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# taz.de -- Menschenrechte bei der Fußball-EM: Zu Hause ist's doch am schönst…
> Nach der WM in Katar soll die EM in Deutschland ein „Heimspiel für
> Menschenrechte“ werden. Doch etliche Missstände werden dabei
> ausgeblendet.
Bild: Deutsches Viersterne-Haus in Köln
Viele schöne Worte haben sich DFB, Uefa und Bundesregierung für die EM der
Männer einfallen lassen. „Die grünste EM aller Zeiten“, „Spiele ohne
Rassismus und Antisemitismus“, ein Turnier mit „neuen Maßstäben für Umwe…
Soziales und Governance“ und ein „Heimspiel für Menschenrechte“. Diese
Erzählung blieb öffentlich relativ unhinterfragt. Die Deutschen waren vor
allem beschäftigt mit pinken Trikots, [1][Kader-Schnitzeljagden], Debatten
um Manuel Neuer und dem [2][unvermeidlichen Sommermärchen 2.0].
Dabei sind etwa der Klimafonds und die Menschenrechtserklärung wichtige
Verhandlungserfolge, erstritten auch dank einer kritischen
Fußball-Zivilgesellschaft. Zugleich konnte man glatt nicht mitbekommen,
dass [3][die EM womöglich gar nicht weniger emittieren wird als andere
Turniere], dass [4][das Menschenrechtskonzept viel zu spät fertig war],
dass Demos im Stadionnähe untersagt werden oder dass [5][EM-Sponsoren
systematisch Arbeitsrecht verletzen], Gewerkschaften unterdrücken und im
Fall VW mutmaßlich Zwangsarbeiter:innen einsetzten. Beim „Heimspiel
für Menschenrechte“ waren Menschenrechte Nebensache. Wollten wir nicht auch
daheim genau hinsehen?
Zu Hause ist doch alles viel schöner. Die Gesellschaft wirkt müde von den
Krisen rund um die letzten Turniere, der Wunsch nach einem fröhlichen
Fußballfest scheint groß. Auch bei kritischen Panels ist die Euro meist
eher thematischer Aufhänger statt Kritikobjekt: Homophobie im Fußball,
Rassismus, Sexismus, ein wenig Nachhaltigkeit; Themen, die der EM weniger
weh tun als Fragen nach der Steuerfreiheit für die Uefa oder den
Zulieferbetrieben von Adidas. Lobenswerte Ausnahmen wie das Bündnis
Fairness United oder der Verein Play!Ya blieben eine Fußnote im
Sommermärchen-Getöse. Und viel Kritik schien eher Pflichtübung. So dringend
war es nicht.
War das nicht mal anders? Der Protest rund um die letzte WM in Katar war
vorbildlich allumfassend und tiefgehend, die Analyse des Gastgebers ging
von Taliban-Unterstützung über fehlende Meinungsfreiheit bis zum
Kafala-System. Deutsche Menschenrechtsverletzungen aber spielten für die
Einordnung der Euro überhaupt keine Rolle.
Die EM in Deutschland fällt in eine Zeit, wo deutsche Waffenlieferungen
mitverantwortlich sind für die Ermordung von 35.000 Zivilist:innen im
Gazastreifen und Kriegsverbrechen. Wo internationale Medien und
Organisationen eindringlich auf [6][Einschränkungen der Meinungs- und
Protestfreiheit in Deutschland] rund um den Gazakrieg, aber auch in Bezug
auf Klimaaktivist:innen hinweisen.
## Deutsche Menschenrechtsverbrechen finden nicht statt
Das Turnier fällt in eine Zeit, in der die EU gerade [7][in einer neuen
Verschärfung das Asylrecht mit Füßen tritt], und ihren Wohlstand mit
Menschenrechtsverbrechen an den Außengrenzen und jenseits davon sichert,
darunter Folter, grauenvolle Lager und Mord. Jeder fünfte Deutsche ist von
Armut bedroht. Die aktuelle Bundesligasaison der Männer gewann übrigens
Bayer Leverkusen, dessen Mutterkonzern [8][mutmaßlich hochgefährliche
Pestizide in den Globalen Süden exportiert]. Auch das finanziert unseren
Fußball. Auch das ist der Gastgeber dieses Turniers. Eine gute
Turnieranalyse hätte all das und mehr angeprangert und verhandelt. Ich habe
keine gelesen.
Nur die Nazis finden statt. Die [9][europaweiten Triumphe der Neuen
Rechten], wie die AfD zweitstärkste Kraft ist, wie [10][rechte Hetze gegen
Schwarze Nationalspieler] die Vorbereitung überlagerte, das beunruhigte
auch einige im EM-Kontext. Vor allem aber mit dem Gedanken, dass sie das
Turnier bitte nicht verschandeln mögen, die Rechten. Machen wir uns vor dem
Turnier ehrlich: Nichts von alldem war uns einen EM-Protest wert. Kollektiv
wurde weggeschaut.
## Fatal für Glaubwürdigkeit
Das ist fatal, auch für die eigene Glaubwürdigkeit. Seit „Wandel durch
Handel“ als gescheitert gilt, hat sich in der Bewertung von Turnieren und
ihren Gastgebern ein simplifiziertes Schema durchgesetzt:
Menschenrechtsfeinde und Menschenrechtsfreunde. Oft sehr emotional
aufgeladen, teils rassistisch und nach selektiven Kriterien: (formale)
Demokratie, Meinungsfreiheit und Minderheitenrechte werden wichtig genommen
– Recht auf Asyl, Recht auf befriedigende Entlohnung, Waffenexporte,
Ressourcenraub oder Klimaschäden spielen für die Menschenrechtsbewertung
fast nirgendwo eine Rolle.
Es ist eine Menschenrechtscharta der Reichen. Auch die Empathie ist
selektiv: [11][Ausgebeutete und Tote auf den Baustellen für Olympia 2024 in
Paris] rührten in Deutschland wenige; für Schwarze Arbeiter:innen in
Katar dagegen erwärmen sich auch Konservative, solange sie bitte in Katar
bleiben und nicht übers Mittelmeer kommen. Rund um Katar geriet die
Empörung im Verhältnis zu anderen Turnieren so außer Proportion, dass
Deutschland isoliert dastand.
[12][Menschenrechte waren stets auch eine koloniale
Überlegenheitsideologie]. Arabische und europäische Fans demonstrierten in
Echokammern, jeder für sein eigenes Ding: die einen für LGBT- und
Arbeiterrechte, die anderen für Palästina. Etwas ist gebrochen bei dem
Turnier, das für die einen eine „WM der Schande“ war, für die anderen eine
Art panarabisches Erweckungs-Festival. Wie kann man da noch weiterreden
über Menschenrechte?
## Weitgehend strategiefrei
Gerade zum „Heimspiel für Menschenrechte“ wäre das wichtiger denn je
gewesen: Autoritäre Gastgeber mit teils katastrophaler innenpolitischer
Menschenrechtslage und fehlenden Umweltstandards gewinnen an Einfluss. Wie
damit umzugehen ist, darauf gibt es keine leichte Antwort. Die Deutschen
taumeln dem weitgehend strategiefrei entgegen, die Verbände gleichgültig im
Traumschlaf, aktive Fans beseelt vom weltfremden Wunsch, die halbe Welt
auszuschließen. Der Fall Russland zeigt ein Dilemma: Weder Ausschluss noch
ein Heimturnier konnten die innenpolitische Lage relevant verbessern.
Weder Brückenbauen noch Brückenbrechen. Derzeit werden vier Wochen Fußball
schlicht überladen mit Erwartungen. Und solange Ausschlüsse nur für
politisch nützliche Fälle gelten, untergräbt auch das Glaubwürdigkeit. Und
Protest? Selbst mit höchstem Engagement und klaren Forderungen wie in Katar
war es enorm schwer, gegen die geballte Macht aus Verbänden, Staat und
Konzernen etwas zu bewegen. Gelungen ist es durchaus, aber nur punktuell.
Und mit globalem Rechtsruck und Militarismus wird es nicht leichter.
Wenn, dann braucht es vielleicht eine Mehrfachstrategie. Mit tiefgehender,
glaubwürdiger Kritik an jedem Gastgeber – ohne Probleme für gleich zu
erklären, die nicht gleich sind. Das ist vor allem ein Bildungsauftrag,
eine globale Kommunikation. Zweitens braucht es viel zivilgesellschaftliche
Beteiligung. In der Hinsicht ist diese EM durchaus ein Vorbild.
Und drittens, mit dauerhaften internationalen Fußballbündnissen mit
pragmatischen Themen, die viele mitnehmen – Arbeitskämpfe, Klimakämpfe,
konkreter Nutzen für die Kommunen. Und endlich ein verbindlicher
Bedingungskatalog für Fußballturniere mit externer Kontrollinstanz. Das
fehlt auch hier. Denn das „Heimspiel für Menschenrechte“ ist natürlich ein
Märchen. Ein zweites Sommermärchen vielleicht.
13 Jun 2024
## LINKS
[1] /Nominierung-des-EM-Kaders/!6007642
[2] /Rassismus-und-die-EM-2024/!6014076
[3] https://www.oeko.de/news/pressemeldungen/wie-die-fussball-europameisterscha…
[4] https://www.sportschau.de/fussball/uefa-euro-2024/euro-2024-menschenrechte-…
[5] https://www.fairness-united.org/sponsor-checks/
[6] https://www.amnesty.de/deutschland-einschraenkung-pro-paleastinensischer-pr…
[7] /Schaerfere-EU-Asylregeln-beschlossen/!6010732
[8] https://www.rosalux.de/publikation/id/42000/gefaehrliche-pestizide-von-basf…
[9] /Von-der-Leyen-und-ihre-rechten-Partner/!6011515
[10] /Rassismus-im-Fussball/!6011761
[11] /Arbeiter-auf-Olympia-Baustellen-in-Paris/!5997726
[12] https://monde-diplomatique.de/artikel/!849861
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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