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# taz.de -- Alina Schwermer Hin und weg: Alle sind mit allem verbunden
> Wie ein Netz halten die persönlichen oder verwandschaftlichen
> Verbindungen die Menschen in einem italienischen Dorf zusammen.
Bild: Das Dorf, auch das italienische Dorf, bietet neben sozialer Kontrolle auc…
Antonias Küchentisch wirkt, als habe sie uns erwartet. Sie tischt
selbstgemachtes Gebäck auf, Getränke. Und ich bewundere [1][ihre
süditalienische Fähigkeit], immer was für Gäste im Haus zu haben.
Denn wir kennen uns überhaupt nicht. Auf der Straße sind wir ins Gespräch
gekommen, Antonia hat uns spontan eingeladen. Die Straße, in der unser
Ferienhaus steht, ist geprägt von kleinen Häusern mit Landstücken. Hier
wohnen noch viele Nachkommen alter Kleinbauernfamilien. Wie Antonia. Eine
unfassbar fitte 75-Jährige, die ich ständig auf dem Acker werkeln sehe.
Sie weiß, sehr lange geht das nicht mehr mit dem Haus, „aber es hängen so
viele Erinnerungen dran“. Sie zeigt uns den winzigen Altbau, wo sie in der
Kindheit zu sechst schliefen, kaum vorstellbar. Dann das Haus, voll mit
Ikonen. Ob wir katholisch oder protestantisch seien? Wie, gar nichts? „Die
Zeiten ändern sich“, kommentiert Antonia, als hätte sie das oft gesagt. Am
Tisch erzählt sie vom harten Leben damals, von den Familien, die auch wir
kennen.
Es ist faszinierend, sich ein Dorf zu erschließen. Ich finde es manchmal
schwer, mit dem zerfaserten Horizont auf dem Land umzugehen. Aber die
Geschichten zeigen auch, welche Lebensleistung die Leute vollbracht haben.
Wie etwa eine andere alte Frau, die oft herrisch ist, aber glücklich wirkt,
wenn sie in ihrem [2][Gemüsegarten] steht.
Von Antonia erfahren wir, dass auch sie in einer Kleinbauernfamilie
aufwuchs, die Mutter früh tot, die Stiefmutter hart, sie habe es schwer
gehabt. Vieles versteht man so besser, auch, was sie erkämpft hat, ihre
gebildete Tochter, ein wenig Wohlstand. In der Folgegeneration wirkt dieses
Leben schon fern. Jene Tochter erzählt später, die Straße sei damals voll
mit Kindern gewesen, Kühe hätten sie gemeinsam gemolken, wie schön das
alles war.
Jetzt sind Höfe und Kinder weg. Aber immer noch hängt alles unsichtbar
zusammen. Der Mann, der uns das Holz liefert, entpuppt sich als Sohn von
dem, der damals die Kühe hatte. In der Bäckerei, wo die Familien ohne Ofen
einst ihr Brot zum Backen hinbrachten, verkauft die Frau, die vorher unser
Haus besaß.
Wie in einem großen Wimmelbild fügen sich Biografien zusammen. Es ist ein
Bild, das viele Grautöne zulässt. Unsere Nachbarin – die, die Kühe molk –
hat nicht Meloni gewählt, die Wahl war ihr wichtig. Aber viele ihrer
Arbeitskolleg:innen seien nicht wählen gegangen. „Sie finden, man kann
eh nichts machen. Dabei sind das doch gebildete Leute.“ Die Erfahrung,
ausgeliefert zu sein, sitzt tief hier. Auch mit Antonia reden wir kurz über
Politik. Sie sorgt sich um die Ukraine, die Pandemie, den Massentod der
Olivenbäume, der hier viele entsetzt. „Aber“, seufzt sie, „was kann man
machen.“
17 Jul 2024
## LINKS
[1] /Ein-Ferienhaus-in-Sueditalien/!5923327
[2] /Lebensmittelanbau-in-Berlin/!5911732
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Kolumne Hin und weg
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Dorf
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