| # taz.de -- Individualreisen in Albanien: Süchtig nach Geheimtipps | |
| > Albanien ist seit vielen Jahren ein Reise-Geheimtipp. Auch, weil dort | |
| > kein Massentourismus herrscht. Woher kommt die Sehnsucht nach | |
| > Authentizität? | |
| Bild: Sonnenuntergang in Durrës in Albanien | |
| Die Fahrgäste im Minibus von Tirana nach Durrës sind hip und | |
| international. Sprachen aus halb Europa klimpern gedämpft vor sich hin, | |
| während wir zwischen Industriegebieten, Plastikmüllbergen und Wildwiesen | |
| Richtung Adriaküste fahren. Einer der wenigen Albaner im Gefährt kennt das | |
| Wi-Fi-Passwort und erfreut sich großer Popularität. | |
| [1][Albanien] ist seit so vielen Jahren ein Geheimtipp, dass es noch etwa | |
| so geheim ist wie Berliner Clubkultur. Und auch ich bin hier mit einer | |
| gewissen Black-Friday-Denke: [2][Schnell noch vor dem Massenansturm | |
| Albanien sehen], solange es noch billig und einigermaßen authentisch ist. | |
| Schnell noch auf die Suche nach – was eigentlich? | |
| Ich spaziere durch Durrës, die zweitgrößte Stadt des Landes. Die | |
| palmengesäumten Straßen sind erfüllt von ewig lärmendem Autoverkehr. Ein | |
| Shop verkauft gigantische rote Plüschbären, Graffitis klagen die | |
| Verschmutzung der Flüsse an, am Meer finden sich moderne Hochhauskomplexe | |
| und ein austauschbarer Pier, im Stadtzentrum sanierte Moscheen und die | |
| große Ruine des antiken Amphitheaters. | |
| Leute in Deutschland, denen ich die Fotos schicke, sind überrascht: Das sei | |
| doch sicher nicht repräsentativ für Albanien? Ich weiß nicht, was sie | |
| erwartet haben. Vielleicht mehr bröckelnden Putz, mehr Schafhirten, mehr | |
| Balkanschluchten. Wenn ich ehrlich bin, waren das auch Bilder, nach denen | |
| ich gesucht habe. Die Prekarität, die mir authentisch vorkam. | |
| ## Zu Fremd?- Nein Danke | |
| Reisende suchen nichts so sehr wie ein authentisches Erlebnis. Meist aber | |
| meint das: ärmliche Folklore. Ein wildromantisches Gestern vielleicht, das | |
| man in der eigenen Postmoderne verloren glaubt. Eine Zeitreise mehr als | |
| eine Ortsreise. Zu fremd soll es nämlich auch für die meisten | |
| Backpacker:innen nicht sein – Pakistan oder Tschad, nein danke. Eher | |
| eine kontrollierbare Wildnis wie in einem Nationalpark, eine beherrschbare | |
| und beherrschte Andersartigkeit. Eine, die auch vor Ort schon das Parfüm | |
| von vorgestern versprüht. | |
| In einem Café in Durrës esse ich Lakror, einen gefüllten herzhaften Kuchen. | |
| Die Albaner um mich rum nehmen Pommes und Fleisch, aber Lakror wird als | |
| „traditionelle Speise“ beworben – und sollte ich nicht was authentisch | |
| Albanisches probieren? Der Kellner serviert in perfektem Englisch. Auf dem | |
| Fernseher läuft ein Schwarz-Weiß-Streifen mit Partisanenszenario. Da gibt | |
| es niedliche Bergdörfer, wackere schnauzbärtige Bauern im Schafspelz, zähe | |
| Omis mit Kopftüchern und wohlerzogenen Enkeln. | |
| Bilder, die mir vertrauter sind als jene um mich rum. Ich schaue den | |
| Männerrunden in dem tatsächlich recht untouristischen Café zu, es wird ein | |
| guter Nachmittag. Obwohl ich, zugegeben, mehr Lust auf Pommes hatte. | |
| 18 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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