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# taz.de -- Stichwahl um Oberbürgermeisteramt: Aufatmen in Nordhausen
> Der AfD-Kandidat verliert gegen den parteilosen Konkurrenten.
> Gedenkstätten-Chef Wagner ist erleichtert. Grund zur Entwarnung gibt es
> aber nicht.
Bild: Grade nochmal gut gegangen: Der parteilose Kai Buchmann bleibt Oberbürge…
Leipzig/Nordhausen taz | Entgegen aller Befürchtungen hat die AfD die
Oberbürgermeisterwahl im thüringischen Nordhausen verloren. Der
AfD-Kandidat Jörg Prophet landete mit 45,1 Prozent auf Platz zwei. Der
parteilose Amtsinhaber Kai Buchmann erhielt 54,9 Prozent – fast zehn
Prozentpunkte mehr.
Kurz vor Bekanntgabe des Ergebnisses versammelten sich vor dem Nordhäuser
Rathaus Dutzende Menschen und jubelten. Einige hatten Plakate dabei, die
sich gegen die AfD richteten. Als das Ergebnis bekannt wurde, brach
langanhaltender Jubel im Ratssaal aus. Buchmann ging umher und reichte
jubelnden Anhängern seine Hände.
„Ich bin unglaublich erleichtert“ sagte Jens-Christian Wagner, der Direktor
der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, der taz. Das
Ergebnis sei „absolut der demokratischen Zivilgesellschaft von Nordhausen
zu verdanken, die sich in den vergangenen Wochen für ein vielfältiges und
weltoffenes Nordhausen eingesetzt hat.“ Diese „Graswurzelbewegung“ habe
sich in kürzester Zeit gebildet und gegen einen „tumben AfD-Kandidaten“
durchgesetzt.
Die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora liegt am Stadtrand von Nordhausen. Die
Nationalsozialisten hatten im Konzentrationslager Mittelbau-Dora mehr als
60.000 Menschen gefangen gehalten. Diese mussten dort unter
unmenschlichsten Bedingungen Raketen und Rüstungsgüter herstellen.
Mindestens 20.000 Menschen kamen dabei ums Leben.
Wagner hatte eindringlich davor gewarnt, [1][den AfD-Kandidaten Prophet zu
wählen.] Prophet verbreite eine geschichtsrevisionistische Ideologie und
unterscheide sich „in keinerlei Hinsicht“ von Thüringens AfD-Chef Björn
Höcke, wie der Stiftungsdirektor im Vorfeld der Stichwahl mitteilte.
## Nur kurzfristige Erleichterung
Die Holocaust-Gedenkkultur kritisierte Prophet zum Beispiel als „Schuldkult
der Deutschen“. Der AfD-Politiker ist der Ansicht, dass die amerikanischen
Soldaten bei der Befreiung des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora im April
1945 „Morallosigkeit“ gezeigt hätten und nur daran interessiert gewesen
seien, „Technologien des Tötens“ in Besitz zu nehmen, „um die eigene
Stellung in der Welt zu sichern“.
Die Thüringer Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (Mobit) betonte auf
X, ehemals Twitter, dass die „kurzfristige Erleichterung“ aber nicht
darüber hinwegtäuschen dürfe, dass fast 50 Prozent der Wähler:innen
einem Kandidaten ihre Stimme gegeben hätten, „der #Reichsbürger und
#Neonazis offensichtlich für Gesprächspartner hält“. Die Beratungsstelle
rief alle Nordhäuser:innen dazu auf, „ihre Verantwortung gegenüber
unserer Demokratie im Bewusstsein zu halten“.
Das Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) teilte mit,
der „glimpfliche Ausgang“ der Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen sei zwar
ein „herber Schlag“ für die AfD, aber angesichts der vielen Stimmen für d…
AfD kein Grund zur Entwarnung. Das IDZ schäme sich „stellvertretend fremd
für die erschreckend große Minderheit von Nordhäuser*innen, die heute die
falsche Wahl getroffen haben“. „Ich bin sehr erleichtert, dass die
Nordhäuserinnen und Nordhäuser heute mehrheitlich ihre Stimme für eine
demokratische und tolerante Stadt abgegeben haben. Wir alle gemeinsam haben
bewiesen, [2][dass ein Sieg der AfD auch auf kommunaler Ebene nicht
zwangsläufig ist“], erklärte Rüdiger Neitzke, Vorstand im
Grünen-Kreisverband Nordhausen.
Die Vorsitzende der Grünen-Stadtratsfraktion Sylvia Speer ergänzte, dass
das Wahlergebnis zeige, dass eine Mehrheit der Bürger:innen hinter den
demokratischen Grundwerten steht. „Es zeigt aber auch, dass für uns
Demokratinnen und Demokraten noch viel zu tun ist, das Vertrauen
derjenigen, die heute für einen Kandidaten gestimmt haben, der vom
Verfassungsschutz beobachtet wird, zurückzugewinnen.“
## Lob für Einsatz der Zivilgesellschaft
Max Reschke von den Thüringer Grünen teilte mit: „Vor zwei Wochen sah der
Rückstand auf den AfD-Kandidaten noch uneinholbar aus. Dass Kai Buchmann
erneut zum Oberbürgermeister gewählt wurde, hat maßgeblich auch damit zu
tun, dass die Zivilgesellschaft zusammengestanden, sich klar positioniert
und die Gefahren durch die AfD und dessen Kandidaten für Nordhausen klar
benannt hat.“
Auch die Nordhäuser SPD betonte, dass nicht die „Stärke des Amtsinhabers“
für das Wahlergebnis gesorgt habe, sondern der Einsatz der
Zivilgesellschaft. Diese habe der AfD „die Grenzen aufgezeigt“, sagte der
Ortsverband gegenüber der taz. „Danke an Alle, die sich in den letzten
Wochen für Toleranz und eine bunte Gesellschaft eingesetzt hat. Mit der
Wahl von Kai Buchmann wurde ein schwerer Schaden für die Stadt verhindert.“
Dennoch bedürfe es Änderungen im Verhältnis von Stadtrat und
Oberbürgermeister. [3][Die Amtsführung müsse sich in Bezug auf seine
Mitarbeiter:innen und den Stadtrat „deutlich verändern“.]
Der Vorsitzender der Nordhäuser CDU Stefan Nüßle sprach von einem „tollen
Sieg für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, die ganz klar gesagt haben,
dass sie die AfD nicht wollen“. Nun ginge es darum, dass Stadtrat und
Oberbürgermeister Buchmann „wieder ein Miteinander“ finden müssten, sagte
Nüßle der taz. Es brauche einen Neustart. Für Manuel Thume von der
Nordhäuser FDP spiegelt das Wahlergebnis „eine große Unruhe und
Unsicherheit in Teilen der Bevölkerung wider“. Mehr denn je komme es nun
auf gute und sachorientierte Arbeit in den kommunalen Gremien, aber auch
auf Landes- und Bundesebene an.
## Thüringer AfD-Landesverband als rechtsextrem eingestuft
Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der nach dem ersten Wahlgang noch
sicher war, dass Prophet die Stichwahl gewinnen werde, schrieb auf X: „In
der Politik liegen Sieg und Niederlage ganz eng beisammen. Aber diese
Niederlage sollte uns nicht zu sehr schmerzen, denn auch sie zeigt, daß
#Thüringen und Deutschland auf Kurs ‚Normalisierung‘ sind.“
Der AfD-Kandidat Jörg Prophet galt als Favorit für den Posten. Im ersten
Wahlgang vor zwei Wochen hatte Prophet mit 42,1 Prozent der Stimmen das mit
Abstand beste Ergebnis erzielt. Der parteilose Amtsinhaber Kai Buchmann kam
auf 23,7 Prozent. Die SPD-Kandidatin erhielt 18,6 Prozent, der CDU-Kandidat
11,2 Prozent, die Kandidaten von Grünen und FDP blieben einstellig. Die
Wahlbeteiligung lag im ersten Wahlgang bei 56,4 Prozent. Eine Stichwahl war
nötig, weil keiner der Kandidat:innen die Schwelle von 50 Prozent
erreicht hatte.
Jörg Prophet, 61, gehört dem Thüringer AfD-Landesverband an, der vom
Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft ist und beobachtet
wird. Er ist Fraktionsvorsitzender der AfD im Nordhäuser Kreistag und
Stadtrat. In der Öffentlichkeit hält der Unternehmer Distanz zu
AfD-Landeschef Björn Höcke. Er tritt nicht extrem auf, sondern bürgerlich
und gemäßigt. Sich selbst beschreibt er als „weltoffen“.
Im Wahlkampf beschränkte Prophet sich vor allem auf lokale Themen. Er
wollte zum Beispiel temporäre Alkoholverbotszonen in Nordhausen einführen,
Kameras am Theaterplatz und dem Bahnhof installieren sowie mehr Mülleimer,
Hundefreilaufflächen und Parkplätze schaffen. Sein rechtes Weltbild ließ er
im Wahlprogramm nur stellenweise durchblicken, etwa wenn er von
„Klimahysterie“ sprach oder davon, das Gendern in öffentlichen Dokumenten
verbieten oder die „städtischen Interessen beim Thema Migration“ konsequent
durchsetzen zu wollen.
Die Nordhäuser Grünen haben als einzige Partei explizit zur Wahl von Kai
Buchmann aufgerufen. Buchmann ist seit 2017 Oberbürgermeister von
Nordhausen, er hat dort allerdings nicht den besten Ruf. Im Frühling war er
vorläufig suspendiert worden – er soll Stadtratsbeschlüsse nicht umgesetzt
und seine Stellvertreterin Alexandra Rieger (SPD) gemobbt haben. Nach einem
Gerichtsentscheid ist Buchmann seit August wieder im Amt, das
Disziplinarverfahren gegen ihn läuft aber weiter.
## Keine Wahlempfehlung von FDP und CDU
Die Vorsitzende der Grünen-Stadtratsfraktion Sylvia Speer sagte, Buchmann
solle die Chance bekommen, sich das Vertrauen der Bürger:innen wieder zu
erarbeiten. Die Nordhäuser SPD unterstützte Kai Buchmann nur indirekt. Sie
rief die Wähler:innen lediglich dazu auf, nicht die AfD zu wählen. CDU
und FDP gaben keine Wahlempfehlung ab, sondern appellierten nur an die
Bürger:innen, überhaupt wählen zu gehen. Die Wahlergebnisse aus Sonneberg
hätten gezeigt, dass Wähler:innen „Ratschläge und Bevormundungen satt
haben“, sagte CDU-Ortsvorsitzender Stefan Nüßle der taz.
Nach dem Erfolg des AfD-Kandidaten im ersten Wahlgang hatte die Stiftung
Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora viele Briefe von
Überlebendenverbänden und Angehörigen von KZ-Opfern erhalten. [4][Manche
hätten angekündigt, im Falle eines AfD-Wahlsieges nicht mehr nach
Nordhausen fahren zu können,] wie Stiftungsdirektor Wagner berichtete. Ein
deutscher Jude habe in einem Brief geschrieben, der Tag des ersten
Wahlgangs sei für ihn der schlimmste seit 1945 gewesen.
Bereits Mitte September hatte Wagner angekündigt, Jörg Prophet die
Teilnahme an Gedenkveranstaltungen nicht zu gestatten, sollte er die
Oberbürgermeisterwahl gewinnen. Die Stiftung werde es Überlebenden und
Angehörigen nicht zumuten, bei Veranstaltungen auf Menschen wie Prophet zu
treffen. Auch das Internationale Auschwitz-Komitee – ein Zusammenschluss
von Holocaust-Überlebenden, Organisationen und Stiftungen aus 19 Ländern –
äußerte sich vor der Nordhäuser Oberbürgermeisterwahl sehr besorgt. Prophet
trete zwar „bürgerlich-harmlos“ auf, sei aber ein „lupenreiner
Rechtsextremist“. Sein Wahlsieg wäre für Überlebende der deutschen
Konzentrations- und Vernichtungslager so, als ob ihre Befreiung und ihr
Leben danach infrage gestellt würden, erklärte das Komitee.
Die Hochschule Nordhausen zeigte sich im Vorfeld der Stichwahl ebenfalls
beunruhigt. Insbesondere einige der internationalen Studierenden hätten in
Studienberatungsgesprächen bereits Bedenken „hinsichtlich möglicher
politischer Veränderungen“ geäußert, teilte eine Sprecherin gegenüber der
taz mit. Die AfD, die bundesweit vom Verfassungsschutz als rechtsextremer
Verdachtsfall eingestuft ist, hat seit Ende Juni zwei kommunale
Spitzenämter erobert. Erst gewann sie die Landratswahl im südthüringischen
Sonneberg, dann die Bürgermeisterwahl in der Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz in
Sachsen-Anhalt.
Die Partei kommt in aktuellen Umfragen in Thüringen, Sachsen und
Brandenburg auf Werte von mehr als 30 Prozent. Im Herbst 2024 finden in
allen drei Bundesländern Landtagswahlen statt.
24 Sep 2023
## LINKS
[1] /Stichwahl-fuer-Oberbuergermeisterposten/!5961629
[2] /Schwarz-braune-Allianzen-in-Thueringen/!5957057
[3] /Oberbuergermeister-Wahl-in-Nordhausen/!5956641
[4] /Angriffe-auf-KZ-Gedenkstaetten/!5684941
## AUTOREN
Rieke Wiemann
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