polen] oder [3][Ungarn], wo
autoritäre Regierungen die Institutionen ausgehöhlt haben. Das droht in
Thüringen auch städtischen Theatern oder Museen. Wenn die AfD hier die
Mehrheit hat, wird es für sie sehr einfach, ihr Programm durchzusetzen,
personell und inhaltlich. Es geht um die Erlangung kultureller Hegemonie,
das versucht die AfD Schritt für Schritt umzusetzen und ist damit leider
Gottes recht erfolgreich.
Fürchten Sie um Ihr Amt?
Mich würde die AfD nicht so leicht los. Dafür bräuchte es eine Mehrheit im
Stiftungsrat – und von der ist die AfD weit entfernt. Ich mache mir aber
Sorgen um die Gedenkstättenarbeit. Denn sollte die AfD im Herbst Macht
erlangen, mitregierend oder tolerierend, könnte sie beim Haushalt mitreden
und hier einiges kaputt machen.
Die AfD wurde [4][bei den Europawahlen in Ostdeutschland stärkste Kraft],
bei den [5][Kommunalwahlen in Thüringen zweitstärkste]. Wie bedrohlich ist
das?
Ich sehe leider die Demokratie in Thüringen, aber auch in einigen anderen
Regionen akut bedroht. Die neurechte Landnahme war hier erfolgreich. Mit
Protestwahlen hat das überhaupt nichts mehr zu tun, sondern es sind
tatsächlich gefestigte sozialmoralische Milieus, auf die sich die AfD
mittlerweile stützen kann; Milieus, welche die liberale Demokratie
ablehnen, die mindestens latent rassistische und antisemitische Positionen
vertreten und die sich nicht daran stören, dass die AfD notorisch
Geschichtsrevisionismus betreibt.
Wie konnten diese Milieus entstehen?
Da spielt die ostdeutsche Geschichte eine ganz tragende Rolle, was auch die
Ost-West-Unterschiede bei den AfD-Wahlergebnissen erklärt. Die gefühlte
oder tatsächliche Demütigung in den Neunziger Jahren, in der
Transformationszeit nach der deutschen Vereinigung. Eine autoritäre,
antiwestliche, antiliberale, teils auch antizionistische Sozialisation in
der DDR. Der Fakt, dass die DDR ein monoethnischer, autochthon deutscher
Staat war, der kaum Erfahrung mit Migration gemacht hat, anders als
Westdeutschland. Und zuletzt der antifaschistische Gründungsmythos der DDR,
der dazu beitrug, dass eine wirkliche Auseinandersetzung mit den
nationalsozialistischen Verbrechen im Osten ausgeblieben ist, weil man die
Schuldigen allein im Westen verortete. Diese Folgen merken wir bis heute.
Angesichts dieser verfestigten Milieus: Glauben Sie, dass nach der
Thüringer Landtagswahl im Herbst ein Ministerpräsident Höcke möglich ist?
Für wahrscheinlich halte ich das nicht. Aber man muss leider sagen: Es ist
auch nicht ganz ausgeschlossen. Ich befürchte, dass die AfD bei den
Landtagswahlen ein ähnliches Ergebnis erzielen wird wie jetzt bei der
Europawahl…
Also rund 30 Prozent, vor der CDU und dem BSW, dann abgeschlagen SPD und
Linke.
Ja. Und das wäre bereits desaströs, weil die AfD im Landtag eine
Sperrminorität hätte und damit etwa die Besetzung des Verfassungsgerichts
blockieren könnte. Erschreckend finde ich aber auch die [6][Stimmen für das
BSW], das mit einer Mischung aus xenophoben, Putin-apologetischen,
autoritären Positionen und Personenkult aufwartet. Entscheidend wird sein,
wie sich die CDU verhält. Ihr Spitzenkandidat Mario Voigt will – wie ich
finde, glaubhaft – nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Es gibt aber
durchaus andere Stimmen in der CDU in der zweiten und dritten Reihe. Und da
mache ich mir tatsächlich Sorgen, dass es zu einem Riss in der CDU kommt,
vielleicht auch zu einer Spaltung, die dazu führt, dass ein Teil der CDU
mit der AfD agiert. Und dann wäre Höcke tatsächlich Ministerpräsident.
Im vergangenen Herbst waren Sie [7][Teil eines zivilgesellschaftlichen
Bündnisses], um in Nordhausen, der Stadt Ihrer Gedenkstätte, einen AfD-Mann
als Oberbürgermeisterkandidaten zu verhindern – mit Erfolg. Was war das
Rezept?
Zum einen haben wir als Gedenkstätte, als Institution mit einer gewissen
Autorität, deutlich auf die den NS verharmlosenden Positionen des
AfD-Kandidaten hingewiesen und klargemacht, dass es mit ihm an der
Stadtspitze von Gedenkstättenseite keinerlei Zusammenarbeit geben würde.
Zum anderen hat diese Positionierung die Zivilgesellschaft in Nordhausen
ermuntert, sich zu zeigen und offensiv für eine demokratische Stadt zu
streiten. Am Ende haben die Hochschule, die Kirchen, die Sozialverbände
gekämpft. Noch am Vorabend der Wahl dachten wir, wir schaffen es nicht.
Aber wir haben es geschafft. Das war eine große Ermutigung.
Ist das übertragbar auf die Wahlen im Herbst?
Das wird schwierig. Aber genau diesen Weg müssen wir jetzt gehen. Gerade
auf dem Land wurden die Initiativen, die sich für eine vielfältige
Demokratie einsetzen, viel zu lange alleingelassen. Viele haben sich da,
auch wegen konkreter Bedrohungen, nicht mehr getraut, in die Öffentlichkeit
zu gehen. Da müssen wir dringend gegensteuern. Wir müssen der
Zivilgesellschaft den Rücken stärken, insbesondere dort, wo die AfD die
kulturelle Hegemonie schon erlangt hat. Wir müssen den Engagierten zeigen,
dass sie nicht alleine sind. Wir müssen aufzeigen, welchen Wert unser
Grundgesetz und die liberale Demokratie haben. Wir müssen werben und
streiten. Das ist das Einzige, was man jetzt noch machen kann, um das
Schlimmste zu verhindern.
Was Ihre Gedenkstätte angeht, haben Sie eine klare Linie: Für
AfD-Funktionäre gilt bei Veranstaltungen Hausverbot. Dabei bleibt es?
Dabei bleibt es. Auch ein Ministerpräsident Höcke hätte keine Erlaubnis, an
unseren Veranstaltungen teilzunehmen. Ich bin überzeugt, dass nur eine
klare Haltung gegen Rechtsextreme diese eindämmt. Als Privatpersonen können
sich die AfD-Leute in unseren Ausstellungen über die Folgen völkischer
Politik informieren – aber daran zeigen sie ja kein Interesse.
Sie gehen noch einen Schritt weiter und fordern auch, jetzt ein
[8][AfD-Verbot] ernsthaft zu prüfen. Warum?
Es kann nicht sein, dass die liberale Demokratie eine Partei zu Wahlen
zulässt und ihren Wahlkampf finanziert, welche die liberale Demokratie
abschaffen will. Wenn eine Partei erwiesenermaßen verfassungsfeindlich ist,
dann muss sie auch verboten werden – egal, wie viele Leute sie wählen. Das
ist in den fünfziger Jahren auch mit der Sozialistischen Reichspartei
passiert, obwohl sie in einigen Regionen Niedersachsens 30 Prozent der
Stimmen holte. Die Verbotsfrage darf nicht politisch nach der Stärke der
Partei entschieden werden, sondern nur rein juristisch. Sobald die AfD
erwiesen verfassungsfeindlich ist, muss ein Verbot folgen.
Und die AfD ist aus Ihrer Sicht verfassungsfeindlich?
Mindestens in einigen östlichen Bundesländern, wie etwa Thüringen, ja.
Aber das rechtsextreme Gedankengut verschwände ja auch mit einem AfD-Verbot
nicht?
Deshalb muss es immer auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den
Positionen der AfD geben. Wir müssen die Menschen ganz klassisch aufklären,
was diese Partei an Gedankengut transportiert. Da habe ich den Eindruck,
dass das viele Menschen immer noch nicht wirklich wissen. Wem das egal ist,
dem müssen wir erklären, welche zerstörerischen Konsequenzen dieses
Gedankengut hat. Und wir müssen die Vorzüge von Demokratie und der Achtung
der Menschenrechte vermitteln.
13 Jun 2024
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## AUTOREN
Konrad Litschko
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